Diskriminierung an "Reformuniversität": Fünf Frauen kämpften sich nach oben

Bielefeld. Sie wollten sich an der jungen &bdquo;Reformuniversität“ Bielefeld ganz auf die Wissenschaft konzentrieren, ehrgeizig und idealistisch in ihren Fächern neue Wege gehen – und waren im männerdominierten System doch immer wieder vor allem eines: eine Minderheit. Kaum etwas zeugt so sehr von Aufbruchsstimmung und Kampfgeist der Anfangsjahre wie die Geschichten der Wissenschaftlerinnen und Studentinnen von damals. Diese fünf Frauen behaupteten sich an der Bielefelder Universität. In der Festschrift &bdquo;Aufbruch und Begrenzung“ berichten insgesamt mehr als 50 Autorinnen von ihren Uni-Zeiten zwischen Kämpfen und Karriere. Es ist ein fesselnder Beitrag zum Uni-Jubiläum, den Diplomsoziologin Lydia Plöger und Gleichstellungs-Expertin Jutta Grau von der Universität Bielefeld zusammengestellt haben. Wie sie es bis an die Spitze schafften, davon berichten auch diese fünf Pionierinnen: &bdquo;An Herrn Professor Elisabeth Gülich“ Elisabeth Gülich wird erste Habilitationsstudentin der Linguistik und Literaturwissenschaft. Sie erinnert sich, wie sie 1969 zunächst als Wissenschaftliche Assistentin in Bielefeld in einer völlig neuen Uniwelt landete: Die bisher übliche Anrede &bdquo;Herr Professor“ sei verpönt gewesen. Rektor Grotemeyer wird auch nicht mehr mit &bdquo;Magnifizienz“ angesprochen. Dennoch sind auch an der neuen &bdquo;Reformuniversität“ Wissenschaftlerinnen eine kleine Minderheit. In Sitzungen heißt es oft: &bdquo;Frau Gülich, meine Herren“. Als Gülich 1981 als Professorin für Romanistik und Linguistik an die Uni zurückkehrt, erhält sie immer wieder Briefe adressiert an &bdquo;Herrn Professor Dr. Gülich“. &bdquo;Offenbar verlangte das Wort ,Professor geradezu nach einem männlichen Vertreter dieser Spezies.“ Trotz dieser Erfahrung schreibt sie in der Festschrift, &bdquo;ich hatte nie den Eindruck, als Frau benachteiligt oder gar diskriminiert zu werden“. Erst später sei sie für das Thema sensibler geworden. &bdquo;Es mag sein, dass ich manche eher unauffälligen Diskriminierungen gar nicht bemerkt habe.“ Zum Uni-Jubiläum hat Gülich, seit 2002 im Ruhestand, wieder ein Einladungsschreiben für ihre Briefsammlung bekommen – adressiert an &bdquo;Herrn Elisabeth Gülich“. Studium mit Kind, Professur unter Herren Bevor Notburga Ott 1997 die erste Professorin für Wirtschaftswissenschaften wird, ist sie Studentin der Uni Bielefeld. Und Mutter. &bdquo;Ein Studium mit Kind zu vereinbaren, war damals noch sehr viel problematischer als heute“, schreibt sie. Kitas gab es kaum, schon gar nicht für unter Dreijährige.“ Ott lernt abends und nachts und engagiert sich für die Gründung einer Uni-Kita, die jedoch erst viel später Realität wird. &bdquo;Um trotzdem studieren zu können, war ein ganzes Patchwork von unterschiedlichen Arrangements notwendig.“ Ott schiebt die kleine Tochter so lange in der Unihalle hin- und her, bis sie einschläft &bdquo;und ich sie mit in den Hörsaal oder den Seminarraum nehmen konnte“. In ihrer Diplomarbeit beschäftigt sie sich mit der ökonomischen Bedeutung von Gleichstellungsmaßnahmen in Schweden. Bei der Gleichstellung in der Uni holpert’s: &bdquo;Als ich 1984 das Studium abschloss, musste ich auf meine Diplomurkunde einige Monate warten, weil die Verleihung weiblicher Grade sehr neu war und die Fakultät noch keine entsprechenden Urkunden besaß.“ Als sie später zur Professorin für Wirtschaftspolitik an der Bielefelder Uni berufen wird, muss sie feststellen: &bdquo;Dass ich nun als Kollegin in den gleichen Gremien sitze wie 13 Jahre zuvor als Studentin, bringt bei manchen Herren doch einige Irritationen mit sich.