Einfühlsame Fotos einer Bielefelderin zeigen das Leben an der „Tüte“

Bielefeld. Was die "Tüte" bedeutet? &bdquo;Meide den Ort, um dich zu schützen“, antwortet Pünktchen, Mitveranstalterin der Fotoausstellung in den Schauräumen am Kesselbrink. Lange Zeit war auch für sie der Platz am Bielefelder Hauptbahnhof ein Lebensmittelpunkt, &bdquo;an dem sich Gleichgesinnte treffen konnten“. Nun ist sie von den Drogen sowie von der "Tüte" losgekommen und verarbeitet ihre Erfahrungen zusammen mit der Künstlerin Kyungwon Shin in dem Projekt &bdquo;Fehlt, aber“. Nach einem Leben in der DDR und in Tschechien folgte Pünktchen Ende der neunziger Jahre ihrer Mutter nach Bielefeld. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits drogensüchtig und fand sich schnell am Bielefelder Bahnhof wieder. Über dem Stadtbahnaufgang erhebt sich hier spitzzulaufendes ein großes Glasdach: Die sogenannte "Tüte" und ihre Umgebung, stadtbekannter Treffpunkt von Menschen, die in Drogen- oder Alkoholabhängigkeit geraten sind. An der "Tüte" konnte sie sich erstmals auf Deutsch unterhalten &bdquo;Die Tüte habe sich in den letzten Jahren verändert“, schildert Pünktchen. &bdquo;Heute hilft dir keiner mehr und es gibt nur wenig Hilfsbereitschaft.“ Dies hänge ihres Erachtens mit Kürzungen der Sozialleistungen zusammen. Kyungwon Shin erkläre dies mit dem steigenden Drogenkonsum. Die gebürtige Koreanerin hat vor ihrer Tätigkeit als Fotografin und Mediengestalterin zehn Jahre als Mathematiklehrerin gearbeitet, sich dann aber umorientiert. Nach Bielefeld kam sie, weil sie hier 2008 einen Studienplatz erhielt. Vor 13 Jahren begann sie dann während ihres Studiums an der Fachhochschule den Kontakt zur "Tüte" zu suchen.Die Menschen dort begegneten ihr freundlich. Negative Erlebnisse habe sie keine erlebt. An der "Tüte" fand Shin erstmals Menschen, mit denen sie sich seit ihrer Emigration auf Deutsch unterhalten konnte. Trotzdem wahrt die Künstlerin bis heute ein wenig Distanz. "Bedingungslose Ehrlichkeit" &bdquo;Das Schöne an den Begegnungen sei die bedingungslose Ehrlichkeit“, berichtet Shin. Zugleich habe sie aber während ihrer Arbeit als Fotografin auch viel Unzuverlässigkeit erlebt, die sie aber nicht wesentlich störe. Es ist nicht ihre erste Ausstellung, die sich mit den Menschen an der Tüte beschäftigt. Unter dem stets identischen Titel &bdquo;Ich bin hier“ folgten viele Darstellungen von marginalisierten Gruppen in Bielefeld, wie Obdachlosen oder Drogenabhängigen. Außerdem produzierte Shin in Eigenregie Kurzfilme, die sie auf Youtube veröffentlichte. Einer davon porträtiert Pünktchen und ist vor vier Jahren mit dem Titel &bdquo;Schelpsheide 19-Pünktchen“ veröffentlicht worden.Nach dem Dreh verloren die beiden Frauen sich jedoch aus den Augen, bis Pünktchens Ehemann den Kontakt zwischen den beiden wiederherstellte und es dann zu erneuten Zusammenarbeit und dem Projekt &bdquo;Fehlt, aber“ kam. Die Ausstellung zeigt am Kesselbrink Fotografien aus 13 Jahren Ziel der Ausstellung ist es, die Öffentlichkeit gegenüber sozial Benachteiligten zu sensibilisieren. Denn es mangele nicht an Toleranz in Bielefeld, sondern an Wissen über prekäre Verhältnisse. Shin betont, dass die Menschen sich dieses Leben nicht aussuchen. Sie verdienen Respekt und sollten nicht vergessen werden. Wegschauen sei deshalb keine Lösung. Mit der Ausstellung wird die Lebenswelt an der Bielefelder Tüte authentisch in den Fokus gestellt. Sie zeigt Motive der letzten dreizehn Jahre. Manche der abgebildeten Personen sind bereits verstorben, andere weggezogen, einige sind immer noch im Bahnhofsviertel anzutreffen. Die Ausstellung in den Schauräumen am Kesselbrink ist mittwochs bis freitags von 14 bis 19 Uhr und samstags von 16 bis 21 Uhr geöffnet.

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