Reisen

Selfies aus der Todeszone: Sky-Serie beschert Tschernobyl Touristenboom

Reisen an den Unglücksort sind schon zum Schnäppchen-Preis zu haben. Vor Ort sollten Touristen aber Regeln beachten

Besucher machen Fotos im Freizeitpark der Stadt Prypjat in der Sicherheitszone um Tschernobyl. | © dpa

14.06.2019 | 14.06.2019, 18:15

Prypjat. Eine Schule ohne Schüler. Ein Freizeitpark ohne Gäste. Und ganze Wohnhausblöcke ohne Bewohner. Lange Zeit ist die ukrainische Stadt Prypjat eine Geisterstadt gewesen. Verlassen nach der Reaktorkatastophe von Tschernobyl. Doch jetzt wollen immer mehr Touristen den Ort sehen, wo am 26. April 1986 in Folge einer Evakuierung alles stehen und liegen gelassen werden musste. Viele sind dort auch auf der Suche nach dem perfekten Foto für die sozialen Netzwerke, wie ein Blick auf Instagram zeigt. Da stellt sich die Frage: Ist das nicht geschmacklos?

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Igor Simonow, Gründer des Reisevermittlers Urlaubspiraten aus Bad Oeynhausen meint: "Einen Ausflug nach Tschernobyl zu machen, hat nichts mit klassischem Urlaub zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen aufklärenden Ausflug an einen Ort, an dem Menschen furchtbares erleben mussten. Darüber hinaus handelt es sich dabei um professionell geführte Touren, die mit dem nötigen Respekt durchgeführt werden. Sie dienen vor allem der Aufklärung über diese schlimme Katastrophe."

Igor Simonow ist der Gründer vom Reisevermittler Urlaubspiraten. - © Matti Hillig
Igor Simonow ist der Gründer vom Reisevermittler Urlaubspiraten. | © Matti Hillig

Er selbst würde nach Tschernobyl reisen und meint, es sei ein wichtiges Mahnmal für eine schreckliche Katastrophe, die sich vor nicht allzu langer Zeit ereignete. Eine einfache Statue würde dem Ereignis nicht gerecht werden. "Der Ort sollte erhalten bleiben, um den Besuchern ein Gefühl für das Unvorstellbare zu geben. Aus dem gleichen Grund würde ich auch in die Normandie reisen, wo vor 75 Jahren die Landung der Alliierten stattgefunden hat. Ich würde dies in Gedenken tun und nicht um am Strand zu liegen", erklärt Simonow.

Reise für 260 Euro

Urlaubspiraten bietet aktuell einen viertätigen Aufenthalt in der Ukraine mit Unterbringung im Vier-Sterne-Hotel in Kiew, Hin- und Rückflug sowie einer zwölfstündigen Tour durch Tschernobyl und Prypjat für 260 Euro an. Das ist aber nicht das erste Mal: Bereits 2017 sei das erste Angebot zu Tschernobyl-Reisen auf das Reiseportal gestellt worden. Reiseexperte Tobias Knaut gibt aber zu: "Davor haben wir uns im Team zusammengesetzt und über das Für und Wider diskutiert. Am Ende überwog vor allem der Bildungsaspekt."

Heute sehe der Reisevermittler, dass viele seiner Nutzer ihre Tschernobyl-Besuche aus geschichtlichem Interesse heraus buchen würden. "Daher ist es uns auch wichtig, solche Touren nicht als Spaß-Touren zu verkaufen", so Knaut. Natürlich spiele beim Besuch von verlassenen Orten aber auch immer ein gewisser Grusel-Faktor mit hinein. Jeder müsse dennoch für sich abwägen, ob er einen solchen Ort besuchen möchte.

"Das ist keine Gegend, um Urlaub zu machen"

Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Bielefeld sowie europäische Präsidentin des Vereins Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW). Sie steht dem Touristen-Boom kritisch gegenüber: "Das ist keine Gegend, um Urlaub zu machen." Wenn Besucher sich ernsthaft mit dem Thema Kernkraftwerk und dem geschichtlichen Ereignis auseinandersetzen wollen, findet die Ärztin es aber okay. "Ich würde mir wünschen, dass ein Teil der Touristen zum Nachdenken angeregt wird. Schließlich gibt es genügend marode Atomkraftwerke auch in Westeuropa", so Claußen.

Die Bielefelderin war zuletzt 2006 in Tschernobyl, außerdem in Hiroshima. Sie hat ein paar Tipps für Besucher: "Ich würde jedem raten, mit einem Geigerzähler rumzulaufen." Zwar sei die Strahlung nur noch äußerst gering, aber es gebe immer noch Hotspots. "Man sollte nicht durchs Gebüsch gehen und die Schuhe nach dem Besuch abwaschen. Die Haut sollte möglichst bedeckt sein", erklärt Claußen. Außerdem liege die Strahlenempfindlichkeit bei Frauen höher als bei Männern.

Von den Ratschlägen hat diese Frau wohl noch nichts gehört, die nur eine von vielen ist, die die Reise in die Todeszone für den eigenen Instagram-Account nutzen:

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Auch das österreichische Instagram-Model Julia Bässler war am Katastrophenort, um Fotos zu machen. Auf einem rückte sie beispielsweise ungeniert ihren Po in den Mittelpunkt des Bildes, während im Hintergrund das heruntergekommene Riesenrad in der Sicherheitszone zu sehen ist. Mittlerweile wurden einige Bilder der Reise in die Ukraine von ihrem Account entfernt.

Fernsehserie "Chernobyl" löst Boom aus

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, hängt der Tourismus-Boom mit der amerikanisch-britischen Serie "Chernobyl" des Fernsehsenders HBO zusammen. Die Serie zeigt die Folgen der Nuklearkatastrophe und erzählt die Geschichten der Menschen, die bei dem Versuch noch Schlimmeres zu verhindern, ihr Leben zugunsten anderer riskierten. Zentrale Figur ist der Wissenschaftler Valery Legasov, der von der Regierung als Experte nach dem Unglück hinzugezogen wird und damit die Verantwortung für die Reaktion auf das Unglück übertragen bekommt.

Das Betreten der Sicherheitszone rund um den Unglücksort ist als Urlauber nur mit einer geführten Tour möglich. Der Guide eines dieser Unternehmen berichtet, dass die Buchungen um vierzig Prozent gestiegen sind, seit die Serie im Mai zum ersten Mal ausgestrahlt wurde.

Laut Sergiy Ivanchuk, Leiter von "Solo East Tours", sind die Besucherzahlen im Vergleich zu Mai 2018 um 30 Prozent gestiegen. Die Buchungen für Juni, Juli und August schossen sogar um 40 Prozent in die Höhe. "Viele Leute kommen her und fragen etwas über die Fernsehserie und was hier alles passiert ist. Sie werden immer neugieriger", sagt Tour-Guide Viktoria Brozhko.

Warnung vor Essen und Trinken in der Region

Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes heißt es zum Thema radioaktive Risiken: "Infolge des Reaktorunglücks von Tschernobyl wurden weite Gebiete stark radioaktiv belastet. Ein Aufenthalt in den meisten Landesteilen ist nach Auskunft des Bundesamts für Strahlenschutz inzwischen unbedenklich. Aus Vorsorgegründen sollte jedoch der Genuss von Pilzen, Beeren, Süßwasserfischen und Wild sowie einheimischen Milchprodukten aus den belasteten Regionen vermieden werden. Auch Leitungswasser sollte nicht getrunken werden."