„100 Menschen in Quarantäne“: Oberbürgermeister erklärt Corona-Lage

Herr Clausen, wie am Mittwochabend bekannt wurde, sind vier weitere Bielefelder mit dem Coronavirus infiziert worden. Wissen Sie schon Näheres? Pit Clausen:Es ist richtig, dass wir jetzt insgesamt neun bestätigte Fälle von Menschen haben, die auf das Coronavirus positiv getestet wurden. Bei den vier neuen Fällen handelt sich um Reiserückkehrer. Mehr kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mitteilen. Wie viele Bielefelder müssen sich außerdem zurzeit in Quarantäne aufhalten? Clausen: Wir haben im Moment etwa hundert Menschen, denen wir empfohlen haben, ihr Zuhause nicht zu verlassen. Täglich erreichen uns neue Informationen zum Coronavirus in Bielefeld. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Stadt ein? Clausen: Die Lage kann man am besten mit dem Wort &bdquo;dynamisch" bezeichnen, denn sie verändert sich laufend: Weil wir zum einen neue Fallkonstellationen bekommen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Zum anderen gibt es mehr Menschen, die unmittelbar betroffen sind, sei es dadurch, dass sie infiziert sind oder dass sie die Sorge haben, infiziert zu sein oder einfach, dass sie Fragen darüber haben, was im Zusammenhang mit Corona passiert. Was für Fragen sind das? Clausen: Zum Beispiel dazu, ob eine bestimmte Veranstaltung stattfinden kann. Oder Fragen wie: Ich habe bei einem Kongress neben einem Menschen aus Heinsberg gesessen, der immer gehustet hat – was soll ich jetzt machen? Was ist in dem Fall zu raten? Clausen: Es kommt immer auf die Details an. Wenn der Nachbar aus Heinsberg positiv getestet worden ist, dann heißt es: Sofort nach Hause, in Quarantäne bleiben und testen lassen. Entscheidend ist dabei, dass der Verlauf einer Infizierung nicht immer der Gleiche ist und Menschen infiziert sein können und das Virus weitergeben, ohne selbst Symptome zu entwickeln. Wie gut ist Bielefeld auf eine Corona-Krankheitswelle jetzt vorbereitet? Clausen: So gut wie Städte, Krankenhäuser und medizinische Praxen im deutschen Gesundheitssystem darauf vorbereitet sind. Wir haben eines der stärksten Gesundheitssysteme der Welt, trotzdem merken wir jetzt, wo es losgeht, auch bestimmte Schwächen. Beispielsweise, dass man Schutzkleidung nicht in dem Maße in Praxen und Krankenhäusern vorhält, wie wir es eigentlich bräuchten. Wenn drei, vier Pfleger mit einem Patienten umgehen, können Sie sich vorstellen, was das für einen Materialaufwand bedeutet. Derartige Probleme und Herausforderungen merkt man oft erst, wenn sie da sind. Wir haben es mit einer völlig neuen Situation zu tun, in der man nicht alle Konstellationen vorweg denken kann. Wie arbeiten Kliniken und Gesundheitsamt gemeinsam an solchen neuen Themen? Clausen: Wir haben eine Arbeitsgruppe &bdquo;Pandemie" gebildet für den Austausch zwischen Krankenhäusern, einigen Praxen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Hier beraten wir uns ständig, und es werden auch Betriebsabläufe abgestimmt, zum Beispiel zur Versorgung isolierter Patienten oder zu Testabläufen. Letztere werden heute organisiert wie ein &bdquo;Drive-in", weil man versucht zu vermeiden, dass mögliche Virenträger überhaupt in ein Krankenhaus hineinkommen. Dort würden sie ein Infektionsrisiko für den gesamten Raum auslösen. Stattdessen fahren sie mit dem Auto zum Zelt, jemand kommt raus, macht den Abstrich. Großveranstaltungen müssen laut aktuellem Erlass des Landes NRW abgesagt werden. Wo wird sich das auf die heimische Wirtschaft auswirken? Clausen: Ich habe heute die Allgemeinverfügung unterzeichnet, wonach alle Veranstaltungen mit mehr als 1.000 erwarteten Teilnehmern abgesagt sind, sofern sie in geschlossen Räumen stattfinden. Das bedeutet, dass viele Konzertveranstaltungen abgesagt werden müssen, und das hat natürlich enorme Auswirkungen für die Konzertveranstalter. Da bricht vielen das Geschäft ein. Betroffen sind aber auch Cateringdienste, Hotellerie und Gastronomie – es ist ein Rattenschwanz, den die Absagen nach sich ziehen. Für Stadthalle und Messezentrum eine Katastrophe. Clausen: Das ist tatsächlich der Gau. Die Geschäftsidee ist im Moment gar nicht mehr mit Leben zu füllen, sondern sie ist auf absehbare Zeit tot. Werden auch kleineren Veranstaltungen abgesagt werden müssen? Clausen: Ja, wir haben hier nur noch keine abgestimmte Linie. Wir müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Bis vor wenigen Minuten habe ich gehofft, dafür Entscheidungshilfen vom Ministerium oder vom Städtetag zu erhalten. Das sieht aber – Stand jetzt – schlecht aus. Ich werde darum mit unseren Experten vom Krisenstab bis Freitag unseren vorläufigen Kurs für die Genehmigung von kleineren Veranstaltungen festlegen. Gerade hier gilt: die Lage ist dynamisch. Was kann jeder Einzelne jetzt beitragen, um eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus in Bielefeld zu verhindern? Clausen: Jeder, der Sorgen hat, dass er ein Virusträger ist, sollte bitte nicht mit dem voll besetzten Bus zur Arztpraxis fahren und dort ins volle Wartezimmer gehen. Wenn man die Sorge einer solchen Infektion hat, ist der erste Schritt, seinen Arzt anzurufen. Dieser leitet alle weiteren Schritte ein. Und für jeden von uns gilt ausnahmslos: Hände waschen! Mit Seife, auch zwischen den Fingern, mindestens 20 bis 30 Sekunden und so oft es eben möglich ist am Tag. Und bitte nicht einfach über den Tisch husten, sondern in das Einmaltaschentuch oder in die Ellenbogenbeuge. Diese Hygieneregeln kennen wir alle, wir müssen sie nur ernst nehmen. Corona-Spezial: Alle aktuellen Entwicklungen aus Bielefeld im Überblick.

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