Kontaktsperre und Notbetreuung: Corona-Krise für Eltern enorm herausfordernd

Herr Nürnberger, viele sehen einen Widerspruch im neuen Erlass des Landes. Jetzt muss nur noch ein Elternteil in einem als unverzichtbar definierten Beruf arbeiten, um Notbetreuung für Kinder bis zur Klasse 6 in Anspruch nehmen zu können. Das widerspreche komplett den sonst bundesweit verschärften Maßnahmen und dem Ziel, soziale Kontakte weitestmöglich zu minimieren, um die Infektionskette zu unterbrechen. INGO NÜRNBERGER: Ich kann diese Abwägung verstehen – einerseits wollen wir die Infektionsketten stoppen, andererseits dringend notwendige Infrastruktur aufrechterhalten. Wir appellieren an alle berechtigten Eltern, die Notbetreuung möglichst wenig in Anspruch zu nehmen – zum Schutz ihrer Kinder, aber auch der Erzieher. Ich appelliere auch an die Arbeitgeber dieser Eltern, möglichst flexibel zu sein und ihrer Verantwortung nachzukommen. Gleichzeitig brauchen wir ein wirksames Instrument und unbürokratische Regelungen dafür, dass Schlüsselpersonen ihre Kinder – notfalls auch in der Kita oder in der Tagespflegestelle – betreut bekommen. Insgesamt ist die Zahl der zu betreuenden Kinder noch relativ gering. Wie viele Kinder wurden insgesamt in der ersten Woche, wie viele insgesamt jetzt nach der neuen Regelung für die Notbetreuung angemeldet? NÜRNBERGER: In der ersten Woche der Notbetreuung wurden etwa 250 Kinder pro Tag betreut, jetzt sind es insgesamt 310 Kinder. Wir gehen auch davon aus, dass die Notbetreuungs-Zahlen noch etwas steigen könnten. Zum Teil wegen der Neuregelungen, aber vor allem deswegen, weil die Übergangslösungen mit dem Partner oder Angehörigen nicht mehr funktionieren und die Betreuungssituation in den Familien der so genannten Schlüsselpersonen dadurch immer schwieriger wird. Die Stadt verzichtet auf die Elternbeiträge für die Kinderbetreuung und Mittagsverpflegung – vorerst für April. Gilt das auch für Familien, deren Kinder in die Notbetreuung gehen? NÜRNBERGER: Das gilt auch für Familien, deren Kinder in die Notbetreuung gehen. Dies ist auch sinnvoll, da die Notbetreuung nur bei Bedarf – teils tageweise – in Anspruch genommen wird. Und ich persönlich sehe diesen Gebührenverzicht auch als eine Anerkennung für die Eltern, die ganz vorn an der Front in der Corona-Krise stehen und das System am Laufen halten, im Gesundheitsamt, in den Krankenhäusern, bei Polizei, Ordnungsamt, Feuerwehr oder in den Kitas selbst. Hätte Bielefeld die Handhabe, die Regelung für sich als Stadt wieder zu verschärfen, also auf die bisherige Vorgabe zurückzukehren, das heißt, dass beide Elternteile in einem als unverzichtbar definierten Beruf arbeiten müssen, um Anspruch auf Notbetreuung zu haben? NÜRNBERGER: Es handelt sich bei der geänderten Regelung um eine Entscheidung der Landesregierung, die für alle Kommunen gilt und der sie nachkommen müssen. Tagesmütter fürchten, dass sie zukünftig Kinder aus unterschiedlichen Einrichtungen betreuen müssen. NÜRNBERGER: Das Jugendamt hat alle Kita-Träger und Kindertagespflegepersonen über die vom Land getroffenen Regelungen informiert. Ziel ist nach wie vor, dass die Kinder in den Kitas oder in denjenigen Kindertagespflegestellen notbetreut werden, die sie auch vor der Corona-Krise besucht haben. Es bedarf aber auch einer Regelung für Kinder, die bisher nicht in einem Kindertagesbetreuungsangebot gewesen sind und jetzt notbetreut werden müssen. Und es kann auch sein, dass Kinder nicht mehr in der bisherigen Kita oder Kindertagespflegestelle notbetreut werden können, weil diese beispielsweise wegen eines Corona-Falles geschlossen werden musste. Für diesen Fall hat das Land geregelt, dass das Jugendamt eine Notbetreuung in einem anderen Kindertagesbetreuungsangebot zu organisieren hat: einer Kita oder