Gewalt, Lärm, Müll: Grünes Licht für Bielefelds Nachtbürgermeister

Bielefeld. Schon bald könnte ein städtischer Nachtbürgermeister die Krisen des Nachtlebens in der Stadt lösen helfen. Das jedenfalls ist der Plan der Ratskoalition. Er oder sie soll Vermittler zwischen den zahlreichen Parteien sein – zwischen Jugend, Gastro, Partyveranstaltern, Kulturschaffenden, Anwohnern, Politik und Sicherheitsbehörden. Der Bielefelder Hauptausschuss stimmte jetzt – nur mit Gegenstimme der AfD – dafür, dass die Verwaltung die Einrichtung einer solchen Nachtmanager-Stelle prüft. Die Grünen hatten die Idee aus anderen Städten mitgebracht und hier ins Gespräch gebracht. Klaus Rees sagte damals: &bdquo;Dass wir in Bielefeld Probleme mit einer jungen Szene haben, ist augenscheinlich geworden.“ Trotzdem bezweifle er, dass mehr Repression durch Uniformierte bei der Szene auch mehr Eindruck hinterlassen würde. Mit einem Nachtmanager wolle man auf jugendgemäße Prävention setzen, statt die Szene weiter gewähren zu lassen. Bedürfnisse müssen konkreter formuliert werden So soll der Verantwortliche sowohl die Nachtkultur fördern, den Freizeitbedürfnissen der jungen Besucher gerecht werden und trotzdem Konflikte frühzeitig erkennen und möglichst verhindern oder abmildern, heißt es im Antrag der Ratskoalition (SPD, Grüne, Linke), die die Stelle bei der Stadtverwaltung ansiedeln möchte. Bernd Vollmer von den Linken begrüßte die Initiative, betonte aber, dass es eigentlich ein Team brauche, um den nächtlichen Konfliktlagen zu begegnen. CDU und FDP forderten, dass die Stellenbeschreibung möglichst konkret auf die Bedürfnisse in der Stadt ausgerichtet werden müsse. Die AfD lehnte den Vorschlag komplett ab – mit der Begründung, dass die Anwohner nur ein Durchgreifen wollten, um endlich Ruhe zu haben. Die Stadtverwaltung hat jetzt die anspruchsvolle Aufgabe, eben die spezifischen Bielefelder Bedürfnisse im Nachtleben zu identifizieren und daraufhin die Stellenbeschreibung zu erarbeiten. Dabei werden auch die Kosten eine Rolle spielen. Die Koalition fordert, dass zur Vorbereitung der Stelle die Erfahrungen anderer Städte sowie Gespräche mit Veranstaltern, Jugendring, Sozial- und Kriminalpräventiven Rat und Bielefelder Streetworkern einfließen sollen. ____________________ Die Nacht braucht einen unabhängigen Manager Kommentar von Jens Reichenbach Ein Nachtbürgermeister könnte schon bald in Bielefeld regieren. Wie muss ich mir das vorstellen? Gibt Pit Clausen jeden Abend um 21 Uhr sein Zepter ab und von da an gelten dann die Regeln des Neuen? Wohl kaum. Doch was erwarten wir von dem vermeintlichen König der Nacht – oder sogar der Königin? Der Titel hört sich erstmal sehr machtvoll an. Doch Macht soll er gerade nicht ausüben. Tatsächlich liegt die Kunst dieser Aufgabe nicht in der Durchsetzung der Gesetze des vermeintlichen nächtlichen Souveräns, sondern in der Moderation und Vermittlung. Der Nachtmanager soll Probleme im Miteinander lösen, das Nachtleben rund um Clubs, Konzerte und Kleinkunst sogar fördern, aber auch vermitteln und regeln, wo Probleme auftauchen. Und das Wichtigste: Er soll für gegenseitiges Verständnis sorgen. Ganz schön viel verlangt. Insbesondere, wenn man bedenkt, wie unvereinbar oft die unterschiedlichen Interessen von Feiernden und Gastronomen gegenüber denen der Anwohner stehen. Feiernde missachteten zunehmende die Regeln des Miteinanders Hinzu kommen die neuen Probleme, die in der Coronakrise deutlich wurden. Die jungen Leute, die normalerweise in den Clubs feierten, bei Bier oder Shisha Freunde trafen oder sich ineinander verliebten, waren plötzlich ihrer beneidenswerten Jugend beraubt. Der anfangs liebevoll verniedlichte &bdquo;Sommer ohne Clubs“ wurde zum endlosen Distanz-Disaster voller Frust. Und Letzteres brach sich mehr als deutlich Bahn, als Feiernde zunehmend die Regeln des Miteinanders missachteten und Gewalt, Lärm und Müll die Folge in der Stadt waren. Gleichzeitig lag die sogenannte Nachtkultur völlig brach – Partys, Bars, Konzerthallen und Clubs fanden mehr als 18 Monate lang nicht mehr statt. Die Folgen dieser erzwungenen Depression sind bis heute nicht absehbar.Der neue Reiz der Rücksichtslosigkeit Deshalb hoffen jetzt alle, dass sich beide Seiten – die Nachtschwärmer wie auch die Betreiber der Nachtkultur – endlich auf Dauer wiederfinden. Das Bedürfnis dafür ist riesig. Das Gute: In Bars, Clubs und Restaurants gelten anerkannte Regeln. Wer zu viel getrunken hat, fliegt raus. Wer Frauen belästigt, kriegt Hausverbot. Diese soziale Kontrolle hat 18 Monate lang gefehlt. Doch wer glaubt, dass sich mit der Rückkehr der Clubs die Probleme in Wohlgefallen auflösen, hat den Reiz der neu entdeckten Rücksichtslosigkeit nicht erkannt. Experten glauben, dass längst nicht alle in die Clubs zurückkehren werden. Die Probleme in den Parks und auf beliebten Plätzen wie dem Kesselbrink oder bald auch wieder auf dem Jahnplatz werden also bleiben. Als Mitarbeiter der Stadt wird die Position zum Bumerang Die Stadt hat die Probleme mit der jungen, sehr unangepassten Szene inzwischen erkannt. &bdquo;Vor allem nachts sind die Zustände auf dem Kesselbrink teils unhaltbar“, hieß es jetzt erstmals ganz unumwunden vom Ordnungsamt. Auch die Grünen sehen die augenscheinlichen Schwierigkeiten nicht nur dort. Sie wollen mit dem Nachtbürgermeister aber nicht noch mehr Verbote, sondern eine Diskussion auf Augenhöhe. Der erste deutsche Nachtbürgermeister in Mannheim hat das vorgemacht. Mit respektvollem Umgang hat er viele der Feiernden für sich gewinnen können und für Verständnis gesorgt. Die Nacht braucht offensichtlich einen Manager. Doch ganz allein steht so ein Bürgermeister auf verlorenem Posten. In Mannheim sind sechs sogenannte Nachtläufer für die direkte Ansprache der Feiernden zuständig, während der Nachtbürgermeister eher tagsüber die Netzwerkarbeit mit den verschiedenen Ansprechpartnern übernimmt. Auch man darf nicht vergessen, dass so ein Vermittler nur Erfolg haben kann, wenn er unabhängig ist. Schließlich muss er auch zwischen Stadtverwaltung und anderen Interessen vermitteln. Dass man nun seine Stelle bei der Stadtverwaltung ansiedeln will, könnte zum Bumerang werden. Denn einen verlängerten Arm der Stadt braucht die Nacht nicht. Bielefelds Nacht braucht eine ehrliche Stimme. ____________

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