“ Ott wechselt nach nur einem Jahr an die Ruhr-Universität Bochum – und berät als Fachfrau heute Bundesministerien. Mathematikerin dank weiblicher Vorbilder Mathematik-Professorin Angelika Bunse-Gerstner promoviert und habilitiert in Bielefeld und wird 1989 die erste Hochschuldozentin im Fach Mathematik. Schon bei der Entscheidung zum Mathematikstudium stößt sie auf Widerstände: &bdquo;Von außen wurde ich kritisch gefragt, was ich denn damit später machen wolle. Ich war auch bei einer Beratung und zum Glück habe ich den erhaltenen Ratschlag nicht befolgt. Mein Selbstvertrauen war groß genug, um doch Mathematik zu studieren.“ Das habe wohl auch an ihrer guten, motivierenden Mathelehrerin gelegen. Bunse-Gerstner erinnert sich an eine Untersuchung, die damals zu dem Schluss kam, dass Frauen, die im Fachgebiet Mathematik arbeiteten, überproportional häufig ein Mädchengymnasium besucht hatten. Wie sie selbst. Die heutige Professorin an der Universität Bremen glaubt, &bdquo;es sind weibliche Vorbilder, die jungen Frauen zeigen, ich kann als Frau durchaus auch Professorin und Forscherin in der Mathematik werden.“ Männer als Helfer und Leitbilder Gertraud Teuchert-Nood wird 1979 sogar deutschlandweit zur ersten Zoologie-Professorin berufen: Während ihrer 25 Dienstjahre in Bielefeld wird keine weitere Frau im Fachbereich Biologie ihrem Beispiel folgen. Es habe einfach keine Bewerberinnen gegeben, erinnert sie sich. Obwohl Frauen in Vorlesungen und Praktika in den 1980er- Jahren bereits gut vertreten sind. &bdquo;Aber zwecks wissenschaftlicher Mitarbeit klopften ausschließlich Männer an meiner Tür an.“ Erst mit der Jahrtausendwende sei ein Wandel gekommen. Das Rezept für ihre erfolgreiche Karriere in einer von Männern dominierten Wissenschaft? &bdquo;Viele glückliche Umstände, hervorragende Lehrmeister, Begeisterung an der Sachen und hartnäckiges Durchhaltevermögen“. Vor allem seien es aber auch Männer gewesen, die ihr auf ihrem Berufsweg als Helfer und Leitbilder begegnet seien, schreibt die emeritierte Professorin. &bdquo;Könnte es sein, dass die Emanzipation auf Gesellschaftsebene in erster Linie nicht VON Frauen, sondern FÜR Frauen ausgetragen wird?“, fragt sich Teuchert-Noodt heute. Feminismus – etwas für schwächere Frauen? Sabine Marx ist Mitbegründerin des Autonomen Frauen- und Lesbenreferats an der Bielefelder Uni. Heute leitet sie das Kompetenzzentrum Hochschuldidaktik für Niedersachsen. In Bielefeld habe sie als Soziologiestudentin ihre &bdquo;wilden Jahre“ erlebt, schreibt sie. Dabei hält sie sich als junge Frau zunächst &bdquo;den Feminismus vom Leib“. &bdquo;Er schien mir etwas für schwächere Frauen zu sein.“ Die Realitäten an der Universität lassen sie umdenken: &bdquo;Die Professoren waren fast ausschließlich Männer und weit überwiegend wurden nur Werke von Männern gelehrt. Wissenschaft war offensichtlich männerdominiert, Frauen und die Geschlechterfrage fremd darin.“ Eine Gruppe Studentinnen um Marx kämpft ganz offen dagegen an. Das autonome Frauenreferat entsteht, die Frauenzeitung &bdquo;Tarantel“ wird gegründet mit Marx als Verlegerin. &bdquo;Wir mussten uns als Frauen zeigen, Teilhabe für Frauen und nach Frauenforschung verlangen und uns unverschämt benehmen, also beispielsweise Fakultätssitzungen stürmen, das Wort erheben.“ Die damalige Frauenbewegung verändert die Universität. Bis heute: &bdquo;Fehlende Teilhabe von Frauen ist inzwischen zumindest legitimationsbedürftig“, resümiert Marx. &bdquo;Frauen- und Genderforschung haben sich teilweise etabliert; es gibt einen Zuwachs an Professorinnen und die Universität erscheint mir nicht mehr so männerdominiert, wie ich es aus den 1980er-Jahren in Erinnerung habe.“ Marx beobachtet aber auch mit Erschrecken, dass sich heute wieder &bdquo;anti-feministische, fremdenfeindliche Männer und Frauen politisch aggressiv formieren“. Die Erfolge von damals stünden auf dünnem Eis. Die gesammelten Geschichten von rund 50 Frauen können unter eingesehen und als gedruckte Exemplare bei den beiden Initiatorinnen angefordert werden.

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