Pöbeleien und Gewalt: Bielefelder Schiris über Aggressivität im Sport

Bielefeld. Schiedsrichter werden während eines Spiels beleidigt, sogar geschlagen. Drei Unparteiische verraten, warum Handballer und Basketballer meistens anders reagieren als Fußballer. Handball-Schiri Sven Windmann, Lars Lottermoser vom Basketball und Stefan Lang als Fußball-Schiedsrichter berichten von ihren Erfahrungen. Warum ist es so, dass sich Handballer und Basketballer offenbar anders verhalten, weniger reklamieren und weniger aggressiv sind als Fußballer?Sven Windmann (Handball): Handball ist schneller, da hat man nach einem Pfiff weniger Zeit. Im Fußball gibt es schon Sekunden, in denen man meckern kann. Aber wir sind im Handball auch in der Situation, dass wir wenig unterschiedliche Kulturen haben. So weit sind wir noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass das auch etwas mit unterschiedlicher Herkunft zu tun hat. Die eine Kultur tritt eben anders auf als die andere. Damit sind wir dann beim Thema Migrationshintergrund auf sehr dünnem Eis und nah beim Thema Rassismus.Stefan Lang (Fußball):Ich habe viele Sportgerichts-Termine wahrgenommen. Es waren meist Menschen mit Migrationshintergrund, die aufgrund von körperlicher Gewalt vor diesem Sportgericht waren. Der Ostwestfale meckert, andere lösen ihre Konflikte nicht verbal. Das ist wieder ein bunter Strauß an verschiedenen Triggern. Ob das eine Frage des Rassismus ist, ist eine Wertung. Ich habe es festgestellt. Das ist eine Statistik, die nicht lügen kann. Man kann Statistiken aber natürlich interpretieren.Lars Lottermoser (Basketball): Ich behaupte aus meiner Erfahrung: Südländer sind emotional, sagen wir &bdquo;emotionaler". Dann ist die Frage: Wie kann ich das kanalisieren? Wenn der Spieler von zu Hause laute Gespräche gewohnt ist, spricht er auch mit mir als Schiedsrichter laut. Das macht er nicht absichtlich. Dann sage ich: Wir können uns auch in dieser Lautstärke unterhalten. Das ist ein Riesenthema. Wir haben einen anderen Vorteil, historisch gesehen. Basketball war eine Intellektuellen-Sportart.Die Hürde, Basketball zu spielen, ist relativ hoch, nämlich 3,05 Meter. Ein kleines Kind, mit diesem Ball – trifft nicht einmal in den Korb. Bei den Fußballern ist es einfacher: Ihr braucht zwei Pullover als Pfosten, zwei Spieler und einen Ball. Und man kann Fußball spielen. Um zu uns, zum Basketball, zu kommen, müssen alle anderen Hürden übersprungen werden. Das ist ein Image, das wir haben. Ob wir es wollen oder nicht.Lang (Fußball): Das könnte eine Erklärung sein. Historisch gelebte Regeln. Im Golf tickt auch niemand aus. Das Meckern der Trainer Fußball ist also einfacher. Darum spielen es so viele Menschen. Sind Vorbilder da deshalb noch wichtiger?Lottermoser (Basketball): Ich war als Basketballer erschrocken über den Sportskameraden David Wagner, Trainer des FC Schalke 04, Fußball, der sagte: &bdquo;Das, was wir hier machen, hat keinen Einfluss auf die Basis." Das habe ich als Nicht-Fußballer als extrem falsch empfunden. Weil er definitiv eine Vorbildfunktion hat. Die ganze Geschichte mit den Trainern, zwei Gelbe Karten, Rote Karte, was auch immer, finde ich genau richtig. Der Fisch stinkt vom Kopf. Wenn die Trainer in der Bundesliga es nicht vorleben, wer dann?Lang (Fußball): Genau so. Wenn der Trainer das Meckern unterbindet, hat das noch mal eine andere Qualität für die Spieler. Wie ist das beim Handball?(Handball)Es können maximal vier Offizielle auf der Bank sitzen. Erstes Vergehen auf der Bank Gelbe Karte, dann Zwei-Minuten-Zeitstrafe, danach Rote Karte. Egal ob Offizieller A, B oder C. Aber beim Handball überträgt sich nicht so viel von der Bank auf die Spieler. Aber im Jugendbereich habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass es dem Trainer eher unangenehm ist, wenn er die Strafe für seine Mannschaft kassiert.Lang (Fußball): Am Handball finde ich sehr charmant, dass die Spieler sehr diszipliniert sind und nicht diskutieren, sondern sofort nach einem Pfiff den Ball auf den Boden legen und weglaufen. Das haben die mit der Muttermilch aufgesogen. Da verlagert sich die Aggressivität eher auf das Publikum. Da wird eher von außen beleidigt.Windmann (Handball): Wobei wir da auch unterschiedliche Regeln haben. Wenn eine Spielerin oder ein Spieler den Ball nicht sofort auf den Boden legt, ist das zwingend eine Zwei-Minuten-Strafe. Mit so einer Strafe schwächt man dann auch die eigene Mannschaft unnötig. Die Zeitstrafen-Regel hilft uns da sehr. Könnte eine Wiedereinführung der Zeitstrafen-Regel im Erwachsenen-Bereich des Fußballs sinnvoll sein?Lang (Fußball): Könnte. Es könnte dazu führen, dass die ein oder andere Eskalation