Arzt vergewaltigt Klinik-Patientinnen: Opfer entsetzt über Bethel-Ermittlungen

Bielefeld. Der Assistenzarzt (32), der während seiner Zeit im Evangelischen Klinikum Bielefeld (EvKB) Patientinnen betäubt und anschließend vergewaltigt hat, ist seit dem 24. September 2020 tot. Er hatte sich in der Haft das Leben genommen. 22 Abschiedsbriefe soll er hinterlassen haben – mit konkreten Handlungsanweisungen an seine Hinterbliebenen. Seine Opfer leben weiter. Wie viele es waren, ist unbekannt. Denn einige der Betroffenen wissen bis heute nicht, dass sich ihr Arzt an ihnen vergangen hat. Die Staatsanwaltschaft entschied im Herbst zunächst, die identifizierten Opfer nicht über die Tat zu informieren. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste war auch Nicole T. (Name geändert) betroffen und ahnte selbst vier Monate nach Bekanntwerden der Tat noch von nichts. Dabei hatte sie im August 2019 in der Neurologie des EvKB von eben jenem 32-jährigen Arzt ein Medikament erhalten – mitten in der Nacht. Danach setzte ihre Erinnerung komplett aus. Ein Video des Täters wird der Kripo später den Beweis liefern, dass der Klinikarzt Nicole T. unter Betäubung oral vergewaltigte. Opfer: "Als ich aufgewacht bin, hatte ich Halsschmerzen" Im TV-Interview erinnert sie sich: &bdquo;Als ich aufgewacht bin, hatte ich Halsschmerzen. Ich dachte mir, dass ich mich erkältet habe." Trotzdem wollte sie dem Chefarzt am nächsten Tag von dem nächtlichen Vorfall berichten. Der Täter soll ihr in der Nacht &bdquo;etwas Schönes zur Entspannung" versprochen haben. Der Chefarzt habe aber keinen Eintrag in der Patientenakte gefunden und die Visite beendet. Erst im Januar 2021 erfuhr Nicole T. eher zufällig, dass sie in jener Nacht Opfer einer Vergewaltigung geworden war. Wie ihr Anwalt Daniel Farrokh aus Bad Oeynhausen berichtet, hatte sich eine Freundin, die sie damals von der Klinik abgeholt hatte, an das irritierende Erlebnis in der Nacht erinnert. &bdquo;Erst da war meiner Mandantin ein Verdacht gekommen. Sie ging zur Polizei und die bestätigte ihr, dass von ihr ein Video vorliege." Nicole T. fühlte sich wie von einem Bus überfahren. Hätte die Klinik früher Verdacht schöpfen müssen? Dass der Assistenzarzt mehrere Frauen vergewaltigt haben soll – sogar von einer dreistelligen Zahl ist inzwischen die Rede –, wird offen berichtet. Schließlich soll der 32-Jährige seine Taten akribisch dokumentiert und in besonders gesicherten Ordnern auf dem Computer abgespeichert haben. Im April 2020 hatten Ermittler in seiner Wohnung zahlreiche Betäubungsmittel, Listen mit Frauennamen und mehrere Videodateien gefunden. Doch erst die Entschlüsselung dieser Dateien im September 2020 brachte das schreckliche Ausmaß der Taten zum Vorschein: Der Arzt hatte sich bei den Vergewaltigungen selbst gefilmt. Hätte die Klinik früher Verdacht schöpfen und Konsequenzen ziehen müssen? Wie berichtet, war das erste bekannte Opfer (36) in dem Fall sogar zweimal von dem Assistenzarzt vergewaltigt worden: im Juli 2019 und im September 2019. In beiden Fällen hatte die 36-Jährige dem Personal vom ungewöhnlichen Verhalten des Assistenzarztes berichtet. Nicole T. berichtete Vergleichbares im August. Hinweis vom Pflegepersonal: "Der Arzt tut den Patientinnen doch mehr an" Nach Kontraste-Recherchen sollen Ende 2019 selbst vom Pflegepersonal Vermutungen geäußert worden sein, dass der Arzt den Patientinnen &bdquo;doch mehr antut", als nur falsche Medikamente zu verabreichen. Als im Januar 2020 eine weitere Patientin Meldung über den Arzt macht, soll ihm der Chefarzt laut Kontraste untersagt haben, das Betäubungsmittel Propofol zu benutzen – drei Monate vor seiner Suspendierung, die direkt auf die Wohnungsdurchsuchung erfolgte. Seit jüngstem Herbst ermitteln die Behörden wegen des Verdachts der &bdquo;Beihilfe durch Unterlassen" gegen einen Oberarzt, den Chefarzt und die Klinikleitung. Auch Nicole T. erstattete Anzeige noch während ihrer Zeugenaussage. Die Ermittlungen dauern weiter an, sagt Moritz Kutkuhn, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Das EvKB wollte sich wegen der laufenden Ermittlungen nicht zu den neuen Erkenntnissen äußern. Im September 2019 hatte die Klinik Labortests angestrengt. Das sich schnell abbauende Propofol war 18 Stunden nach dem Vorfall Tat nicht mehr nachzuweisen. Der geäußerte Verdacht erhärtete sich daher nicht. Staatsanwaltschaft soll Opfer über Geschlechtskrankheiten unterrichten Zumal 2019 noch niemand geahnt hatte, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen mutmaßlichen Serienvergewaltiger handeln könnte. Die Ermittlungen wurden wegen falscher Medikamentenabgabe geführt. Farrokh: &bdquo;Trotzdem hätte die Klinik recherchieren müssen, warum ihr Assistenzarzt zu nachtschlafender Zeit Patientinnen Infusionen gibt", sagt der Anwalt im TV-Interview. Im Gespräch mit der NW ergänzt er zudem seine Kritik an den Ermittlungsbehörden: &bdquo;Dass die Staatsanwaltschaft entschieden hat, die betroffenen Frauen nicht zu unterrichten, kann ich nicht nachvollziehen." Zwar sei es akzeptabel, dass man Opfer, die keinen Verdacht hegen, mit der Tat nicht belasten wollte. &bdquo;Aber spätestens mit der Obduktion hätte man umschwenken müssen." Daniel Farrokh wie auch Stefanie Höke, Anwältin des ersten Opfers, bestätigen, dass der Täter ansteckende Geschlechtskrankheiten hatte. &bdquo;So etwas muss behandelt werden", betont Farrokh. Ermittlungen ohne Opfer-Aussagen? &bdquo;Außerdem können Opfer, die nichts von der Tat wissen, keine Ansprüche gegen Ärzte oder Hinterbliebene stellen", sagt der Jurist. Und sie könnten auch nicht zur Aufklärung beitragen: &bdquo;Was ist denn, wenn sich vor meiner Mandantin noch zehn andere Frauen über den Arzt beschwert haben?" Das ARD-Politikmagazin &bdquo;Kontraste" berichtet über den Fall des Bielefelder Assistenzarztes am Donnerstag, 15. April, im Ersten um 21.45 Uhr. Zum Thema: Das EvKB schaltet eine Hotline für Missbrauchsopfer

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