Erstauflage: So schmeckt’s in der Bielefelder Vesperkirche

Bielefeld. Ob wir lange anstehen oder warten müssen? Wie viele Menschen werden kommen? Hätten wir nicht auch lieber als Ehrenamtliche anheuern, anstatt uns an den gedeckten Tische setzen sollen? Und was gibt’s heute überhaupt beim ersten Mittagessen für alle in der Vesperkirche? 12 Uhr: Mit vielen Fragen und großem Hunger machen wir uns auf den Weg zur Neustädter Marienkirche. Ah, das ist schon mal gut: Keine Schlangen im langen Partyzelt vor dem Nordeingang. Wir können gleich reingehen. Pastorin Christel Weber begrüßt uns freundlich. Und bittet uns, kurz auf einen der &bdquo;Oberkellner" zu warten. "Wir sammeln immer für einen Achtertisch" Richtig gemütlich sieht’s aus in der Kirche, an vielen der insgesamt 23 Tische sitzen bereits Gäste. Die ersten essen schon, andere werden von Ehrenamtlichen in weißen Schürzen und Namensschild freundlich bedient. Ungewohnte Klänge sind zu hören: Lautes Raunen, geschäftiges Treiben, Stühlerücken – und das Geklapper von Geschirr und Besteck: Der Evangelische Kirchenkreis hat das Gotteshaus für die nächsten drei Wochen kurzerhand zur Vesperkirche gemacht. Bernadette Büren ist eine der insgesamt 35 Ehrenamtlichen, die für den ersten Tag eingeteilt sind. &bdquo;Wir sammeln immer für einen Achtertisch", erklärt sie. Aber weil’s noch nicht so voll ist und wir nicht zulange warten sollen, bringt sie uns dann zusammen mit nur zwei anderen Herren an Tisch 23. Wir bekommen die Speisekarte und haben die Wahl. Menü 1: Geschnetzeltes vom Hähnchen in Rahm mit Bandnudel und Fingermöhrchen oder Menü 2, die vegetarische Alternative: Rührei mit Salzkartoffeln und Fingermöhrchen. Büren notiert die Bestellung und gibt sie an ihre Kollegen weiter. Schneller als in jedem Restaurant Jeder hat genau seine Aufgabe. Miteinander ins Gespräch kommen, ist der Sinn der Vesperkirche. Allerdings scheinen die beiden Herren an unserem Tisch nicht so wirklich daran interessiert. Aber auch das ist vollkommen ok, finden wir und die Organisatoren. Jeder, wie er mag. Außerdem geht’s dann schneller als in jedem Lokal: In geschätzt nicht einmal fünf Minuten wird das vom diakonischen Altenzentrum angelieferte, von Sponsoren finanzierte Essen serviert. Rund 350 Portionen pro Tag sind kalkuliert. Sieht gut aus. Und schmeckt auch so. Die Herren am Tisch bestätigen das. Und lassen sich entlocken, dass sie sonst andere Mittagsangebote für Bedürftige annehmen. Genau da ist der Unterschied zum Konzept der Bielefelder Vesperkirche: Sie möchte alle Gesellschaftsschichten an einen Tisch bringen. Zu Tisch mit einem freundlichen Hagrid Während einer unserer Tischnachbarn, der uns optisch sehr an den freundlichen Hagrid aus Harry Potter erinnert, ziemlich schnell wortlos durch den Seiteneingang verschwindet, warten wir auf den uns angebotenen Nachtisch. Wir schauen uns um. Funktioniert das Konzept? Die typischen Anzugträger, Banker oder Vertreter anderer Bürogemeinschaften, denen man sonst mittags beim Essen in der Innenstadt begegnet, sind am ersten Tag unter den Gästen nicht zu sehen. &bdquo;Gemeinsam essen, miteinander reden, einander begegnen": Um dem Motto der Vesperkirche zu entsprechen, mischen wir uns nach dem Essen unter die Gäste. Und hören uns um. &bdquo;Ich bin hierher gekommen, weil das Konzept ganz toll ist und ich einfach etwas anderes kennenlernen wollte", sagt Vera Philippi. &bdquo;Diese Aktion tut Bielefeld gut." Skrupel, Bedürftigen etwas wegzunehmen Sie sitzt mit Wolfgang Eckholt und dessen Frau Monika am Tisch. Sie sind extra aus Verl gekommen. &bdquo;Wir wollten miterleben, wie sich die Kirche für die Menschen öffnet", sagt der 75-Jährige. Denn es gehe nicht um das Essen – auch wenn es &bdquo;gut und sättigend" sei. &bdquo;Das Soziale und Mitmenschliche unabhängig von Konfessionen ist das Wichtige." In diesem Sinne begrüßt er, dass beim Betreten der Kirche Achter-Gruppen gebildet werden und man sich so fast automatisch mit fremden Menschen am Tisch wiederfindet. Reinhard Offelnotto ist gekommen, um einige Menschen wiederzutreffen, die er im Zuge seiner Sozialarbeit kennengelernt hatte. Außerdem hätten sich am Tisch interessante Gespräche ergeben. &bdquo;Aber bringt es etwas, dass wir hier zusammensitzen und uns unterhalten?", fragt er mit Blick auf die Politik, die zulässt, dass viele Berufstätige nicht entlohnt würden. &bdquo;Natürlich bringt das was", antwortet Eckholt. Das sei der erste Schritt. &bdquo;Ich hatte anfangs Bedenken, ob ich nicht Bedürftigen etwas wegnehme, lieber als Ehrenamtliche helfen sollte", ergänzt Ursel Meier. Aber da gab’s schon ausreichend. Und sie vermitteln allen das Gefühl, wirklich willkommen zu sein und durchs offene Untermischen die Vesperkirche zu bereichern. Soviele Essen wurden ausgegeben 13 Uhr: Gong für eine kurze Andacht und Orgelspiel. Plötzlich ruht die wohltätige Betriebsamkeit. Erst jetzt wird uns wieder bewusst, dass wir uns in einer Kirche befinden. Während unserer Gespräche mit den Gästen war die als unaufdringliche, wenn auch schöne Kulisse in den Hintergrund getreten. &bdquo;Tschüss, kommen Sie gern wieder", sagt Pastorin Christel Weber und verabschiedet uns mit Handschlag am Ausgang. Wer mag, kann dort eine Spende abgeben. Muss man aber nicht. Weber und das Team sind zufrieden mit dem ersten Tag. Bis 13.15 Uhr wurden etwa 180 Essen ausgegeben. Fazit Unser Fazit: Eine tolle Aktion, die Bielefeld und die Kirche bereichert. Auch wenn wir beim Nachtisch am ersten Tag leer ausgegangen sind. &bdquo;Da passte die Kalkulation noch nicht ganz", entschuldigt Weber. &bdquo;Das ist work in progress.". Wir sind satt geworden, auch wenn es keinen Nachschlag gab. Der Grund: Auch für die, die später kommen, soll noch etwas da sein. Wir empfehlen den besonderen Mittagstisch auf jeden Fall weiter. Und kommen bestimmt auch noch einmal wieder. Denn die Besucher der Vesperkirche erwartet an den nächsten Tagen auch ein buntes Kulturprogramm.

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