dadurch unterbunden wird. Im Jugendbereich stelle ich fest, dass ein Spieler, der für fünf Minuten hinausgeschickt wird, wieder zu sich kommt. Das wirkt schon deeskalierend. Wenn der Spieler mit Rot direkt unter die Dusche geschickt wird, regt er sich noch mehr auf. Die Entscheidung ist dann für ein Spiel endgültig. Also ja, eine Zeitstrafe könnte helfen.Lottermoser (Basketball):Die clevere Variante ist, dass ein Trainer bei aufkommenden Aggressionen reagiert und den Spieler herunternimmt. Dann verlagert er die Situation vom Schiedsrichter auf sich. Ich habe Trainer, die muss ich nur einmal anschauen, dann wissen sie bescheid. Da haben Handball und Basketball den Vorteil, immer wechseln zu können. Im Handball fliegend, bei uns im Basketball immerhin bei einer Spielunterbrechung. Dazu kommt das kleinere Spielfeld, alles ist enger beieinander. Beim Fußball ist ein Blickkontakt über 80 Meter schwierig. Schlechte Erfahrungen mit Spielern Wenn Sie die Ansetzungen bekommen, gibt es Vereine oder Spieler, wo Sie denken: Ach du meine Güte?(Fußball): Ja, gibt es. Es gibt Vorbehalte. Das Wissen: Ich kenne den Spieler XY. Ich weiß, wie er agiert, dass er kein Schiedsrichterfreund ist. Da muss man dann durch. Wenn man schlechte Erfahrungen mit einem Spieler gemacht hat, vielleicht vorm Sportgericht, kann man den Verein als Sperrverein eintragen. Das ist eine gute Lösung.Lottermoser (Basketball): Ich habe einen Verein geblockt. Ich habe sogar sämtliche Verantwortliche des Vereins aus sämtlichen sozialen Medien im Telefon gelöscht. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte als Schiedsrichtercoach in das Spiel eingegriffen und die Schiedsrichter manipuliert, was nachweislich nicht der Fall war. Man wollte sogar gerichtlich gegen mich vorgehen. Macht es da noch Sinn, bei diesem Verein noch ein Spiel zu pfeifen? Nein. Wir sind Ehrenamtler, irgendwo ist Schluss. Das ist aber bei uns die absolute Ausnahme. Ich würde in Bielefeld nie Spiele annehmen. Jeder weiß, dass ich aus Bielefeld komme.Windmann (Handball): Vor der Saison wird bei uns abgefragt, für welchen Verein spielst du, dann bist du für den gesperrt. Man kann auch sagen, für Verein XY möchte ich nicht pfeifen, wenn da die eigene Frau oder der Bruder spielt. Wegen der Befangenheit?Windmann (Handball): In der 2. Fußball-Bundesliga gab es ja gerade die Diskussion, ob ein Schiedsrichter aus Hamburg das Spiel Arminia Bielefeld gegen Hannover 96 pfeifen darf, weil der HSV ein Konkurrent vom DSC ist. Da fängt es schon an. Ich gehe in jedes Spiel unvoreingenommen. Grundsätzlich sollte man eine Mannschaft in der Saison zwei, dreimal pfeifen. Wenn im ersten Spiel einer gewesen ist, der es auf die Spitze getrieben hat, dann sage ich zu meinem Partner: letztes mal war das und das, wir gehen locker ran und gucken, was er in diesem Spiel macht.Lottermoser (Basketball): Die Krux einer Vorbesprechung ist doch aber: Wenn du auf Probleme hinweist, bis du damit schon voreingenommen. Aber ich möchte auch über Probleme informiert werden, die ein Schiedsrichter hatte, allein schon um den Kollegen zu schützen. Wenn ich weiß, der hat Probleme mit Trainer XY, dann sehe ich zu, wenn es mal hitzig wird, dass ich auf der Seite der Trainerbank stehe. Credo: Ball hinlegen und weg Was würden Sie von den anderen Kollegen und/oder der anderen Sportart übernehmen?Lottermoser (Basketball): Ich finde bei den Fußballer die monatlichen Treffen sehr gut. Das habe ich auf meinem Zettel. Auch, dass sie jemandem zum Thema Gewaltprävention da hatten. Man sollte überlegen, ob wir Schiedsrichter das nicht mal zusammen organisieren.Lang (Fußball): Ich fände es charmant, wenn in den Köpfen der Fußballer manifestiert werden könnte, das Meckern zu unterlassen. Ball hinlegen und weg.Windmann (Handball): Wichtig wäre mir die Kommunikation untereinander, dass wir uns vielleicht mal mit den Mannschaften zusammensetzen und Regelkunde machen. Da kann man etwas voneinander erfahren: Was wünschen sich die Trainer, die Vereine von den Schiedsrichtern? Und umgekehrt. Würden Sie angesichts der zahlreichen Negativschlagzeilen ein Fußballspiel auf unterer Ebene pfeifen?Lottermoser (Basketball): Natürlich. Allein schon, weil ich eine Basketball-Schiedsrichterin aus der 2. Liga kenne, die das mal unfallfrei über die Bühne gebracht hat. Das würde ich gern kopieren wollen. Ich finde, wir müssen in die Köpfe reinkriegen, dass Schiedsrichter Fehler machen. Es machen doch alle Fehler – die Trainer und die Spieler auch.Windmann (Handball): Ich habe ein dickes Fell. Ich würde es mir zutrauen und mal versuchen. Was dabei herauskommt, weiß ich nicht.

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