Besuchsverbot im Altenheim: "Ich bin gefangen im goldenen Käfig"

Bielefeld. "Alles bestens", sagt Hans Wesselmann. Der 92-Jährige strahlt und freut sich, dass Tochter Sabine da ist. Zwar darf sie ihn nicht besuchen im Pflegezentrum am Lohmannshof. Aber aus seinem Fenster im ersten Stock heraus kann er sie sehen und sich mit ihr mit entsprechendem Sicherheitsabstand unterhalten. "Wir machen das Beste 'draus, ich habe schon andere Zeiten überstanden", sagt der gebürtige Bielefelder. "Jetzt bin ich gefangen im goldenen Käfig." Eigentlich war alles anders geplant. Den 92. Geburtstag wollten sie schön feiern. Tochter Sabine ist extra aus Australien angereist, ebenso Wesselmanns Sohn, der als Arzt in der Charité in Berlin arbeitet. "Aber dann kam das Besuchsverbot", sagt Sabine Wesselmann. Die 58-jährige Physiotherapeutin lebt seit 30 Jahre in Australien, kommt seit dem Tod der Mutter vor einem Jahr jedes Jahr für einige Wochen, um den Vater zu besuchen. "Wir wollten so schöne Ausflüge machen, im neuen Lokal an der Porta Westfalica essen gehen, hatten eine Wesertour geplant", berichtet Hans Wesselmann. "Aber das holen wir alles nach, auch die Umarmungen." "Statt bunter Ostereier sieht man überall nur Menschen mit Masken" Für das Besuchsverbot haben beide Verständnis. Obwohl es für alle Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter nicht schön sei. "Aber wir Alten sind besonders gefährdet", sagt der 92-Jährige, der täglich die NW liest und alle Entwicklungen, nicht nur zu Corona, genau verfolgt. Aber so lange es noch keine schweren Fälle gebe wie in Wolfsburg oder Würzburg, müsse man zufrieden sein. Und alles tun, damit das so bleibt. Aber es sei schon eine erschreckende Zeit. "Statt bunter Ostereier sieht man überall nur Menschen mit Masken", sagt Hans Wesselmann. Seine Tochter hat ihren Rückflug erst einmal storniert. Wann und unter welchen Umständen sie zurück reist zu ihrem Ehemann, mit dem sie "am Strand, in der Nähe von Sydney" lebt, ist noch völlig unklar. "Mir ist jetzt aber am wichtigsten, hier bei meinem Vater zu sein", sagt Sabine Wesselmann, die unbezahlten Urlaub nehmen konnte. Nicht nur Corona, auch Einsamkeit macht krank Gerade in der aktuellen Situation sei es ganz wichtig, die älteren Menschen nicht allein zu lassen, sagt Stefan Kreisel, ärztlicher Leiter der Alterspsychiatrie des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB). Nicht nur Corona, auch Einsamkeit mache krank. Alle jetzt ausgerufenen Maßnahmen, insbesondere das Gebot, soziale Kontakte Angesicht zu Angesicht zu vermeiden – was wichtig und richtig sei - könnten die Einsamkeit verstärken. Deshalb fordern er und andere Alterspsychiater dazu auf, älteren Verwandten, Bekannten, aber auch allein lebenden Nachbarn, einmal am Tag ein kurzes oder langes Zeichen zu senden, um ihnen zu sagen: &bdquo;Ihr seid nicht allein, wir sind bei euch und helfen, wo wir können." Alleinlebende hochbetagte Menschen ziehen sich zurück, wollen niemandem zur Last fallen Da gebe es viele Möglichkeiten: &bdquo;Es kann ein Anruf, ein Zettel unter der Tür, eine Postkarte oder ein Ständchen vor dem Fenster sein", sagt Kreisel. Viele seien noch nicht mit E-Mail und WhatsApp ausgestattet. "Ganz wichtig ist es, aktiv zu werden, denn viele der alleinlebenden hochbetagten Menschen ziehen sich zurück und wollen Niemandem zur Last fallen", ergänzt Kreisel. Eine gute Idee hatte da Lisa Maria Westerwelle, Erzieherin in der Kita "Kinderarche" in Oldentrup. Per E-Mail hat sie die Eltern gebeten, mit ihren Kindern, die momentan zuhause sind, bunte Bilder für die Bewohner im Pflegezentrum am Lohmannshof, in dessen Nähe sie wohnt, zu malen. Leiter Jochen Blanke nimmt die Kunstwerke erfreut entgegen. Es sei keine einfache Zeit - für alle. "Aber hier bei uns halten sich alle sehr gut an das Besuchsverbot." Sich wie Sabine und Hans Wesselmann am offenen Fenster zu treffen, sei eine gute Lösung. Eine Extremsituation, die es so noch nicht gab Der Ehemann, der jetzt nicht mehr seine demente Ehefrau zum täglichen Spaziergang abholen darf, keine Kinder mehr, die die Bewohner allein durch ihre Anwesenheit im Haus erfreuen: "Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind schon sehr weitreichend, sagt auch Wilfried Wesemann, bei der Stiftung Bethel verantwortlich für die Altenhilfe. "Es ist schon eine Extremsituation, so etwas habe ich in all meinen Berufsjahren noch nicht erlebt." Die Mitarbeiter versuchten, die fehlenden Besuche so gut wie möglich aufzufangen, Kontakte per Telefon, oder bei einigen wenigen auch per Skype, zu fördern. In Einrichtungen mit betreutem Wohnen könne man den Bewohner, die noch eigenständig rausgehen, nicht verbieten, das Haus zu verlassen. "Da können wir nur aufklären und appellieren, die Außenkontakte zum Schutz aller soweit wie möglich zu reduzieren", ergänzt Wesemann.

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