1988 gewann er den Hermann, jetzt walkt er

Bielefeld. Das Coronavirus bestimmt seit Wochen unseren Alltag. Langsam – aber sicher – kommt wieder etwas Normalität zurück. Die vielen Geschichten rund um unser Leben mit dem Virus fasst die Neue Westfälische in dieser Rubrik zusammen. Wollen auch Sie berichten? Dann schreiben Sie an: bielefeld@nw.de &bdquo;Auf einen Walk" in Corona-Zeiten Bewegung hilft, erst recht in Corona-Zeiten! Ausdauersport – Wandern, Nordic Walking oder Laufen – aktiviert nicht nur die Muskulatur und das Herz-Kreislauf-System, sondern auch das Gehirn. Bewegung in der Natur befreit von der Nachrichtenflut, von Sorgen und Ängsten und hilft, Ordnung und Klarheit im Kopf wiederherzustellen. Daher lade ich Sie zu einer weiteren Nordic-Walking-Tour ein. Kommen Sie – virtuell – mit! Die Tour beginnt an der Habichtshöhe, in der sich das Restaurant Allegro befindet, und führt uns auf dem Hermannsweg Richtung Lämershagen. An den dortigen Treppen mache ich kehrt und zurück geht es auf identischem Kurs. Für die etwa 10 Kilometer lange Strecke benötige ich beim Nordic Walking etwa 90 Minuten. Der Parkplatz vor dem Restaurant ist wie immer gut gefüllt. Aber kein Vergleich zum Hermannslauf, der hier vorbeiführt. Am letzten Sonntag im April beginnt hier die heiße Phase dieses Traditionslaufs vom Hermannsdenkmal zur Sparrenburg. Hier, ca. 2,5 Kilometer vor dem Ziel, stehen zahlreiche Zuschauer Spalier und &bdquo;tragen" die Teilnehmer sprichwörtlich ins Ziel. Zum ersten Mal seit dem Start 1972, fiel der Hermannslauf coronabedingt in diesem Jahr aus. Einfach nur schade! "Die Endorphine schlagen Purzelbäume" Mit viel Wehmut im Kopf starte ich meine Nordic-Walking-Tour in entgegengesetzter Richtung zum Hermannslauf. Nach ca. 160 Metern, am Ende des Parkplatzes, beginnt ein kräftiger Anstieg. 400 Meter mit durchschnittlich 10 Prozent Steigung vertreiben alle trüben Gedanken an die diesjährige Absage. Oben angekommen, schlagen die Endorphine in meinem Kopf Purzelbäume. Ich bin umgeben von hohen Buchen, deren Blätter ein dichtes Dach bilden. Dazu zwitschern die Vögel um die Wette. Glück kann so einfach sein! Doch dann der Schock! Kaum habe ich die &bdquo;Girsch-Kuhle" erreicht, benannt nach dem Läufer R. Giersch, der 2019 beim Hermannslauf hier schwer stürzte, sich dank vieler Helfer wieder aufrappelte und schließlich ins Ziel lief, ohne Erinnerung an die letzten Kilometer, zeigt der Klimawandel seine hässliche Fratze: Die südliche Flanke des Teutoburger Waldes ist völlig kahl. Wo im letzten Jahr hohe Fichten den Blick in die Ferne versperrten und Schatten spendeten, ragen vereinzelt noch ein paar Birken mahnend ihren Stamm nach oben. "Mit tiefen Furchen durchzogen" Der Hermannsweg ist staubig und mit tiefen Furchen durchzogen. Regenwasser der letzten Tage hat ihn fast weggeschwemmt. Meine vorherigen Glücksgefühle sind wie weggeblasen, ich könnte heulen. Das ändert sich auf den nächsten Metern nicht. Überall das gleiche Bild! Auf dem Gegenhang erkenne ich braune Flecken. Hier stehen noch ein paar Fichten, aber sie kommen daher, wie ein Weihnachtsbaum zu Ostern: Braun und kahl wie ein Skelett! Wann endlich nehmen wir den Klimawandel ernst? Er umschlingt uns wie eine Python und drückt uns unaufhörlich die Luft ab. Erst kurz vor der Osningstraße ändert sich wieder das Bild. Hier