Turmverlies wird neuer Erlebnisort auf der Sparrenburg

Bielefeld. Es ist doch immer wieder verblüffend, den Ursprung von Redewendungen zu erfahren, die wir im Alltag so gerne benutzen. "Die Luft ist rein", diesen Spruch haben wir doch wohl alle schon mal benutzt, ohne gleich eine kriminelle Tat zu planen oder auf der Flucht zu sein. Und wenn uns jemand betuppen wollte, haben wir im besten Fall vorher "Lunte gerochen". Auf der Sparrenburg gehörten diese Redensarten im Mittelalter zum Alltag. Davon erzählt Burgführerin Sabine Schmidt den Besuchern schön anschaulich - bei einer Tour durch die unterirdischen Gänge und Gewölbe der Festung, die seit kurzem wieder möglich sind. Und das Turm-Verlies soll in Kürze der neue spannende Erlebnisort auf der Burg werden. Punkt 12 Uhr schart sich am Samstag eine bunt-gemischte, knapp 20-köpfige Gruppe um Sabine Schmidt von Bielefeld Marketing. Die Teilnehmer wollen mit auf Kasematten-Tour, erleben und erahnen, wie die Soldaten und Kanoniere früher in der Burg gelebt und gearbeitet habe. Deren Berufsbeschreibung würde heute wohl alle nur verschrecken. Gerade die Kanoniere der 26 Kanonen der Festung lebten extrem gefährlich. Da war es gut, wenn sie die Lunte riechen und Schutz suchen konnten, weil dann nämlich kurze Zeit später eine der todbringenden Waffen abgefeuert wurde. Das Schwarzpulver, das die handball- bis fußballgroßen Kanonenkugeln abfeuerte, vernebelte die Kasematten. Erst wenn die Luft rein war, konnte es weitergehen. Die Schüsse der Kanonen ließen die Soldaten auf Dauer ertauben, ausgeglühte Eisenrohre konnten ihnen schrapnellartig um die Ohren fliegen. Die Gefahr machte 10 Prozent des Jobs aus, 90 Prozent waren Langeweile, wie Sabine Schmidt lebhaft erzählt. Bei der Schilderung von Männern, die wochenlang ungewaschen im Schummerlicht des Schusterrondells und der anderen Rondells aufeinander hockten und von trockenem Brot, Dünnbier und Hülsenfrüchten leben mussten, von vollen Latrineneimern, die notfalls auch noch als Waffe eingesetzt wurden, rümpfte sich so manche Nase. Glücklicherweise haben die bis zu 9 Meter dicken Mauern diese Gerüche nicht gespeichert, sie sind aber gleichwohl eindrucksvolle Zeugen vergangener Zeiten. Zu den Kasematten-Tourern gehört auch Steffi aus Bielefeld. Sie hat nach eigenen Worten zuletzt in der Grundschulzeit an einer Führung teilgenommen und hat den Besuch von Luisa aus Hessen zum Anlass genommen, nach vielen Jahren wieder einmal tiefer in die Geschichte der eigenen Stadt einzutauchen. Alice stammt aus dem Rheinland, lebt aber schon seit Jahren in Bielefeld. Eine Freundin habe sie spontan überredet, mit der Familie an der Führung teilzunehmen, erzählt sie. Die Kasematten sind Neuland für sie. In der eigenen Heimatstadt komme man, anders als im Urlaub, eher selten auf eine solche Idee, räumt sie ein und lächelt. Zum Thema: Das sind die letzten Geheimnisse der Sparrenburg Ein Ehepaar aus Hengelo in den Niederlanden hat sich zum Spontantrip in die Leineweberstadt entschieden. "Ein Angebot eines Bielefelder Hotels in unserer Zeitung hat uns gelockt", sagt die Dame im Rentenalter. Drei Tage, zwei Nächte sind sie nun hier, haben schon eine Stadtführung hinter sich, wollen noch ins Bauernhausmuseum und in den Tierpark. Bielefeld, das sich um die Mittagszeit trocken und bei 23 Grad äußerst freundlich präsentiert, gefällt ihnen ausgesprochen gut. Die rund 800 Jahre alte Sparrenburg - ihr genaues Alter ist nach wie vor ein Geheimnis - hat noch viel mehr zu bieten. Trotz Corona darf auch der 31,5 Meter hohe Turm der Bielefelder Feste, die mit 9.000 Quadratmetern flächenmäßig eine der größten Burganlagen in Deutschland ist, wieder bestiegen werden. Das älteste erhaltene Bauwerk ist der Brunnen am Fuß des Turms, der einst in zehn bis 15 Jahren mühsamer Arbeit auf 60 Meter abgeteuft worden ist. Wer den Blick vom Turm exklusiv haben mag, kann ein "Picknick mit Aussicht" für bis zu fünf Personen buchen. Der schönste Ausblick auf die Stadt darf eine Stunde lang in Ruhe genossen werden, dazu gibt es einen Picknick-Korb mit westfälischen Leckereien aus dem Restaurant der Sparrenburg. Eine Idee in der Pandemie, die sich als besonders beliebt herausgestellt hat, wie Gabriela Lamm, Leiterin der Tourismus-Abteilung bei Bielefeld Marketing, erzählt. Bis Ende des dritten Quartals sind bereits alle Termine ausgebucht. Ab Oktober werden neue Angebote eingestellt - dann allerdings nur noch am Wochenende. "Der Turm ist ein eben emotionaler Ort für die Bielefelder, sagt Lamm. Dazu soll sich auch das Turmverlies entwickeln. Gabriela Lamm verrät, dass der Raum, der zuletzt vom Restaurant als Getränkelager genutzt worden war, voraussichtlich ab September im Veranstaltungskalender auftauchen soll. "Wir arbeiten gerade an der Konzeption", sagt Lamm, "der beeindruckende Raum eignet sich sehr gut, spannende Geschichten mit einem Augenzwinkern zu erzählen". Für die Kinder soll es Mitmachführungen und Anschauungsobjekte gebe. "Wir sind schon in der Probephase", sagt Sabine Schmidt, die auch eine erfahrene Museumspädagogin ist.

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