Jugendliche sticht mit Messer auf Freundin ein und erhält mildes Urteil

Bielefeld. Im Prozess um einen versuchten Mord unter zwei Schulfreundinnen in Bielefeld ist am Mittwoch vor dem Landgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Urteil gefällt worden. Weil sie von der möglichen Tötungsabsicht zurücktrat, erhielt die Jugendliche keine Jugendhaftstrafe, berichtete Landgerichtssprecher Guiskard Eisenberg. Angeklagt war eine inzwischen 15-jährige Bielefelderin, die am Abend des 26. April 2020 ihre beste Freundin bei sich zu Hause im Treppenhaus nach einem Treffen offenbar völlig unerwartet mit einem Messer angegriffen hatte und dabei lebensgefährlich verletzt haben soll. Dabei soll sie zwölfmal von hinten zugestochen und auch auf den Kopf ihres Opfers eingetreten haben. Die IV. Große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld sprach die zur Tatzeit 14-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig und erteilte die Weisung, für die Dauer eines Jahres an einer psychotherapeutischen Behandlung teilzunehmen. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe lagen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Das erklärte Landgerichtssprecher Eisenberg. Mutter der Angeklagten rettete dem Opfer das Leben Die damals 15-jährige Freundin wurde durch die Stiche und Schnitte lebensgefährlich verletzt, überlebte aber. Sie musste zehn Tage lang mit Stichverletzungen in Schulter und Brust sowie mit einem Schädel-Hirn-Trauma durch die Tritte im Krankenhaus behandelt werden. Wie die eigens nach der Tat eingerichtete "Mordkommission Linde" herausfand, war es die Mutter der Angeklagten, die in dem Mehrparteienhaus am Lindenplatz eingriff, ihre Tochter entwaffnete und vom Opfer weggezogen haben soll. Laut ihrem Anwalt Peter Rostek, seien die Wunden der Schülerin inzwischen gut verheilt. Narben würden dem Opfer aber immer bleiben. Anfangs sei auch eine psychologische Betreuung nötig gewesen. Eine Erklärung für die Tat hatte das Opfer bis zur Verhandlung nicht. Vor Gericht stellte sich dann heraus, dass sich die Angeklagte von ihrer Freundin zurückgesetzt und gedemütigt gefühlt hatte. Längere Zeit vor der Tat soll die Freundin die nun Angeklagte vor Mitschülern an den Haaren gezogen haben. "Eine Tat aus Zorn" Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass die Angeklagte ihre Schulfreundin regelrecht in eine Falle gelockt habe - sie wollte sich laut Eisenberg für die zurückliegende Demütigung revanchieren. Die Kammer ging deshalb auch davon aus, dass die Angeklagte der Freundin vorgab, sie könne im Keller einen Hund treffen. In dem im Umbau befindlichen Treppenhaus soll sie sich dann ein herumliegendes Messer gegriffen und von hinten angegriffen haben. Die Staatsanwaltschaft ging von einer Tat aus Zorn und einer verminderten Schuldfähigkeit aus. "Aufgrund der stumpfen Klinge, die nur unzureichend im Griff befestigt war", war das Messer für eine Tötungshandlung "eher nicht geeignet", so Eisenberg. Rücktritt der Tat und sofortige Entschuldigung Juristisch wichtig: Das Opfer konnte zwischenzeitlich weglaufen. Als die Angeklagte sich erneut das oder ein anderes Messer griff und "in den erleuchteten Waschkeller kam, sah sie das Blut an ihren Händen und dachte: 'Das bin nicht ich.'" Der psychiatrische Gutachter geht davon aus, dass die Jugendliche in diesem Moment aus dem Affekt-Tunnel auftauchte. Denn sie folgte ihrer Freundin und entschuldigte sich für ihr Tun. Auch vor Gericht gestand die Angeklagte das Tatgeschehen. Die Kammer geht davon aus, dass die Schuldfähigkeit der Jugendlichen zur Tatzeit vermindert war. Zu therapieren sei jetzt eine Persönlichkeitsfehlentwicklung, die im Laufe des Verfahrens festgestellt wurde. Nach Angaben von Eisenberg sprachen zwei Dinge gegen eine Jugendstrafe: "Bei der Jugendlichen waren weder schädliche Neigungen festzustellen, noch lag aufgrund ihres Affektzustands eine Schwere der Schuld vor". Das Opfer ist fassungslos Obwohl die Jugendliche schon vor der Tat mehrfach Kontakt zum Jugendamt gehabt haben soll (ein Insider sprach auch von Häuslicher Gewalt zu Hause), sei eine Unterbringung in einer geschlossenen Therapieeinrichtung nicht erforderlich. Die erzieherischen Mindestanforderungen im Elternhaus würden nicht unterschritten, so das Gericht. Die Öffentlichkeit wurde zum Schutz der Jugendlichen von dem Prozess ausgeschlossen. Während die Staatsanwaltschaft zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung gefordert hatte und Nebenklagevertreter Peter Rostek fünf Jahre wegen versuchten Mordes gefordert hatte, hatte Verteidiger Baris Devletli auf einen Freispruch plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nebenklagevertreter Peter Rostek sprach davon, dass dieses milde Urteil für das Opfer schwer zu ertragen sei. "Meine Mandantin und ihre Mutter waren fassungslos." Rostek wolle nun die Möglichkeiten der Revision prüfen.

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