tauche ich wieder ein in einen Laubwald. Vorsichtig walke ich über Treppenstufen den steilen Abstieg hinab, überquere die Straße, lasse die Gaststätte &bdquo;Eiserner Anton" links liegen und walke wieder hinauf auf den Kammweg. Bis zum Bismarckturm sind es 1.000 Meter. &bdquo;Links und rechts vom Hermannsweg nur kahle Flächen" Der Zorn über die mangelnde Wahrnehmung des Klimawandels und die zögerliche Vorgehensweise der Politik hat sich gerade etwas gelegt, da trifft es mich erneut wie Donnerhall: Dieses Mal fehlt der Wald völlig! Links und rechts vom Hermannsweg nur Einöde und kahle Flächen. Als ich 1976 mit der Lauferei anfing und der Volkslauf des PSV (Polizei-Sport-Verein) Bielefeld noch an der Jagdstraße gestartet wurde, verlief die Strecke auch hier her. Damals wurden die Fichten gesetzt und ich konnte in den folgenden Jahren mindestens beim Hermannslauf ihr Wachstum miterleben. Ich bin quasi mit ihnen älter geworden. Jetzt sind sie einfach weg! Was für ein Trauerspiel! Auch hier ist der weiche, federnde Waldweg entweder weggespült oder staubtrocken. Erst kurz vor meinem Wendepunkt bilden Eichen und Buchen wieder einen Mischwald. Die "Weicheierstrecke" bergab Die Ausweichstrecke beim Hermannslauf – unter Hermannsläufern auch als &bdquo;Weicheierstrecke" bezeichnet – walke ich bergab, um dann scharf rechts in die zweite Treppensektion der berühmt-berüchtigten Lämershagener Treppen zu gelangen. Hier wurde schon so mancher Hermannslauf entschieden, mein eigener Sieg eingeschlossen. Wer oben &bdquo;die Nase vorn" hatte, der hat in der Regel auch den &bdquo;Hermann" gewonnen. Auf dem Rückweg geht mir der Hermannslauf nicht aus dem Kopf. Wird es im April 2021 wieder einen Lauf geben? Im Moment ist das noch schwer vorstellbar, alle Laufveranstaltungen wurden bislang abgesagt. Im Oktober soll neu beraten werden. Doch auch dann wird das Coronavirus sich nicht in Luft aufgelöst haben. Wir werden lernen müssen, mit dem Coronavirus zu leben. Ich bin da vorsichtig optimistisch. Mit anderen Viren ist es uns ja auch gelungen! "Corona hat Kluft zwischen Arm und Reich verstärkt" Entscheidend wird sein, wie wir wieder miteinander umgehen! Misstrauen, Stigmatisierung und Beschuldigungen haben schon tiefe Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen. Corona hat wie ein Brennglas die Kluft zwischen Arm und Reich noch verstärkt, leicht abzulesen in den Schulen! Was passiert mit den Werksverträgen bei Tönnies, wie sieht es mit den Rahmenbedingungen in den Kranken- und Pflegehäusern aus und wann können wir uns wieder frei bewegen? Für mich steht fest, ich werde mich weiterhin informieren, nachfragen und mich an die AHA-Regeln (Abstand- Hygiene - Abstandsmaske) halten. Einen absoluten Schutz vor Covid-19 wird es so schnell nicht geben. Den habe ich aber weder beim Autofahren, noch bei anderen Erkrankungen. Nur gut, dass ich zum Schluss &bdquo;meinen" Buchenhain erreicht habe. Er bringt mich wieder ins seelische Gleichgewicht. Mit wackligen Beinen (bergab ist schwieriger als bergauf) erreiche ich wieder die Habichtshöhe. Das war ganz schön anstrengend, sowohl für den Körper, als auch für den Geist! Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Auf einen Walk! Martin Sprenger, pensionierter Konrektor der Grundschule Brake

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