Rufus hält sich selbst für besonders – schlau, stark und gut aussehend. Eigentlich hält er sich für alles, was nicht dazu passt, auf einem riesigen Schrottplatz zu leben. Doch genau das tut er: Der Müll-Planet Deponia beheimatet Abfall und Gestank so weit das Auge reicht – und eben Rufus. Der lebt im Dorf Kuvaq. Jeder dort hat sich damit abgefunden, dass der Status quo halt einfach nicht zu ändern ist. Nur Rufus nicht. Er hält sich für hochwohlgeboren – schließlich ist er Protagonist.
So beginnt das Erste der vier Point-and-Click-Adventures der „Deponia“-Reihe direkt mit einem Fluchtversuch des Egomanen. In einer selbst gebauten Rakete will sich Rufus vom Planeten schießen. Das Ziel: die über Deponia im Himmel schwebende Insel Elysium, deren Bewohner unbeschwert im Luxus leben. So nah und doch so fern. Genau da gehört Rufus hin, ist er sich sicher. Und so begleiten wir den ultimativen Anti-Helden auf seiner Mission, von Deponia zu fliehen. So viel sei vorweggenommen: Die Rakete vom Anfang bringt es natürlich nicht.
Auf seinem Abenteuer bleibt Rufus nicht allein. Elysianerin Goal fällt ihm quasi direkt vom Himmel in die Arme. Und wir als Spielerinnen und Spieler begleiten ihn ebenfalls: Bei jeder moralisch fraglichen Entscheidung sind wir dabei, mag es sein, dass wir Goals Persönlichkeit aus Versehen in drei Teile spalten oder eine Horde Kleinkinder bei einem zwielichtigen Mann im Transporter parken. Währenddessen ist uns noch nicht bewusst, dass unsere Taten uns noch einholen werden: als Teil einer komplexen Story über Moral, Freundschaft und Verrat.
Rufus’ Pläne funktionieren niemals so, wie sie sollen

Bevor es ernst wird, ist es zunächst vor allem lustig. Bei handgezeichneter Grafik in einer bei Spielbeginn noch freundlich hellen Umgebung und stimmungsvoller Musik von Finn Seliger und Thomas Höhl lernt der Spieler schnell: Rufus’ Pläne funktionieren niemals so, wie sie sollen. Er tut sich auf kuriose Weise weh, hinterlässt stets eine Schneise der Verwüstung, und sowieso hat er es sich bereits vor Spielbeginn mit so ziemlich jedem verscherzt, den er kennt.
Denn während er selbst sich ganz toll findet, ist er den meisten anderen Charakteren hauptsächlich lästig. Und davon gibt es einige: Mehr als 150 Figuren lernt Rufus in vier Spielen kennen. Zumindest dass ihn niemand loswird, weiß er selbst: „Ich bin wie Herpes, nur cool.“
Entlang dieser Sprüche, abseitigen Witzen und ordentlich schwarzem Humor rätseln wir uns mit dem ziemlich unreflektierten Rufus durch die Geschichte. Dabei sammeln wir Gegenstände ein und kombinieren sie miteinander, um weiterzukommen. Immer wieder gehen dabei Dinge kaputt, Rufus beklaut seine Freunde, packt ihnen Klosteine ins Essen oder entzweit Liebespaare. Das tut er jedoch meist mit einem Schulterzucken ab oder bemerkt es gar nicht erst – schließlich hat er eine Mission.
Der Trailer zum ersten Teil von „Deponia“
Wir als Spieler gehen mit, denn wir wollen ja in der Story voranschreiten. Bei den ersten verwerflichen Entscheidungen mag noch ein kurzes Zögern vorhanden sein, das legt sich allerdings im Spielverlauf. Erst in den finalen Kapiteln wird Rufus auf seine Taten aufmerksam gemacht. Das Setting wird zunehmend düsterer, die Musik verändert sich.
Wir fragen uns, ob wir zu weit gegangen sind
Letztendlich steht Rufus zwischen den Stühlen und muss sich der Realität stellen: Er hat Freunde verraten, damit es ihm selbst besser geht. War es das wert? Und wie soll es weitergehen? Bleibt er dabei, nur an sich zu denken? Ist ihm alles andere egal – oder hat er dazugelernt? Auch für den Spieler wird es unangenehm, schließlich mussten wir die Taten mit Rufus gemeinsam begehen. Wir fragen uns, ob wir zu weit gegangen sind.

