Polizeipräsidentin: "Wir kommen an unsere Grenzen"

Frau Giere, viele reden über die Sicherheit in der Bielefelder Öffentlichkeit. Sie sagen, objektiv ist die Stadt sicher. Aber das &bdquo;Sicherheitsgefühl" vieler spricht eine andere Sprache. Ist die Polizei auch für das Gefühl der Bürger zuständig?Katharina Giere: Ja, wir sind auch für das Sicherheitsgefühl der Bürger zuständig. Es ist für uns ganz wichtig, dass der Bürger Vertrauen in uns hat. Das Thema Präsenz spielt da eine große Rolle. Letztlich sind wir aber nicht alleine für das Sicherheitsgefühl verantwortlich. Wer soll ihnen dabei helfen?Giere: Aus Sicht der Bürger ist schnell der Wunsch da, die Polizei zu sehen. Das sorgt vor Ort für Beruhigung. Häufig geht es aber um Ruhestörung, Trunkenheit, Pöbeleien, die Anlass sind, uns zur Hilfe zu rufen. Hier ist es Sache der Stadt, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. Wann genau ist die Stadt zuständig, wann die Polizei?Giere Es gibt ein riesiges Feld vor dem der Polizei. Das ist all das, was zum Beispiel mit so genannten Schmuddelecken zu tun hat, dort, wo sich die Leute nicht gut benehmen, wo sie betteln oder trinken. Das ist nicht unser Part. Das ist Part der Stadt. Wie abhängig ist die Polizei davon, dass kommunale Arbeit in diesem Bereich funktioniert?Giere: Für die Polizei ist es sehr wichtig, dass die Stadt ihren Auftrag wahrnimmt. Sowohl die Polizei, als auch die Kommune muss ihren Part einbringen. Nur wenn sich beide Seiten gut aufeinander abstimmen, können wir für Bielefeld erfolgreich sein. Wie ist das mit der Drogenszene an der Tüte? Muss die Szene dort verdrängt werden?Giere: Aus polizeilicher Sicht ist das kein Ort von erhöhter Kriminalität. Trotzdem sind dort einige am Abend so betrunken, dass sie einem fast vor die Füße fallen. Da wechsel auch ich die Straßenseite. Das muss man nicht haben. Aber ein Verdrängen der Szene ist keine Lösung. In Teilen gehört das auch zu einer Großstadt dazu. Trotzdem erwarten die Bürger zurecht, dass wir uns kümmern. Wir nehmen dort unsere Aufgaben wahr, indem wir Präsenz zeigen und Straftaten verfolgen. Hand aufs Herz. Wenn kein Wahlkampf wäre, würden Sie dann trotzdem am Jahnplatz dauerhaft einen Streifenwagen abstellen?Giere: Ja, das hätten wir auch so getan. Wenn im Februar kurz hintereinander mehrere solcher Geschehnisse passieren (Anm. d. Red.: Es gab an einem Samstag eine Messeerstecherei und zwei Massenprügeleien), dann müssen wir etwas tun und deutlich zeigen: Wir kümmern uns. Viele sagen, Polizeipräsenz macht Angst.Giere: Durch sichtbare Präsenz schaffen wir es, dass man der Polizei vertraut. Nach den Silvesterereignissen in Köln, traten auch in Bielefeld plötzlich eine Bürgerwehr und verschiedene Rocker auf. Hier haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt: Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat und wir werden mit Nachdruck unseren Rechtsstaat durchsetzen. Unsere Arbeit damals am Boulevard war ein voller Erfolg. Wir sind da mit verstärkten Kräften aufgetreten: Das ist auf der anderen Seite angekommen. Präsenz zeigen, um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Ist das nicht ein großer Kraftakt für die Beamten?Giere: Ja, da kommen wir an unsere Grenzen. Wenn an jedem Wochenende in der Nacht am Jahnplatz und am Boulevard zwei Streifenwagen dauerhaft stehen, dann sind das schon vier Kollegen, die