Eine Verkehrswende muss Autos ausbremsen

Bielefeld. Als der Stadtrat im Juli 2019 den Klimanotstand in Bielefeld ausrief, hielten das viele für einen symbolischen Akt. Mehr nicht. Die Koalitionäre rund um SPD und Grüne verdeutlichten damit ihr Ansinnen, die Verkehrswende bis 2030 schaffen zu wollen. Das Ziel war und ist hochgesteckt. Der Autoanteil soll zugunsten von Radfahrern, Fußgängern und öffentlichem Nahverkehr halbiert werden. Nicht wenige schüttelten damals ungläubig den Kopf. Realitätsfern sei der Plan. Das ist nun zwei Jahre her. Inzwischen sieht die Bielefelder Welt anders aus. SPD und Grüne haben im Stadtrat den Umbau des Jahnplatzes durchgedrückt – mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit und einem Konzept, das mit der heißen Nadel gestrickt war. Die Quittung hat die Stadt bekommen. Die Kosten für die Bauarbeiten sind um 60 Prozent (8,4 Millionen Euro) auf 22 Millionen Euro gestiegen. Die öffentliche Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Doch genauso schnell, wie sie kam, ist die Bürgerkritik wieder verstummt. Baukosten beuteln Behörden Das Aufregungspotenzial hat sich abgeschliffen. Großprojekte, die von Behörden geplant und in Auftrag gegeben wurden, kamen in den vergangenen Jahren selten beziehungsweise noch nie mit dem geplanten Budget hin. Mehrkosten überraschen niemanden mehr. Man rechnet schon fast damit. Besser macht es das nicht. Die Entwicklung ist grotesk und schadet dem Ruf der Behörden. Ein politisches Nachspiel wird es natürlich geben. Die FDP hat beantragt, dass die Verwaltung detailliert die Kostenentwicklung vorlegt und auflistet, wann und durch was sie anstieg. Gut so. Passieren soll das am 18. Mai im Stadtentwicklungsausschuss. Gut eine Woche später tagt der Stadtrat. Auch hier wird es um ein umstrittenes Projekt gehen. Der Rat wird darüber entscheiden, welche Straßen in der Altstadt ab Juni gesperrt werden sollen. Die linke Mehrheit will einen Verkehrsversuch starten. Das Ziel: weniger Autos im City-Hufeisen. Stattdessen mehr Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger. Der positive Nebeneffekt: Die Außen-Gastronomie soll mehr Raum bekommen. Zusätzliche Spielplätze oder offene Bühnen sind denkbar. Notwendige Verkehrswende Tausende Bielefelder haben sich in den vergangenen Monaten dafür stark gemacht. Das Projekt heißt altstadtraum.de. Umstritten ja, aber auch ein gelungenes Projekt mit guten Ideen. Ein weiterer Schritt in die notwendige Richtung zur Verkehrswende. Nun sollen einige Ideen Realität werden. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung ein politischer Schlagabtausch. Es gibt Reizwörter, die bei Autofahrern und Innenstadt-Einzelhändlern Sprengstoffwirkung entfalten. Die Erwähnung der &bdquo;autofreien Altstadt” gehört dazu. Kombiniert mit Baustellen (besonders der Dauerbaustelle am Jahnplatz), Straßensperren und dem ersatzlosen Streichen von Parkplätzen potenziert sich die Wirkung. Die Aufgeregtheit ist groß. Autofahrer fürchten Staus, ewige Parkplatzsuchen, lange Wege zu den Läden der Altstadt. Nicht minder groß sind die Sorgen der Einzelhändler, dass einkaufsfreudige Kunden nicht mehr zu ihnen gelangen. All diese Ängste werden ernst genommen. Auch deshalb sollen die Instrumente zur Reduzierung des Autoverkehrs zunächst zeitlich begrenzt umgesetzt werden. Außerdem ist zu erwarten, dass umstrittene Vorhaben wie die Absperrung der Straße Waldhof ausbleiben. Doch ein Problem bleibt. Der Zeitpunkt des Versuchs. Sorgen behindern Verkehrsversuch Die Pandemie stellt aktuell alles auf den Kopf. Der Jahnplatz ist weiterhin gesperrt. Beides sind Faktoren, die Einzelhändlern schon jetzt große Sorgen bereiten. Welche Aussagekraft hätte ein Verkehrsversuch in so einer Phase am Ende? Besser wäre es, noch zu warten. Es sollte das Ziel sein, möglichst viele vom Erfolg oder zumindest der Sinnhaftigkeit des Verkehrsversuches zu überzeugen. Vorrecht für Fußgänger und Radfahrer – das sind auch die Stichworte der jüngsten Entwicklung zur Verkehrswende. Fahrräder erhalten Vorfahrt Im Amt für Verkehr sollen bis nächstes Jahr 22 neue &bdquo;Fahrrad-Stellen" geschaffen werden. Nicht nur das. Für Fahrradwege soll in Zukunft deutlich mehr Geld ausgegeben werden. Statt 2,6 Millionen Euro pro Jahr werden es ab 2024 13,8 Millionen Euro sein. Diese Entscheidung ebnet ebenfalls den Weg zur Klimaneutralität. Politisch gesehen ist der Schritt konsequent. Die rot-grün-rote Koalition hat die Bielefelder auf die Verkehrswende eingeschworen. Die Menschen sollen sich nicht mehr hauptsächlich in Autos mit Benzin- oder Dieselmotor fortbewegen, sondern auf dem Fahrrad, mit Bus und Bahn und in Autos mit emissionsfreien Antrieben. Noch ist nicht jeder überzeugt. Aber über weniger Stau, Lärm und Abgase freuen sich am Ende alle.

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