in Kindertagespflegestellen, in denen aktuell keine Notbetreuung erfolgt. Insofern kann es sein, dass andere Kinder zur Notbetreuung aufgenommen werden müssen. Dabei achtet das Jugendamt darauf, dass nach Möglichkeit keine neuen Gruppen gebildet werden, indem Kinder nur einzeln in einer anderen Einrichtung untergebracht werden. Nur wenn mehrere Kinder bereits vorher gemeinsam betreut worden sind, können sie bei Wegfall der bisherigen Betreuungsmöglichkeit gemeinsam in ein anderes Betreuungsangebot wechseln. Ich hoffe, dass wir auf solche Notlösungen in der Notbetreuung nur selten zurückgreifen müssen. Pädagogische Fachkräfte sehen dringend Handlungsbedarf, fordern unter anderem Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Es sei unmöglich, gerade mit kleinen Kindern, die gewickelt, getröstet, beim Toilettengang und Naseputzen begleitet werden müssen, zwei Meter Sicherheitsabstand zu halten. Außerdem fordern die Fachkräfte, dass Betreuer, die zur Risikogruppe gehören, einen Risiko-Patienten pflegen oder mit ihm im Haushalt leben, ausgenommen werden. Was will die Stadt da tun? NÜRNBERGER: Die Erzieher gehören wirklich zu denen, die ganz vorn an der Front stehen, gemeinsam mit Ärzten, Pflegern, aber auch Supermarktverkäufern oder Sozialarbeitern, die sich bei einer Kindeswohlgefährdung um die Kinder kümmern müssen. Sie alle müssen weiterarbeiten und setzen sich einem Risiko aus. Schutzkleidung scheint mir in der Kita keine Lösung zu sein, aus zwei Gründen. Zum einen haben wir schon einen bedrohlichen Engpass bei der Schutzkleidung in den Kliniken, wo sie noch dringender benötigt wird. Zum anderen kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen, dass Kinder von ihren Erziehern mit einen Mundschutz vorm Mund betreut werden. Wir werden uns aber weiter darum bemühen, Schutzkleidung, Mundschutz und Desinfektionsmittel für die gefährdeten Berufsgruppen zu bekommen. Wir brauchen dafür alle Anstrengungen von Bund und Land. Soweit irgendwie möglich, sollten die Einrichtungsleitungen vor allem die Erzieher einsetzen, die nicht zu den Risikogruppen gehören. Ich weiß, dass das schwer genug ist. Und aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass die Eltern wirklich nur dann die Notbetreuung in Anspruch nehmen, wenn es keine andere vertretbare Alternative gibt. Wenn da jetzt die Großeltern wegfallen, gibt es wenig Alternativen, oder? Studenten, die da jetzt ihre Dienste anbieten, werden im Internet seit dem neuen Kontaktverbot massiv angegriffen. NÜRNBERGER: Eltern stehen aktuell vor immensen Herausforderungen bei der Betreuung ihrer Kinder. Dazu kommen bei vielen Existenzängste. Und auch, wenn wir dafür Verständnis haben, momentan hat die Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus die oberste Priorität. Deswegen warnen wir dringend davor, die Kinderbetreuung so zu organisieren, dass neue Kontaktnetze entstehen. Dies befeuert die Ausbreitung des Coronavirus weiter. Also: Bitte bilden Sie keine Kinderbetreuungsgruppen am Arbeitsplatz und keine größeren Kinderbetreuungsgruppen im privaten Rahmen. An wen können sich Eltern bei Fragen zur Kinderbetreuung wenden? Gibt es eine zentrale Telefonnummer beim Jugendamt? NÜRNBERGER: Bei Fragen zur Kinderbetreuung können sich Eltern an das Familienbüro des Jugendamtes von montags bis freitags von 08.30 bis 12.30 Uhr wenden, unter den Telefonnummern 51 52 52 oder 51 39 99. Und wenn es Stress in den Familien gibt – auch weil man grad so viel eng aufeinander hockt –, dann gibt es auch Beratung, und zwar über die zentrale Notfallnummer des Jugendamtes: 51 20 84. Auch die freien Träger bieten ein Beratungstelefon an. Alle aktuellen Entwicklungen zur Corona-Krise in Bielefeld im Liveblog der Lokalredaktion

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