"Riesenschock für die Etablierten": So starteten Bielefelds Grüne vor 40 Jahren

Bielefeld. Mit Clownnase und Konfetti sitzen junge Protestler auf dem Boden im Ratssaal - direkt neben der CDU-Fraktion, die teils betreten zur Seite schaut. Vor 40 Jahren zog die Bunte Liste als Vorläuferin der Grünen erstmals ins Bielefelder Rathaus ein - ein "Riesenschock für die etablierten Parteien", erinnert sich Mitgründer Reinhard Krämer. Doch mittlerweile hat sich die Partei längst selbst etabliert - und will an die Spitze. "Warum nicht?", sagt Britta Haßelmann, lange im Rat und heute im Bundestag, auf die Frage, ob die Grünen 2020 den Oberbürgermeister stellen würden: "Wenn, aber eine Oberbürgermeisterin", fügt sie leicht scherzend an: "Wir sind eine feste Größe und eigenständige Kraft in Bielefeld." Haßelmann wird als mögliche Kandidatin gehandelt. Sie könnte aber auch Ministerin in Berlin werden. Bekenntnis zur Kandidatur Die OB-Frage mag derzeit kaum eine Partei in Bielefeld gern hören. Auch die Grünen nicht. Wenn eine Stichwahl erforderlich wird - darüber entscheiden Richter - sinken für manche die Chancen. Doch die Grünen sehen sich im Aufwind - und bekennen sich jetzt klar zu einer Kandidatur fürs OB-Amt, wie Jens Julkowski-Keppler, Fraktionschef im Rat, bekräftigt. Im April 2020 wollen die Grünen per Mitgliederversammlung darüber entscheiden, sagt Kreisverbandsprecherin Schahina Gambir. Und sie rechnen sich gute Chancen aus angesichts der Wahlerfolge zuletzt. Und die Grünen sind in Bielefeld eh stark, schafften 2009 sogar mal 17,2 Prozent bei der Kommunalwahl. "Söhne und Töchter aus gutem Hause" Und sie regieren 20 Jahre mit, stets an der Seite der SPD, aber mit wechselnden Partnern wie FDP, Bürgernähe, Piraten. "Wir haben uns Anerkennung erworben", sagt Fraktionsgeschäftsführer Klaus Rees selbstbewusst: "Ohne uns würde Bielefeld anders aussehen." Ihr Kampf für Umwelt und Klima stieß aber auch stets auf die Kritik, sie seien Bremser, wollten nur Verbote. Dabei waren sie es vor 40 Jahren, die sich gegen das Establishment zur Wehr setzten, gegen Stadt- und Landschaftszerstörung, Bürgerlichkeit und autoritäre Politik. "Frisch, anders, bewegend" - so sehen sich die Grünen heute noch, obwohl sie längst im Politikbetrieb gebunden sind. Der Preis der Macht "Wir waren gewissermaßen das gute Gewissen einer städtischen bürgerlichen Elite, die sich in Fehlplanungen verrannte", bilanziert Krämer mit Blick auf das Bild von Veit Mette (s. oben): "Wir waren Söhne und Töchter aus gutem Hause, die man sehr gut verstehen konnte. Ein bisschen so wie Greta Thunberg heute." Sie bestimmen die Politik mit, stellten mit Uwe Lahl 1986 den ersten grünen Dezernenten einer Großstadt - und haben teils die verloren, die ihre Anfänge ausmachten: Initiativen und alternative Milieus, die heute teils bei Bürgernähe, Piraten, LiB oder Linken sind. Der Preis der Macht. Grüner Bürgermeister unter Kaiserbild Der ihnen aber heute selbst von politischen Gegnern wie Ex-Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) "Respekt" einbringt. David steuert in der Ausstellung "40 Jahre Grüne" mit 20 Bildern Bielefelder Fotografen im Rathaus einen Text bei - zu einem Mette-Foto, das den ersten kurdischstämmigen Bürgermeister Deutschlands, Mehmet Kilicgedik, den die Grünen stellten, vor dem Wandgemälde von Kaiser Wilhelm II im Rathaus zeigt. "Bleiben Sie auf dem Teppich und verlieren Sie nicht die Bodenhaftung", schreibt David den Grünen. Doch das ist bei ihnen längst geschehen, haben sie sich längst im Politikbetrieb eingerichtet - auch wenn vor allem die Mobilitätswende stark ihre Handschrift trägt, die heute die Stadt politisch spaltet. Rekordwert bei Mitgliedern Die Grünen sind älter geworden. Aber sie mobilisieren auch die Jungen: Mit mehr als 100 Eintritten in einem Jahr haben sie laut Sprecher Dominic Halle die Rekordmitgliederzahl von 634 erreicht: "Ein einzigartiger Zuspruch."

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