Es geht aber nicht urplötzlich um schwerwiegende, strukturelle Probleme: Stattdessen bahnen sie sich an, im Spielverlauf lernen wir die Welt von Deponia kennen – mitsamt ihren Abgründen. Die Einteilung in eine obere und untere Welt gibt es nicht rein zufällig – und Deponia ist so manchem Elysianer ein Dorn im Auge. Die Motive von Zwei-Klassen-Gesellschaft und systematischer Willkür einer Obrigkeit sind zusammen mit skurril zynischem Humor in die Geschichte verwoben. Das gelingt in jedem der vier „Deponia“-Teile mit insgesamt knapp 50 Spielstunden.
Hier geht es zum letzten „Zurückgespielt“: „Dear Esther“: Wie ein einsames Inselspiel das Erzählen im Gaming veränderte
Die vor mehr als zehn Jahren in „Deponia“ gestellten Fragen sind hochaktuell. Was kann und sollte ich eingehen, um mir meine Wünsche zu erfüllen? Und wir spielen in dieser Geschichte nicht den selbstlosen Helden, sondern einen dummen Egomanen. Das zwingt Spieler letztlich doch zur Reflexion.

Skurriler Humor erinnert an Lucas Arts
Die „Deponia“-Reihe gehört neben „Harveys neue Augen“ und „The Whispered World“ zu den erfolgreichsten Spielen des Hamburger Entwicklers Daedalic. Der zweite Teil der Reihe „Chaos auf Deponia“ gewann 2013 den Deutschen Computerspielpreis als bestes deutsches Spiel. Teil drei „Goodbye Deponia“ wurde im gleichen Jahr der Deutsche Entwicklerpreis für die beste Story, den besten Sound und das beste Adventure verliehen. Humor und Dialoge in „Deponia“ werden häufig mit denen von Entwickler Lucas Arts verglichen.
So auch die skurrilen Rätsel, die ihrer völlig eigenen Logik folgen. In einer Situation muss sich Rufus eine Melodie merken, empfindet die Hintergrundmusik des Spiels allerdings als einen zu heftigen Ohrwurm. Sobald wir von einem Ort zum anderen gehen, hat er die Melodie vergessen. Da ist des Rätsels Lösung, die Musik im Hauptmenü des Spiels runterzuregeln. Muss man auch erst mal drauf kommen – vorher verzweifelt man eher einige Minuten.
Noch mehr Spiele-Tests gibt’s auf unserer Themenseite: Game-Reviews & Game-News
Fazit: Ist es noch möglich, ein guter Mensch zu sein?
Letztendlich wirft „Deponia“ in jedem einzelnen Spiel die Frage auf, ob es noch möglich ist, ein guter Mensch zu sein, nachdem man unzählige kuriose, ethisch und moralisch fragwürdige Entscheidungen getroffen hat. Gemeinsam stumpft der Spieler mit Rufus ab, wird egozentrisch und desillusioniert – um am Ende gleichermaßen vor die harte Realität gestellt zu werden.
Der erste Teil von „Deponia“ ist vor 13 Jahren erschienen. Seitdem haben uns nur wenige Games einen skrupellosen und unreflektierten Protagonisten so schmackhaft machen können – und ihn vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt, die entgegen allem sind, was er eigentlich will und wofür wir stundenlang gespielt haben. Das kann „Deponia“, ohne dabei den Humor zu verlieren.
„Deponia“ ist in Deutschland seit dem 27. Januar 2012 für Windows erhältlich. Für die Play Station 4 seit dem 15. November 2016, und seit dem 24. April 2019 gibt es „Deponia“ auch für Switch und Xbox One. Das Bündel mit allen vier Teilen gibt es ab knapp sieben Euro zu kaufen und ist ab sechs Jahren freigegeben.
Transparenzhinweis: Wir haben das Spiel auf dem PC gespielt und es selbst gekauft.
INFORMATION
Für wen ist „Deponia“ geeignet?
Nicht jedes Spiel ist für jede Art von Spielerin oder Spieler gemacht. Wer hier genau richtig ist – und wer vielleicht besser was anderes spielt – zeigt dieser Überblick:
Eher passend für ...
- ... Spielerinnen und Spieler, die skurrilen Humor zu schätzen wissen.
- ... Liebhaberinnen und Liebhaber detaillierter, handgezeichneter Grafik und Zeichentrick-Animationen im Comic-Stil.
- ... Menschen, die sich gerne durch eine Geschichte rätseln.
Eher nicht für ...
- ... Action- oder 3D-Fans.
- ... Ungeduldige, die schnell weiterkommen wollen.
- ... Spielerinnen und Spieler, die geschlossene Enden brauchen.