Intensiv-Stationen und Inzidenz - das Bielefelder Coronajahr im Rückblick

Bielefeld. An welchem Wert soll sich die Corona-Politik orientieren? Seit Beginn des Jahres wird immer wieder diskutiert, ob der Sieben-Tage-Inzidenz-Wert noch der ausschlaggebende Faktor für Corona-Maßnahmen sein sollte. Auch die derzeitige Bundesnotbremse richtet sich nach bestimmten Inzidenzwerten. Kritik an dem Wert kommt häufig von öffnungsfreundlicheren Stimmen wie dem Virologen Hendrik Streek oder aus der FDP. Auf der anderen Seite betonen Gesundheitsexperten wie der Epidemologe Karl Lauterbach die Wichtigkeit des Inzidenzwerts. Als alternativer Wert wird in dieser Diskussion häufig die Auslastung von Intensivstationen genannt. Zusammen mit Sebastian Rehberg, Klinikdirektor unter anderem für Intensiv- und Notfallmedizin am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB), hat die NW sowohl die Inzidenzwerte als auch die Intensivauslastung seit Beginn der Pandemie für Bielefeld betrachtet. Erste Welle "In der ersten Welle wurde Bielefeld nahezu von Corona verschont", sagt Rehberg. Der Chefarzt ist seit damals Mitglied der medizinischen Einsatzleitung zu Covid-19 im EvKB und Krankenhaus Mara. Der höchste Inzidenzwert damals lag bei 34,4 am 28. März. Die Intensivauslastung selbst wird erst gegen Ende der ersten Welle erfasst. Am 24. April wird erstmalig gezählt, wie viele Intensiv-Betten in jeder Klinik frei und belegt sind. In Bielefeld sind dies 68 freie Betten und 99 belegte. Ein für Intensivstationen außergewöhnlich hoher Wert. "Das war ein ganz anderer politischer Rahmen", sagt Rehberg. "Es gab per Erlass einen richtigen Stop. Alle planbaren Eingriffe, die nicht lebensnotwendig waren, wurden verschoben." Dadurch sei auf den Intensivstationen Platz für mögliche Corona-Patienten geschaffen worden. !function(){"use strict";window.addEventListener("message",(function(a){if(void 0!==a.data["datawrapper-height"])for(var e in a.data["datawrapper-height"]){var t=document.getElementById("datawrapper-chart-"+e)||document.querySelector("iframe[src*='"+e+"']");t&&(t.style.height=a.data["datawrapper-height"][e]+"px")}}))}(); Sommer 2020 "Die normale Auslastung einer Intensivstation liegt im Minimum bei 80 Prozent", sagt Rehberg. "Häufig bei über 90 Prozent." Wie viele Betten dann zur Verfügung ständen, sei nicht nur eine Frage der vorhandenen Liegemöglichkeiten, sondern viel mehr auch der vorhanden Pflegekräfte. Denn jeder Intensivplatz benötigt eine entsprechende Betreuung. Das Bild, das sich im Sommer des vergangenen Jahres zeigt, entspricht laut Rehberg dem, was in Bielfeld eine normale Intensivauslastung ist. Die Inzidenz liegt in diesem Zeitraum selten über zehn, Mitte August kurzzeitig bei 17,7. Freie Intensivbetten liegen meist zwischen 30 und 40 mit einigen Ausreißern nach oben und unten. !function(){"use strict";window.addEventListener("message",(function(a){if(void 0!==a.data["datawrapper-height"])for(var e in a.data["datawrapper-height"]){var t=document.getElementById("datawrapper-chart-"+e)||document.querySelector("iframe[src*='"+e+"']");t&&(t.style.height=a.data["datawrapper-height"][e]+"px")}}))}(); Zweite Welle "Die zweite Welle hat uns kalt und mit voller Wucht erwischt", sagt Rehberg. Seit Beginn des Oktobers stieg die Inzidenz auch in Bielefeld und lag Ende des Monats bereits bei über 130. Ab Mitte Oktober fällt auch die Zahl der freien Betten stark. "Das sind etwa 14 Tage Verzögerung", sagt Rehberg. Also genau der Zeitraum, in dem sich die Folgen der steigenden Inzidenz über den Infektionsverlauf in den Intensivstationen bemerkbar machen müssten. Bis Januar setzt sich dieser Trend in Bielefeld fort. Die Inzidenz steigt fast unaufhörlich (Höchstwert 289). Im Schnitt gibt es in dieser Zeit meist nur um die 20 freie Intensivbetten (Niedrigstwert 13). Gleichzeitig gibt es regelmäßig mehr als 20 beatmete Covid-Patienten (Höchstwert 30). "Dann kam der softe Lockdown. Der hatte keinerlei Effekte", sagt Rehberg. Die Zahlen bleiben auf dem Niveau - und das sei für eine Intensivststaion schon belastend. "Die Zusatzbelastung, die 30 beatmeten Covid-Patienten, das kommt alles on top auf das normale Notfallprogramm", sagt Rehberg. "Gerade im Dezember und Januar hatten wir schon die eine oder andere kritische Situation, wo wir geguckt haben: Was ist die nächste Eskalationsstufe?" Zwar könnten grundsätzlich durch Schließung anderer Stationen im Notfall immer noch weitere Kapazitäten geschaffen werden, doch zu dieser Zeit hätte es auch Überlegungen gegeben, ab einer zu starken Belastung Patienten nach außen zu verlegen. "Dazu kam es dann Gott sei Dank nicht", sagt Rehberg. Dritte Welle Von Mitte Januar bis Anfang März sinken die Inzidenzzahlen wieder. Anfang März und Ende Februar werden dadurch wieder mehr als 30 Betten auf der Intensivstation frei (Höchstwert 37) und die Zahl der beatmeten Patienten fällt unter 20. Anfang März kommen dann die Lockerungen und kurz darauf die dritte Corona-Welle. Die Inzidenz steigt bis Ende April wieder auf über 200 und zeitgleich steigt auch wieder die Zahl der invasiv beatmeten Patienten, allerdings nicht so stark wie bei der zweiten Welle. Die Zahl der freien Betten sinkt ebenfalls und es sind nur selten mehr als 20 pro Tag frei. "Trotz hoher Inzidenz ist der Anstieg an Patienten eher schleichend gekommen", sagt Rehberg. "Hätten Sie mich vor vier bis fünf Wochen gefragt, hätte ich mit einer höheren Auslastung gerechnet." Das sei aber auf keinen Fall ein Grund zur Entwarnung. "Seitdem befinden wir uns konstant in einer Art "Fahren auf Sicht". Es ist trotzdem eine ganz angespannte Situation und es könnte immer noch den Ausschlag nach unten geben", sagt der Intensivmediziner. Das passiert zum Beispiel am sechsten Mai. Da sind auf einmal nur noch fünf Intensivbetten in ganz Bielefeld frei. Rehberg vermutet hinter der Zahl plötzlichen Personalmangel in den Bielefelder Krankenhäusern. Doch woher kommt der aktuell möglicherweise trügerische Frieden? "Die Theorie ist, dass die Impfung doch Effekte zeigt", sagt Rehberg. Dadurch kämen weniger Patienten. Darin sieht er aber noch kein klares Zeichen für ein Aufweichen der Bedeutung des Inzidenzwertes. "Ich freue mich über den derzeitigen Frieden, aber ich wäre deutlich ruhiger, wenn wir wieder unter einer Inzidenz von 100 wären", so Rehberg.

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