Chaos im Bielefelder Rat durch neue Wählergemeinschaft

Bielefeld. Michael Gugat hat eine Lawine ausgelöst. Mit der Gründung seiner neuen Wählergemeinschaft "Lokaldemokratie in Bielefeld" bringt der Ratsherr und frühere Pirat die Paprika-Koalition ins Wanken. Ihr droht, dass sie in allen Ratsausschüssen die Mehrheit verliert. Nur über den Rat könnte das Bündnis sich darüber hinweg setzen - mit der Stimme von Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD). Doch noch herrscht große Unsicherheit im Büro des Rates und bei den Parteien, wie es weiter geht. Die Bezirksregierung in Detmold ist eingeschaltet, um die Rechtslage zu klären. Denn der kleinste Partner der Paprika, die Gruppe aus Bürgernähe und Piraten, dürfte sich Montag auflösen. Dann verliert aber die Vereinbarung, die letzten Ausschusssitze je zur Hälfte an die Gruppen - die zweite ist die FDP - zu verteilen, ihre Gültigkeit. FDP reklamiert Ausschusssitze FDP-Chef Jan Maik Schlifter schließt daraus, dass die FDP davon profitiert und künftig in allen Ausschüssen stimmberechtigt wird. Und genau damit gäbe es in den Ausschüssen ein Patt. SPD und Grüne könnten allein keine Anträge mehr durchbringen. Oder sie müssten andere Partner finden. Doch ob das so kommt, sei offen, erklärte Frauke Ley, Leiterin des OB-Büros. Es könnte auch sein, dass nur Bürgernähe und Piraten ihr Stimmrecht verlieren, dann bliebe Rot-Grün in der Hälfte der 16er-Ausschüsse noch eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Bisher geht man im Rathaus eher davon aus, dass es nur beim Bruch der Koalition zu der Stimm-Verschiebung zur FDP kommt. Zweifel an Koalitionstreue Aber sowohl Gugat wie Christian Heißenberg, die bisher die Gruppe Bürgernähe/Piraten bilden, versichern, inhaltlich zur Koalition zu stehen. Das könnte deren Mehrheit retten. Doch ob SPD und Grüne das mitmachen, bleibt abzuwarten. Noch signalisiert Holm Sternbacher (SPD): "Das ist Mist. Aber die Politik geht weiter." Montag beraten die Fraktionen. Zweifel an der Koalitionstreue sät aber auch Bürgernähe. Sie fordert von Gugat die Abgabe des Ratsmandats: "Sonst steht er im Interessenskonflikt", so Heißenberg. Doch Gugat denkt gar nicht daran. Er gießt sogar noch Öl ins Feuer: "Wenn Bürgernähe die Gruppe nicht auslöst, tue ich es am Montag." Abhängig von zerstrittenem Lager Für SPD und Grüne ist das herb, auf zwei Partner aus so zerstrittenen Lagern setzen zu müssen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass sie doch noch die Koalition in Frage stellen. Das gliche einem politischen Erdbeben im Rat. Für Bürgernähe und Piraten, die ohne Gugat ihre Gruppe fortführen wollen, bedeutet die Konstellation, dass sie sachkundige Bürger, ihren Raum im Rathaus und die Gelder für die Geschäftsführung (Gugat halbe Stelle, dazu zwei 450-Euro-Jobs) verlieren - und damit erheblich an politischem Einfluss. Gugat dürfte noch bis zur Wirksamkeit einer Kündigung sein Geld erhalten. "Progressive Avantgarde" Unter diesen Wirren, die Gugat ausgelöst hat, gerät die Gründung seiner Wählergemeinschaft "Lokaldemokratie in Bielefeld" fast in den Hintergrund. 35 Personen haben sich hier zusammen getan: neun davon, die für die Gruppe engagiert waren, teils aus den Piraten. Mit der neuen LiB strebt Gugat bis Jahresende 100 Mitglieder an, bis zur Kommunalwahl 2020 sogar 200. Ziel sei der Einzug in den Rat. Zum "gleichberechtigten" Vorstand gehören neben Gugat Marie-Dominique Pickardt, Angestellte im Einzelhandel, und als Schatzmeister Hans-Christian Wittler, Softwareentwickler. Die LiB verstehe sich als "Politik-Start-up", als "progressive politische Avantgarde" - deren Herz für die Schwächeren der Gesellschaft schlage. Blickwinkel auf Gemeinwohl Ein Wahlprogramm will die LiB mit den neuen Mitgliedern erarbeiten, jeder soll sich einbringen können. Sie sieht sich als "frische Bewegung, die sozial, ökologisch, pragmatisch, liberal, multikulturell, feministisch, progressiv und dabei konsequent kommunal auf Bielefeld ausgerichtet ist." Als inhaltliche Schwerpunkte formuliert sie Soziales, Migration und Integration, Verkehr sowie Umwelt. Dass mit ihr im linken Spektrum neben Bürgernähe und Piraten eine weitere kleine Gruppierung auf Stimmenfang geht und dieses Lager damit schwächt, befürchtet Gugat nicht: "Der Pool der potenziellen Wähler liegt bei 20 Prozent. Dafür machen wir ein Angebot. Im Vergleich zu den anderen richten wir den Blickwinkel mehr aufs Gemeinwohl." Spätere Koalitionen will er nicht ausschließen.

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