Kommentar Verkehrswende: Dem Oberbürgermeister fehlt der Ehrgeiz

Bielefeld. Der Verkehr ist und bleibt das Sorgenkind aller Klimaschutzbemühungen in der Stadt. Die Notwendigkeit der Verkehrswende wird zumindest in den verbalen Bekundungen von fast allen relevanten Akteuren in Politik und Gesellschaft kaum noch bestritten. Dennoch mussten in den vergangenen Tagen die Verwaltung und die rot-grün-rote Koalition einige harte Rückschläge einstecken. Nachdem die Bezirksregierung Detmold schon die Anordnung für den Waldhof moniert hatte, stufte das Verwaltungsgericht Minden auch noch die Sperrung der Klasingstraße als rechtlich zweifelhaft ein. Das Vertrauen in die handelnden Akteure droht zu schwinden Nach der Klage der Anwohner war die Stadt gezwungen, schnell zu handeln. Die Pömpel, die im Zuge des Altstadt-Tests die Durchfahrt verhindert haben, mussten wieder weg. Autos können nun wieder frei fahren. Die Stadt will das nicht hinnehmen und hat am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Von außen betrachtet, macht all das keinen guten Eindruck. Konkreter formuliert: Das Vertrauen in die handelnden Akteure droht zu schwinden. Schon vorher geriet die Politik ins Straucheln, machte keine gute Figur. Ihre Beschlüsse zum Rückbau der Artur-Ladebeck-Straße für den Bau eines Pop-up-Radweges führten zu diversen Irritationen in der Stadt. Sie setzte das Verkehrsamt irrtümlich in Bewegung, das bereits mit den Arbeiten beginnen wollte, und das sorgte bei Wirtschaftsverbänden für große Kritik. Ein bisschen wirkt es, als fehle dem OB die Überzeugung, das gesamte Vorhaben beherzt anzugehen Später redete die Rathauskoalition sich raus. Alles sei nur ein großes Missverständnis gewesen, hieß es. Der Rückbau wurde verschoben. Inzwischen versucht der Oberbürgermeister, die Wogen zu glätten. Gelingen will ihm das noch nicht so recht. Zu zögerlich ist sein Agieren. Ein bisschen wirkt es, als fehle ihm die Überzeugung, das gesamte Vorhaben beherzt anzugehen. Doch nicht nur sein aktives Eingreifen ist jetzt gefordert, sondern auch Tatkraft. Denn bei genauerer Betrachtung muss man konstatieren, dass im zuständigen Dezernat eine starke Führungsperson fehlt – und die wäre jetzt mehr denn je gefragt. Der neue Verkehrsdezernent kommt erst im April. Vorher muss noch seine Wahl wegen Formfehlern wiederholt werden. Auch diese peinliche Randnotiz hat Pit Clausen mitzuverantworten. Gregor Moss hat sich völlig zurückgezogen Unglücklich ist, dass Gregor Moss seine Aufgaben in der Verkehrsplanung nur noch kommissarisch wahrnimmt. Man hat ihm die Zuständigkeit entzogen. Offen gesagt, zeigt er kaum noch Ambitionen, den Verkehrsversuch in der Altstadt positiv mitzugestalten. Geschweige denn, das noch heißere Eisen Ladebeck-Straße anzufassen. Etwas einsam bleibt in dieser Gemengelage der Leiter des Verkehrsamtes zurück. Olaf Lewald versucht, alle Bälle oben zu halten. Böse Zungen behaupten, man lasse ihn dabei im Regen stehen. Was kann er leisten? Er ist ausführende Kraft. Für politische Entscheidungen und Visionen sind andere verantwortlich. Ist beim Verkehrsversuch in der Altstadt zu viel mit der heißen Nadel gestrickt worden? Und nun? Beim Versuch, Wege in Bielefeld so zu organisieren, dass weniger oder keine Autos mehr benötigt werden, verheddern sich die Akteure. Sie stolpern über juristische Fallstricke und drohen im Dickicht der Aufgabenkomplexität den Überblick zu verlieren. Woran liegt das? Ist beim Verkehrsversuch in der Altstadt zu viel mit der heißen Nadel gestrickt worden? Hätte man sich mehr Zeit nehmen müssen, um die Auswirkungen auf den umliegenden Verkehr besser einplanen zu können? Hätte es vor dem Versuch einen gestalterischen Gesamtplan geben müssen, der auch die Infrastruktur miteinbezieht? In so einem komplexen Verfahren den Überblick zu behalten erfordert politische Erfahrung Sind einige Vorhaben zu eilig angegangen worden? Hätte man warten müssen, bis der Jahnplatz fertig ist? War die Kommunikation zwischen der Verwaltung und der Politik zu schlecht? Diese Fragen müssen sich die Akteure in den Fraktionen der SPD, Grünen und Linken stellen. Sie müssten ehrlich zu sich sein, zugeben, dass vieles nicht gut gelaufen ist. In so einem komplexen Verfahren den Überblick zu behalten erfordert politische Erfahrung, Fingerspitzengefühl und juristische Kenntnisse. Und natürlich brauchen die Akteure eine breite Fachexpertise. Nicht zuletzt sind Galionsfiguren wichtig, die das Thema vorantreiben, in der Öffentlichkeit präsentieren, die Menschen in der Stadt hinter dem Vorhaben versammeln. Kurzum, was Bielefeld jetzt braucht, ist jemand, der dem Altstadtversuch endlich ein positives Image gibt. Der die Vorteile für die Stadt herausstellt. Der es schafft, die Kritiker zu überzeugen und mit ihnen Kompromisse zu finden. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Anregungen unter andrea.rolfes@nw.de

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