Falsche Corona-Zahlen: Noch mehr Fehler in Bielefelds Gesundheitsamt befürchtet

Bielefeld. Falsche Zahlen über die Menge an Corona-Patienten in Bielefeld sorgten am Donnerstag für einen echten Schockmoment. Die Zahl der Infizierten sollten über Nacht von 177 auf 316 gestiegen sein. Kurze Zeit später die Entwarnung: ein Übermittlungsfehler. Tatsächlich waren es nur 188. Ein nicht gesetztes Häckchen im Computersystem beim Übermitteln ans Landeszentrum für Gesundheit war die Fehlerquelle. Der Bielefelder Andreas Mietz glaubt, dass es im Gesundheitsamt noch mehr Fehlerquellen gibt und sieht seine persönlichen Erfahrungen als Beweis. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater erkrankte am 17. März, besorgte sich privat einen Test, die Tochter brachte diesen in ein Sennestäder Labor. Zwei Tage später, am 20. März, die Gewissheit: Der 62-Jährige war mit dem Virus infiziert. Umgehend informierte er das Gesundheitsamt. Frau Barbara und die im Haushalt lebende Tochter mussten mit in Quarantäne, in der sie sich vorher bereits freiwillig befunden hatten. Nach einem Test war auch bei ihnen am 22. März klar, dass sie an Covid-19 erkrankt waren und bis einschließlich 1. April in häusliche Isolation mussten. Gesunde fünf Wochen in Quarantäne Insgesamt hatte Andreas Mietz dem Gesundheitsamt 14 Kontaktpersonen genannt, die er angesteckt haben könnte. Zu denen, die es getroffen hat, gehört auch sein Sohn. Der 32-jährige und seine gleichaltrige Lebensgefährtin mussten ebenfalls in Quarantäne. Er positiv getestet, sie negativ. Weil er am 1. April noch nicht beschwerdefrei war, wurde seine Quarantäne bis 8. April verlängert. Seine nichterkrankte Freundin muss nun sogar bis zum 21. April isoliert bleiben, sprich fünf Wochen, weil sie sich ja theoretisch noch am letzten Quarantäne-Tag ihres Partners anstecken könnte. Das alles stört Andreas Mietz nicht und hat auch nicht seinen Unmut und den seiner Frau Barbara geweckt. "Als ich aber am Samstag von dem Häckchen-Fehler in der NW gelesen habe und gleichzeitig die Nachricht, dass jetzt an einem Bußgeld-Katalog gearbeitet wird, mit dem Quarantäne-Verstöße geahndet werden sollen, ist mir der Kamm geschwollen", sagt der 62-Jährige. Denn er glaubt nicht, dass die offizielle Corona-Statistik im Bielefelder Gesundheitsamt wirklich stimmig ist. Acht Klärungsanrufe in 14 Tagen Insgesamt acht Mal seien sie in der 14-tägigen Quarantäne-Phase angerufen worden, schildert Barbara Mietz. Und zwar nicht, um sich nach dem Wohlergehen zu erkundigen, sondern um die Notwendigkeit einer Quarantäne generell zu prüfen. "Der letzte Anruf kam am Freitag", so die Dornbergerin. "Die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes hat mich gefragt, in welchem Verhältnis ich zu Andreas Mietz stehe." Sie habe prüfen wollen, ob ich in Quarantäne muss." Dabei habe sie das doch alles schon längst schriftlich, müssten sie und die Tochter längst als positiv gelistet sein. "Waren wir aber offensichtlich nicht", erklärt die 58-Jährige. Bei jeden der acht Anrufe hätten immer andere Mitarbeiter des Gesundheitsamtes sozusagen von vorn angefangen. "Mir gegenüber", schildert Andreas Mietz, "hat eine Mitarbeiterin zugegeben, dass sie Zettelwirtschaft betreiben und völlig überfordert sind." Behörde sollte Hilfe anfordern Auch bei einem Erkrankten im Bekanntenkreis sei sechs Mal angerufen worden, um die eigentlich schon bekannte Quarantäne-Pflicht zu prüfen. Dreimal sei dort die Quarantäne-Zeit korrigiert worden. Wenn das so sei, müsse man ernsthaft die Frage stellen, wie reell denn die Erhebung der Corona-Infizierten in Bielefeld und auch anderenorts sei, meint Mietz. Dabei seien doch die Zahlen, die letztlich ans Robert-Koch-Institut gemeldet würden, so wichtig, um entscheiden zu können, wann die Einschränkungen gelockert werden können. Wenn das Gesundheitsamt bei mehr als 2.200 Menschen in Quarantäne überfordert sei, was nachvollziehbar sei, müsste die Behörde seines Erachtens dringend Hilfe erbitten - finanzieller und personeller Natur. Und außerdem sollte im Dezernat überlegt werden, ob nicht immunisierte Freiwillige im Gesundheitswesen - beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen - Hilfestellung leisten könnten, um das Personal zu entlasten. "Wir wären sofort dabei", betonen Barbara und Andreas Mietz. Krisenstab gibt Entwarnung Dezernent Ingo Nürnberger, Leiter des Bielefelder Corona-Krisenstabes, hat die Sorgen von Familie Mietz sehr ernst genommen und noch am Wochenende vom Gesundheitsamt noch einmal die Infizierten-Zahlen genau unter die Lupe nehmen lassen. Er gibt Entwarnung: "Die Zahlen stimmen", sagt er gegenüber der NW. Somit sind am Sonntagmittag 220 in der Stadt an Covid-19 erkrankt, darunter 85 bereits Genesene. 2.566 Menschen sind noch in Quarantäne. Der "Fall" Mietz sei offensichtlich nicht optimal gelaufen, so Nürnberger. Er erklärt unter anderem, dass die Arbeitsabläufe sich nach dem Zeitpunkt der Positiv-Meldung richten, nicht nach Familiennamen. Bei mehreren Betroffenen kämen da schon gleich einige Telefonate zusammen. "Aber komplett aufklären können wir im Nachhinein die Einzelheiten nicht", sagt der Dezernent. Freiwilliger Einsatz von Immunisierten? Nürnberger erklärt, dass es in der Tat noch keinen elektronischen Workflow bei der Bewältigung der Corona-Krise gebe. "Das ist überwiegend ein handgemachter Prozess." Auf solche Mengen an Infektionsfällen sei Bielefeld, wie keine Kommune in Deutschland, vorbereitet gewesen. Mal einige Fälle von Masern oder Tuberkulose, mehr nicht. "Aber das wird sich in Zukunft ändern", ist der Leiter des Krisenstabes gewiss. Immunisierte in Bereichen wie Alten- und Krankenpflege einzusetzen, sei durchaus denkbar, sagt Nürnberger. Generell werde darüber nachgedacht, aber in Bielefeld sei dies zum jetzigen Zeitpunkt im Hinblick auf Beschäftigtenengpässe nicht notwendig. Insofern hoffe er, auf diese Art von Freiwilligkeit verzichten zu können. "Und ich gehe auch nicht mehr davon aus, dass wir bei uns italienische Verhältnisse bekommen." Alle Informationen zur Corona-Entwicklung in Bielefeld finden Sie in unserem Live-Blog.

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