Games-Kritik

„Pneumata“ im Test: Milton, eine Art verlorenes Paradies

Kann das Ein-Mann-Projekt von „Deadbolt Interactive“ wirklich mit den großen Namen des Horror-Genres mithalten? Die Atmosphäre stimmt, aber es gibt Tücken.

Unter der Oberfläche von Milton lauert Böses. | © Deadbolt Interactive

Christian Lund
27.12.2024 | 27.12.2024, 18:46

„Deadbolt Interactive“ nennt sich das Studio, aus dem das Horror-Spiel „Pneumata“ stammt. Dahinter steht ein einziger Mensch, Antonio Alvarado, der sich von Videospielen wie „Resident Evil“ und „Outlast“ inspirieren ließ, um sein eigenes, an den Nerven zerrendes Spiel zu schaffen. Ist „Pneumata“ also ein liebenswürdiges B-Movie-Spiel, dem wir manchen Patzer verzeihen können, weil das Spiel eben nicht von mehreren Entwicklern gebaut wurde, sondern nur von einem einzigen Horrorspiel-Fan?

Nun, wir können gleich zu Beginn unserer Rezension schon verraten, dass „Pneumata“ uns an einer Stelle verloren hat. Wir haben es nicht zu Ende gespielt. Wir kennen aber Leute, die das getan haben – es ist also durchaus möglich, es komplett durchzuspielen.

In unserer Rezension verraten wir, woran es mangelt, aber auch, was uns sehr an „Pneumata“ gefallen hat. Was natürlich Grundvoraussetzung ist: Man muss schon Horrorspiele mögen, ansonsten sollte man sich auf diese Tortur gar nicht erst einlassen.

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Worum geht’s in „Pneumata“?

Da liegt ein Videoband von der Tür, und wir spielen es einfach mal ab? Das war noch nie eine gute Idee! - © Deadbolt Interactive
Da liegt ein Videoband von der Tür, und wir spielen es einfach mal ab? Das war noch nie eine gute Idee! | © Deadbolt Interactive

Irgendwo in den Vereinigten Staaten von Amerika klingelt es um 3.33 Uhr bei uns an der Haustür. Durchs Fenster sehen wir die roten Rückleuchten eines Autos und den Schatten einer Gestalt. Doch als wir schlaftrunken die Tür öffnen, ist niemand mehr zu sehen. Übrig geblieben ist nur ein Paket auf unserer Türschwelle. Als wir es öffnen, halten wir eine Videokassette in den Händen, auf der nur „Milton, Missouri“ zu lesen ist. Milton – ist das dieser englische Dichter mit seinem Epos „Das verlorene Paradies“? Was treibt der in Missouri? Oder ist „das verlorene Paradies“ ein Synonym für Missouri?

Natürlich nennen wir einen Videorekorder unser Eigen, und so sehen wir zur nachtschlafenden Zeit einen kurzen Film, der uns das Blut in den Adern gefrieren lässt, denn wir hören darin den deutlichen Hilferuf unserer ermordeten Frau.

Als ehemaliger Mord-Ermittler haben wir einige Raffinesse im Kombinieren, und so reisen wir schon bald in das kleine Örtchen Milton, um dem seltsamen Video auf den Grund zu gehen. Milton ist tatsächlich eine Art verlorenes Paradies. Zu früheren Zeiten mag es dort recht hübsch gewesen sein, doch jetzt ist der Ort verlassen, dunkel und aus Gründen ziemlich unheimlich.

Mit spärlichem Gepäck durchsuchen wir leerstehende Gebäude, hieven unseren Körper über Autowracks, die ständig im Weg herumstehen, und begegnen schon bald den ersten fiesen Gegnern. Zombies. Untoten. Was auch immer. Monster jedenfalls, die uns nicht wohlgesinnt sind.

Was uns gefallen hat

Diese Kreatur entstammt wohl eher dem verlorenen Paradies. - © Deadbolt Interactive
Diese Kreatur entstammt wohl eher dem verlorenen Paradies. | © Deadbolt Interactive

Definitiv muss man sagen, dass Alvarado mit seinem Spiel eine bedrohliche, angespannte Atmosphäre erzeugt. Die Geräuschkulisse ist toll gelungen, Musik wird nur spärlich genutzt. Wir empfehlen auf jeden Fall, das Spiel mit Kopfhörern zu spielen. Die Story ist nicht besonders innovativ, aber grundsätzlich gut angelegt.

Die Spielmechaniken sind begrenzt: Schleichen zum Beispiel ist einfach nur langsames Gehen. Aber während wir in anderen Rezensionen oft bemängeln, dass Rennen nicht möglich ist, ist genau das in „Pneumata“ drin. Haben wir auch häufig genutzt. Wir wären auch gerne mal aus dem Lauf über eines dieser Autowracks oder andere Hindernisse gesprungen, doch das ist wiederum nicht möglich. Hier zwingt uns das Spiel dazu, vorher einfach schnell genug zu sein, damit uns der Gegner nicht erwischt, während wir mühsam über das Hindernis klettern.

