Alltag im Gefängnis: "Mörder benehmen sich nicht automatisch schlecht"

Bielefeld. Das hier ist kein Job wie jeder andere: Wenn Kevin (27) morgens um 7 Uhr seinen Dienst beginnt, dann in Gefängniskluft. Wenn er Feierabend macht, wird er durchsucht, ob nicht doch ein Stecheisen in seinem Schuh steckt. Der 27-Jährige verbüßt in der JVA Bielefeld-Brackwede eine knapp vierjährige Haftstrafe. &bdquo;Brandstiftung", erklärt er. &bdquo;16 Monate muss ich noch." In seinem Leben &bdquo;draußen", wie er sagt, war er Staplerfahrer. In der JVA Bielefeld-Brackwede produziert er Holzspielzeug. In einem zweistöckigen Gebäude auf dem Gelände der JVA ist die Arbeitstherapie untergebracht. Kai Wiegner hat hier das Sagen. Der 59-jährige JVA-Beamte ist seit 32 Jahren im Beruf, hat als Tischler und Taxifahrer gearbeitet. Unter Wiegners Aufsicht werden in der Haftanstalt Lernuhren, Pferdehocker oder Rennautos aus Holz gefertigt. &bdquo;Ich muss schauen, was der Gefangene für ein Potenzial hat", sagt Wiegner. Dementsprechend setzt er ihn ein. "Schwere Körperverletzung, versuchter Mord" Kevin (27) pinselt einen Holzfrosch mit grünem Acryllack an. &bdquo;Abends weiß ich, was ich getan habe", sagt er. Das gebe ihm ein gutes Gefühl, genauso wenn er Lob von Wiegner bekomme. &bdquo;Das motiviert." Gegenüber von ihm arbeitet an diesem Morgen Jörg (56) an einer Katzentreppe, ölt sie ein, der letzte Schliff sozusagen. Sieben Jahre und zwei Monate sitzt er. Zehn Jahre habe er bekommen, &bdquo;schwere Körperverletzung, versuchter Mord", zählt er auf. Jörg war Gärtner bei der Stadt. Beide, Kevin und Jörg, sind heute Vorarbeiter in der Arbeitstherapie. In der JVA Brackwede arbeiten Gefangene an Produkten für den Knastladen (www.knastladen.de). Insgesamt 35 Betriebe in 28 Justizvollzugsanstalten des Landes NRW stellen die unterschiedlichsten Dinge für den Online-Shop des Justizvollzuges her. Den Knastladen gibt es seit 2008. Derzeit sind etwa 1.500 Artikel im Angebot, von Schmuck über Handtaschen und Vogelhäusern bis hin zu urigen und technisch ausgereiften Grills. Einige JVAs haben sich laut Justizministerium sogar spezialisiert: wie die JVA Werl auf Tierbedarf. In der JVA Remscheid werden sogar Schuhe hergestellt. Jede JVA hat so seins. &bdquo;Wir wollen uns da keine Konkurrenz machen", sagt Wiegner. Die beliebtesten Produkte sind laut Justizministerium die Weinkiste aus der JVA Remscheid, der Nistkasten Standard aus der JVA Essen und die Villa Hasenfuß, die in der JVA Werl produziert wird. Der Renner in Brackwede: das Schwert Exknastibur. Die Arbeitstherapie ist kein Plusgeschäft Aber auch nebenan, in der JVA Bielefeld-Senne, sind die Gefangenen kreativ. Hier werden zum Beispiel das Insektenhotel Ummeln oder Futterhäuser hergestellt, sagt Sprecher Axel Berger. Vertrieben werden die Sachen ebenfalls über die Plattform Knastladen.de. Darüber hinaus gibt es im Hafthaus Ummeln auch einen realen Knastladen, in dem Bürger, Bedienstete und Inhaftierte die Waren kaufen können. Ein großer Abnehmer der Brackweder JVA ist neben dem Knastladen auch &bdquo;Little Balloon", ein Online-Shop aus Hamburg, der Accessoires fürs Kinderzimmer verkauft. Pferde- oder Schweinchenhocker für Kinder oder kleine Bänke zum Beispiel. &bdquo;Damit machen wir 80 bis 90 Prozent unseres Umsatzes", sagt Wiegner. Die Arbeitstherapie sei allerdings kein Plusgeschäft, von den Einnahmen werde Material gekauft. Die Türen stehen hier offen Bei Kai Wiegner arbeiten hauptsächlich Gefangene, die nicht zu wirtschaftlicher Arbeit fähig sind. &bdquo;Weil sie körperliche