Bleibt in Corona-Zeiten die psychiatrische Versorgung erhalten?

Bielefeld. Corona, überall nur noch Corona. Dazu Kontaktbeschränkungen, Quarantäne, Existenzängste, Kurzarbeit oder Jobverlust, quälende Enge in den eigenen vier Wänden, weil alle zu Hause hocken müssen. Solche Ausnahmesituationen sorgen für psychische Belastungen, können Ängste und Depressionen auslösen. Doch was macht es mit Menschen, die bereits vorher schwer psychisch krank waren und auf Hilfe angewiesen sind? Auch in diesem Bereich mussten Angebote eingeschränkt werden, Tagesstrukturen sind weggebrochen. Kann die psychiatrische Versorgung in Bielefeld aufrecht erhalten werden? "In der Stadt wird kein Patient mit schweren psychischen Nöten ignoriert", betont Steffi Koch-Stoecker, stellvertretende Chefärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB). "Wir haben uns extrem viele Gedanken gemacht, um in der Krise auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein." Bevor sie auf Details eingeht, räumt die Fachärztin mit zwei in Bielefeld kursierenden Gerüchten auf. Gerüchte sind falsch Die Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) des EvKB an der Gadderbaumer Straße 35 ist nicht geschlossen, sondern bleibt weiterhin geöffnet. Und sie bekommt sogar noch eine Dependance am Königsweg 5 - in den Räumen der aktuell geschlossenen Tagesklinik für Abhängigkeitskranke, um dem größeren Bedarf gerecht zu werden. Die Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin am Johannesstift ist zwar geschlossen. Aber nicht deshalb, weil dort eine intensivmedizinische Station für Covid-19-Patienten eingerichtet wird. Steffi Koch-Stoecker erklärt, dass die fünf Tageskliniken in Bielefeld Ende dieser Woche nun alle endgültig geschlossen worden sind. Dort hätten überwiegend gruppentherapeutische Angebote stattgefunden. "Von morgens bis abends viele Laufkundschaft, was in Corona-Zeiten nicht sinnvoll ist." Sie betont, dass mit allen Patienten in Einzelgesprächen geklärt worden sei, wie es weitergehen könne. Bei den meisten habe man sich auf regelmäßige telefonische Kontakte geeinigt. In einigen Fällen gebe es auch eine stationäre Aufnahme, um die dann nötige engmaschige Behandlung zu gewährleisten. Mitarbeiter helfen anderweitig aus Die weiter ansteigenden Corona-Fallzahlen und die erwarteten zunehmend schweren Krankheitsverläufe erfordern zusätzliche personelle Kapazitäten. Daher haben sowohl die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel (Gilead IV und III) als auch die Klinik in Schildesche ihre Angebote zurückgefahren. In Gilead werden aber weiterhin Kranke (auch Corona-Infizierte) aufgenommen, insbesondere bei akuter Gefährdung durch Selbst- oder Fremdverletzungstendenzen. In Schildesche werden komplexe Belastungsstörungen therapiert. Mit den Patienten, die in der Regel nicht akut bedroht sind, sei die Behandlung besprochen und/oder vertagt worden. Die Mitarbeitenden der Kliniken sollen nach den Worten von Steffi Koch-Stoecker als Springer dort eingesetzt werden, wo Not am Mann ist. Zudem könnten sie Patienten, Angehörigen und Mitarbeitenden psychosoziale Unterstützung bieten. Ambulanz bleibt geöffnet "Die Ambulanz ist und bleibt unsere Schaltzentrale für Menschen in psychischen Notlagen", erklärt Koch-Stoecker. "Sie ist jetzt enorm wichtig." Mit den schwer Erkrankten, die dort in der Regel zur ambulanten Behandlung erscheinen, seien allerdings ebenfalls viele Sonderregelungen getroffen worden. "Zu einem Großteil können wir telefonischen Kontakt halten." Dies geschehe täglich, wenn es sein müsse. Ein Teil der Patienten habe in Corona-Zeiten auf eigenen Wunsch Termine abgesagt. Und darüber hinaus gebe es immer noch eine ganze Menge Kranke, "die nach wie vor zu uns kommen und kommen müssen, weil es ihnen einfach zu schlecht geht", so Koch-Stoecker. Zudem gebe es jeden Tag eine offene Sprechstunde, ein vorheriger Anruf sei aber nötig. "Mittelfristige Folgen gravierend" Aus den Reihen der Betroffenen kommt trotzdem Kritik. Eine Bielefelderin, die ihren Namen nicht öffentlich nennen möchte, räumt ein, dass sich viele Psychotherapeuten derzeit darum bemühen, die Therapien irgendwie aufrecht zu erhalten. "Allerdings gibt es viele Betroffene, deren Unterstützungsangebot über 50 Minuten Einzeltherapie hinausgehen." Diese benötigten die zusätzlichen Angebote in den verschiedenen Gruppen. Gerade in solchen Zeiten, in denen aufgrund von Ängsten und sozialer Isolation der Bedarf noch steige, dürfe es nicht passieren, dass die Angebote heruntergefahren werden. "Die kurz- und mittelfristigen psychischen Folgen dieser Maßnahmen, die vermeintlich zum Schutz von Patienten und Therapeuten dienen sollen, könnten sogar weit gravierender sein, als das Risiko, sich bei Therapiesitzungen anzustecken." Silke Aron kann die Kritik verstehen. "Wie es in Krisenzeiten ist, kommen die Schwächsten an vielen Ecken und Enden zu kurz", sagt die Leiterin des Büros für Integrierte Sozialplanung und Prävention bei der Stadt Bielefeld. Es gebe sicherlich Bedarfe, die jetzt nicht gedeckt werden können. "Aber die Träger sind unglaublich kreativ, um vieles möglich zu machen." Telefon- und Videokonferenzen, Hausbesuche, gemeinsame Therapiespaziergänge im Freien und vieles mehr. Angebote rund um die Pandemie In Bielefeld gebe es besonders viele Menschen mit psychiatrischem Bedarf. "Aber wir haben auch viele Stellen, an die sie sich wenden können", betont Silke Aron. Das Sozialamt erarbeitet gerade eine besondere Liste. In psychiatrischen Krisensituationen stehen städtische Fachleute werktags von 8 bis 15 Uhr unter Tel. (0521) 512581 bereit. In der übrigen Zeit, an Wochenenden und Feiertagen steht der Krisendienst Bielefeld unter Tel. 3299285 zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es viele niedergelassene Nervenärzte, die weiter ihre Patienten behandeln. Und dann gibt es in der Stadt noch den Arbeitskreis niedergelassener Psychologischer Psychotherapeut*innen (app:). Er bietet ab sofort bei psychischen Problemen rund um die Corona-Pandemie psychologische Hilfe am Telefon an. Unter der Rufnummer (0521) 8972752 erhalten Ratsuchende und Hilfebedürftige schnelle Informationen und Beratung zu drängenden psychischen Problemen. Die Hotline ist montags bis samstags von 16 bis 18.30 Uhr besetzt. Sollte die Nummer besetzt sein und außerhalb der Anrufzeiten, kann eine E-Mail gesendet und um Rückruf gebeten werden, auch anonym. Die Adresse lautet: corona-psychohilfe@app-bielefeld.de. Alle Informationen rund um die Corona-Pandemie in Bielefeld lesen Sie hier in unserem Live-Blog.

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