Kaum noch Blutkonserven in Reserve: Krebspatient verzweifelt

Bielefeld. Die Blutspendedienste trommeln seit Wochen laut, weil zu wenig Menschen Blut spenden. Ganz schlimm war es im Juni und Juli. Die Reserven füllen sich auch jetzt nur langsam. Und das hat ganz handfeste, zum Teil schmerzhafte Auswirkungen auch auf Menschen dieser Stadt, die auf Blutkonserven angewiesen sind. Von einem besonders krassen Fall kann Klaus Leimkühler, Leiter des Blutspendedienstes Bethel am Evangelischen Klinikum Bethel, berichten. Normalerweise erreichen ihn die Anrufe aus Kliniken oder Arzt-Praxen, die auf der Suche nach Blutkonserven für ihre Patienten sind. An diesem Tag, der noch nicht lange her ist, meldete sich jedoch ein Mann, der am Telefon extrem kurzatmig war. Wie sich herausstellte, der Patient einer onkologisch-hämatologischen Praxis mit seltener Blutgruppe. Im Rahmen seiner Behandlung brauchte er dringend eine Transfusion, um mit frischem Blut neue sauerstofftransportierende rote Blutkörperchen zu kriegen. Doch die Praxis habe ihm aufgrund des Mangels zeitnah keine anbieten können. Er habe ihm von seiner Krebserkrankung erzählt, schildert Leimkühler, von den Metastasen im Knochenmark. "Er bekam kaum einen Satz raus ohne zu japsen." Was den Arzt besonders betroffen machte: "Ich konnte nicht helfen." Zu diesem Zeitpunkt lief der Blutspendedienst nach seinen Worten selbst auf der letzten Rille und musste zusehen, wenigstens die Notfallversorgung der Kliniken sicherzustellen. Auch von außen habe es nicht mehr die Möglichkeit gegeben, Konserven zuzukaufen, weil der Mangel deutschlandweit ein Problem ist. "Da schaut man dann schon dumm aus der Wäsche." Auch im Normalfall kann der Blutspendedienst Bethel den Bedarf an Blutkonserven nur bis maximal 50 Prozent decken, lässt sich zuliefern - beispielsweise vom DRK-Blutspendedienst Westfalen-Lippe oder vom Herzzentrum in Bad Oeynhausen. Mit den Blutkonserven versorgt werden neben dem Evangelischen Klinikum Bethel (EvkB) auch das Krankenhaus Mara sowie die Häuser der katholischen Hospitalvereinigung Ostwestfalen mit dem Franziskus-Hospital Bielefeld, dem Mathilden Hospital Herford und dem Sankt Vinzenz Hospital Rheda-Wiedenbrück. Trauma-Patienten können bis zu 60 Konserven benötigen Dazu kommen verschiedene Praxen, wie die onkologisch-hämatologische Schwerpunktpraxis in Bielefeld, in der Marianne Just praktiziert und die viele Patienten unter Chemotherapie oder mit Knochenmarkerkrankungen hat, die regelmäßigen Transfusionsbedarf haben. Sie berichtet, dass man nicht nur Patienten habe vertrösten müssen, weil keine Blutvorräte mehr vorhanden waren, sondern auch zwei von ihnen schließlich ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten, weil sich die Situation zugespitzt habe. Für sie alle möchte Klaus Leimkühler einen Mindestbestand von rund 100 Blutkonserven haben mit den Blutgruppen 0 und A, dazu 25 bis 30 Konserven seltener Blutgruppen (jeweils Rhesus negativ). "Diese Margen unterschreitet man mal hin und wieder, aber im Juni waren wir so deutlich drunter, unter 50 Prozent, dass wir tageweise nichts mehr außer Haus abgegeben haben." Man habe wirklich gebangt. "Denn manche Trauma-Patienten können durchaus 50 bis 60 Konserven auf einmal benötigen, bis sie stabil sind", weiß der Arzt. Im Schnitt verbrauche beispielsweise das EvKB im Jahr 8.500 bis 9.000 Blutkonserven. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista In der Folge mussten dort bereits zahlreiche geplante Operationen verschoben oder gar abgesagt werden. Auch das Franziskus-Hospital bestätigt diese Notlage. "Normalerweise haben wir, je nach OP-Plan, einen täglichen Bedarf von 20 bis 30 Blutkonserven", schildert Laborleiterin Sabine Prüßmeier. "Am Freitag hatte ich nur noch zehn im Schrank. Das ist viel zu wenig." Von dem Mangel seien alle gängigen Blutgruppen betroffen. Benötigt würden aber nicht nur Erythrozytenkonzentrate, die Standardkonzentrate mit den roten Blutzellen, sondern auch andere Blutprodukte, die zum Beispiel für onkologische Therapien essentiell seien. "Eine menschliche Katastrophe" Mitte Juni, als die Versorgung besonders schlecht gewesen sei, habe man sogar eine Mitarbeiter-Blutspendeaktion gestartet. Der Blutspendedienst Bethel habe dafür sogar gesonderte Öffnungszeiten angeboten, um die Erfolgschancen zu verbessern. Als Dankeschön habe jeder Blutspender von der Hospitalvereinigung einen OWL-Gastronomie-Gutschein erhalten. Mehr als 90 Anmeldungen seien daraufhin eingegangen, sogar Freunde und Angehörige seien motiviert worden mitzumachen. Die Situation sei schon krass, sagt Prüßmeier. Ihre absolute Notreserve seien gerade mal zwei Konserven Null negativ und zwei A negativ. "Das ist nicht wirklich viel." Für Operationen müsse versucht werden, gezielt Blutkonserven zu beschaffen. In der schlimmsten Zeit im Juni habe einen Kollegin ganze Tage nur dafür herumtelefoniert. "Für uns als Krankenhaus ist das eine Katastrophe", sagt die Laborleiterin, "weil wir die Menschen doch entsprechend versorgen wollen." Gerade für Krebspatienten sie es "manchmal eine menschliche Katastrophe". Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Der Mangel habe mit den Lockerungen in der Corona-Pandemie bereits deutlich vor der üblichen Ferienflaute eingesetzt. "Die kommt jetzt noch oben auf." Dazu komme noch die Flutkatastrophe in Teilen NRWs und von Rheinland-Pfalz. Das kann auch Claudia Müller bestätigen, Sprecherin des DRK-Blutspendedienstes West. Aufgrund der Unwetter und ihrer Folgen mussten bereits viele Blutspendetermine ausfallen. Glücklicherweise habe das Zentrallager in Hagen, wo Blutspenden aufbereitet werden, mit Sandsäcken und Pumpen vor den Wassermassen geschützt werden können. Claudia Müller schlägt dennoch Alarm: "Die Lage ist weiter angespannt. Derzeit reichen unsere Reserven für zwei Tage, sie sollten aber für sieben bis acht Tage reichen." Das entspräche weit mehr als 20.000 Blutkonserven, im Moment seien es aber nur rund 6.000. Die Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb müssen daher genau abwägen, ob sie die Bestellungen der Kliniken in Gänze erfüllen können oder ob sie gekürzt werden müssen. " Sie ruft daher noch einmal nachdrücklich dazu auf, an Blutspendeterminen teilzunehmen. Dem schließt sich Klaus Leimkühler ein, dem das "sehr eindrückliche Telefonat" auch noch nachhängt. "So etwas ist mir in 32 Berufsjahren noch nicht untergekommen." Darum seine Bitte: "Kommt alle und spendet Blut! Die Blutspende ist ein soziales Engagement und eine der einfachsten Methoden ein Menschenleben zu retten."

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