nicht am normalen Einsatzgeschehen beteiligt sind. Hat der aktuelle Wahlkampf Einfluss auf Ihre Arbeit, ist das spürbar?Giere: Es hat objektiv Veränderungen in unserer Gesellschaft gegeben, die jetzt auch Thema im Wahlkampf sind. So hat die Zuwanderung große Diskussionen auf dem Feld der inneren Sicherheit ausgelöst. Wir haben mit der AfD eine neue Partei, die in der Gesellschaft polarisiert. Von daher wird uns in den Wahlkämpfen dieses Jahres noch manche politische Auseinandersetzung – wie auch am Freitagabend – beschäftigen. Bevor sie 2012 nach Bielefeld kamen, waren Sie Polizeipräsidentin in Recklinghausen. Sind die Verhältnisse im Ruhrgebiet deutlich schlimmer als in Bielefeld?Giere: Das Einsatzaufkommen ist nicht deutlich anders als in Bielefeld. Aber vieles ist im Ruhrgebiet krasser. In Duisburg reklamieren libanesischen Großfamilien in Teilen die Straßen für sich. Das Ruhrgebiet hat mit großen Strukturproblemen zu kämpfen, insbesondere mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Probleme sind dort geballter und das verstärkt den Eindruck der Menschen, abgehängt zu sein. Bielefeld ist eine wachsende und grundsätzlich wohlhabende Stadt. Trotzdem haben auch Sie von Problemen mit bestimmten kriminellen Gruppen gesprochen, die bisher keine Rolle gespielt haben.Giere: Ja, wir haben es auch in Bielefeld mit jungen, nordafrikanischen Gruppen zu tun. Die verdienen mit Drogenhandel Geld, sind teilweise auch selbst abhängig. Viele von ihnen waren schon in ihrer Heimat kriminell. Es gab zwar Gewalt untereinander. Aber auffällig sind diese Gruppen insbesondere mit Drogenhandel und Eigentumsdelikten. Man hört immer wieder, dass der Respekt vor allem dieser jungen Kriminellen vor der Polizei sinkt. Stimmt das?Giere: Die Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte steigen kontinuierlich. Die Beamten werden massiv damit konfrontiert, sie werden körperlich angegriffen, häufig werden sie beleidigt und manchmal sogar angespuckt. Aber das ist ein generelles gesellschaftliches Phänomen. Diese Entwicklung steht nicht im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, die zu uns gekommen sind. Hat die Polizei ein Imageproblem?Giere: Nein, im Gegenteil. Obwohl in manchen Bereichen die Hemmungen uns gegenüber fallen, steht die Polizei im Ansehen der Gesellschaft immer noch ganz oben. Wir haben weiterhin einen sehr hohen Vertrauensvorschuss. Sie sind seit fast genau fünf Jahren Polizeipräsidentin in Bielefeld. Was hat sich seitdem hier verändert?Giere: In Bielefeld hat sich verändert, was sich auch gesamtgesellschaftlich verändert hat. Das Flüchtlingsthema hat Bielefeld in besonderer Weise erreicht. Wie die Stadt diese Herausforderung gemeistert hat, ist bemerkenswert. Auch wenn die größere Herausforderung noch bevorsteht: das Gelingen der Integration. Das ist auch für die Polizei wichtig, denn alles was in diesem Bereich nicht funktioniert, kann uns später Probleme machen. Was schätzen Sie an Bielefeld?Giere: Ich schätze an Bielefeld besonders, dass die Stadt so schön normal ist. Es ist eine attraktive Stadt, die aber nicht hochnäsig ist. Bielefeld hat eine enorme Prägung durch seine diakonischen Einrichtungen. Das bürgerschaftliche Engagement hier ist beeindruckend. Das hätte ich mir nach meiner Station im Ruhrgebiet nicht vorstellen können.

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