Was wir außerdem zunächst begrüßen, ist das Fehlen von Karte oder Kompass. Wer keinen guten Orientierungssinn hat, kann da auf den verwirrenden Wegen und ähnlich aussehenden Gebäuden von Milton schon ordentlich verloren gehen. Wir konnten so aber völlig unserer Entdeckungsfreude nachgehen. Bis uns auffiel, dass es nicht viel zu entdecken gibt. Aber dazu unten mehr.

Was uns nicht gefallen hat

"Kind, mach' dir Licht an – du verdirbst dir die Augen!" Aber es gibt kein Licht in Milton, es ist einfach immer sehr dunkel. Vielleicht, damit man nicht sieht, wie sehr sich alles gleicht. - © Deadbolt Interactive
"Kind, mach' dir Licht an – du verdirbst dir die Augen!" Aber es gibt kein Licht in Milton, es ist einfach immer sehr dunkel. Vielleicht, damit man nicht sieht, wie sehr sich alles gleicht. | © Deadbolt Interactive

Man muss ja immer im Hinterkopf behalten, dass das Spiel nicht von einem größeren Studio entwickelt wurde, sondern von nur einem ambitionierten Entwickler. Dennoch gibt es einiges, was uns nicht gefallen hat und uns den Spielspaß etwas verhagelt hat.

Was uns gleich zu Beginn aufgefallen ist: Unsere Spielfigur hat keine Bodenhaftung. Das kann man sehr schön sehen, wenn man sich selbst auf die Füße schaut – dann sieht es nämlich so aus, als würde man ein paar Zentimeter über dem Erdboden schweben. Andererseits: Wie oft guckt man sich beim Gehen auf die Füße? Über den Fehler lässt sich wahrscheinlich am ehesten hinwegsehen.

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Interessanter wird’s dann schon bei Logikfehlern. Nur noch einmal zur Erinnerung: Wir sind ein ehemaliger Mord-Ermittler, der nach Milton gekommen ist, um einer Spur zu seiner ermordeten Frau zu folgen. Wir haben einen Rucksack dabei, in dem quasi nichts drin ist außer einer Pistole und ein wenig Verbandsmaterial. Dann finden wir eine Zange, mit der wir uns den Weg freischneiden können. Abgehalfterte Privatdetektive wie wir lassen die Zange dann an Ort und Stelle liegen – uns wird keine Möglichkeit gegeben, sie einzusacken. Wer kommt auf sowas? In allen Spielen schleppen wir Rucksäcke durch die Gegend, die proppevoll sind, und hier lassen wir ein einmaliges Werkzeug wie eine Zange liegen? Schräg.

Eine Zange hätte hier nicht mehr reingepasst. - © Deadbolt Interactive
Eine Zange hätte hier nicht mehr reingepasst. | © Deadbolt Interactive

Wir haben oben geschrieben, dass wir uns darüber gefreut haben, dass wir ohne Karte und ohne Kompass auf Entdeckungstour gehen konnten. Das hielt jedoch nicht lange an, denn bald fiel uns auf, dass die begehbaren Häuser von Milton ähnlich aufgebaut und vor allem fast immer leer sind. So bleibt ein ohnehin leerer Rucksack auch weiterhin leer. Uns hätte es besser gefallen, wenn uns die schiere Menge an Hinterlassenschaften in die Verlegenheit gebracht hätte, zu entscheiden, was wir denn nun mitnehmen und was wir zurücklassen. Ach, eine Zange? Lassen wir einfach mal hier. In unserem Rucksack ist schon zu viel von diesem notwendigen Nichts!

Trotz unseres Entdeckerdrangs hat uns „Pneumata“ verloren, als wir trotz brennender Kreuze in dem viel zu dunklen Milton einfach nicht mehr wussten, was unser Ziel ist, wo der Zaun endet und was das eigentlich alles damit zu tun hat, was wir am Anfang um 3.33 Uhr in der Nacht erlebt haben. Am Ende haben wir uns gewünscht, dass wir uns einfach nicht dieses Videoband angesehen hätten. Aber das hat ja schon bei „The Ring“ nicht funktioniert.

Unser Fazit zu „Pneumata“

Wir halten dem Ein-Mann-Entwicklerstudio „Deadbolt Interactive“ zugute, dass es ein ambitioniertes Projekt mit Potenzial aufgelegt hat, das mit einer Grundspannung aufwarten kann und Fans von B-Movies begeistern könnte. Die fehlende Zielgerichtetheit, der fehlende rote Faden sowie das dann doch unübersichtliche Leveldesign führen jedoch in die Enttäuschung, sodass wohl nur wenige das Ende des Spiels sehen werden.

„Deadbolt Interactive“ kann man nur wünschen, dass Antonio Alvarado nun das Durchhaltevermögen beweist, das man auch bei „Pneumata“ an den Tag legen muss, und mit Mut und Entschlossenheit das nächste Spiele-Projekt angeht. Bloß nicht jetzt die Zange liegen lassen – sondern in den Rucksack packen und weitergehen!

„Pneumata“ ist seit dem 20. September 2024 erhältlich für PC, PS5 und Xbox Series X|S. Es ist ab 18 Jahren freigegeben und kostet rund 40 Euro.