oder psychische Einschränkungen haben oder der Arbeitsdruck einfach zu hoch ist", erklärt er. Hier bei ihm stehen andere Dinge im Vordergrund. &bdquo;Es geht darum, dass sie aus der Zelle rauskommen." In der Arbeitstherapie stehen die Türen offen, die Gefangenen können sich frei bewegen. Wer hier arbeitet, hat entweder einen Antrag gestellt oder Wiegner bekam den Hinweis eines Psychologen. Die Einrichtung &bdquo;Sicherheit und Ordnung" schaut dann, ob der Gefangene geeignet ist. Die, die schon mal einen Ausbruchsversuch unternommen haben, haben eher schlechte Karten. Es sind aber nicht nur die Kleinkriminellen, die hier arbeiten. &bdquo;Auch Mörder sind dabei", sagt Wiegner. &bdquo;Die benehmen sich ja nicht automatisch schlecht." Wiegner hat Platz für 20 Leute. Einige hätten einen Durchhänger, die müsste man erst mal wieder an die Arbeit heranführen und motivieren, erklärt er. &bdquo;Mein Hauptauftrag ist es, die Gefangenen irgendwann weiterzuvermitteln." In die Hof- oder Baukolonne zum Beispiel. In der Regel sind die Gefangenen ein Jahr in der Arbeitstherapie. Aber auch das variiert. &bdquo;Hier hat auch schon mal jemand 28 Jahre gearbeitet." Kollegiales Verhältnis untereinander Um 11 Uhr werden die Gefangenen an diesem Morgen zum Essen abgeholt. Dann sind sie auf der Zelle allein. &bdquo;Allzu lange muss das nicht sein", sagt Jörg. Er kommt gerne zu Wiegner in die Werkstatt. Der ist seit 1985 in der JVA Bielefeld-Brackwede. Er behandelt sie alle gleich. &bdquo;Ich kann zu einem Mörder genauso nett sein wie zu anderen." Er weiß, was die Gefangenen auf dem Kerbholz haben. Wiegner kommt gut mit ihnen aus, die meisten seien dankbar, hier arbeiten zu dürfen. Das Verhältnis unter den Gefangenen in der Arbeitstherapie ist kollegial. &bdquo;Es können sich Freundschaften entwickeln", erzählt Kevin. &bdquo;Aber man muss vorsichtig sein." Es ist wohl eher eine Zweckgemeinschaft. Strafgefangene sind in NRW zur Arbeit verpflichtet. Von den 470 Strafgefangenen, die in der JVA Brackwede einsitzen, arbeiten laut Volker Sander, Lehrer in der JVA, 76 Prozent. Untersuchungshäftlinge müssen nicht arbeiten. Für ihren Job bekommen die Gefangenen Geld. &bdquo;Aber nur minimal", sagt Wiegner. &bdquo;Es gibt keinen Job im Gefängnis, der so schlecht bezahlt ist wie hier in der Arbeitstherapie." Die Gefangenen werden nach Anwesenheit bezahlt. 30 Euro Taschengeld bekommen sie ohnehin. Diejenigen, die wenig arbeiten, kämen auf insgesamt 33 Euro. Bei einem Vorarbeiter können es schon mal 200 Euro oder mehr sein. Steuern müssen sie davon nicht zahlen, auch in die Rente nichts. Über das Geld können die Gefangenen frei verfügen Über das Geld können Jörg, Kevin und ihre Kollegen frei verfügen. Die meisten würden es für Tabak und Kaffee ausgeben, sagt Lehrer Sander. Regelmäßig kommt aber auch ein Kaufmann vorbei, der auf Bestellung Waren des täglichen Bedarfs dabei hat. &bdquo;Die Gefangenen bekommen hier eine Grundausstattung, mehr aber nicht", sagt Wiegner. Wer also bestimmte Hygieneartikel haben möchte, muss sie sich verdienen. Genauso Essen, was es eben nicht aus der Gefängnisküche gibt. &bdquo;Hungern muss hier allerdings niemand." Vorarbeiter Jörg hofft, nach seiner Haftentlassung in einem Betrieb Fuß fassen zu können. &bdquo;Dann bin ich allerdings schon 59", sagt er. &bdquo;Einfach wird das nicht mit meinem Führungszeugnis." Er würde aber auch im Ausland arbeiten. Solch eine Arbeitseinstellung freut Sander und Wiegner. Ums Geschäft geht’s hier eben weniger.

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