
Bielefeld. Als wir in der Redaktion über eine "Themenwoche Datenschutz" sprachen, kam ziemlich schnell eine Frage auf: Ist die Diskussion über Daten und Privatsphäre eigentlich ein rein deutsches Ding?
Wenn nicht gerade ein Daten-Skandal bei Facebook bekannt wird, scheint zumindest gefühlt in keinem anderen Land der Welt so oft und so kritisch über Tech-Konzerne und ihren Umgang mit Daten gesprochen zu werden. Egal ob es um Amazons Alexa geht, oder um Google Streetview, oder den Umgang mit sozialen Netzwerken an sich.
Die Vermutung ist nicht ganz abwegig: Sogar Studien belegen, dass die Deutschen mehr auf den Schutz ihrer Daten im Internet bedacht sind als beispielsweise US-Amerikaner, Briten, Chinesen und Inder. Gleichzeitig wissen sie aber auch am wenigsten darüber, welche Daten sie eigentlich gegenüber Online-Diensten wie Facebook oder Google preisgeben. Das ist das Ergebnis einer länderübergreifenden repräsentativen Befragung zum Thema Datenschutz der US-Firma Frog.
Nun sind aber Studien immer noch Studien - und auch nicht immer alltagstauglich. Sind Menschen aus anderen Teilen der Erde ihre Daten also tatsächlich egaler? Oder ist Deutschland bei dem Thema einfach ein bisschen zu hysterisch? Welche Unterschiede werden im digitalen Alltag deutlich?
Um das herauszufinden habe ich diverse Auslandssemester-Kontakte vergangener Jahre in einem Chat zusammengetrommelt - und mich mit Digital-Natives aus aller Welt über Datenschutz unterhalten. Natürlich sind ihre Ansichten völlig unrepräsentativ. Die Ergebnisse der Gespräche sind dennoch aufschlussreich.
"Wie wichtig ist euch Datenschutz?"
Matthias (NW): Ich würde gerne mit euch über Datenschutz sprechen. Ich weiß, klingt langweilig. In Deutschland ist das aber seit Jahren ein riesiges Thema. Immer wieder warnen Datenschützer vor Google und Facebook, die Daten an Werbekunden verkaufen. Taucht das bei euch überhaupt irgendwie in der Diskussion auf?
Aaron (USA): In der Tat ist das keine rein deutsche Debatte. Auch hier in den USA sprechen wir über Dienste wie Facebook, Google, Yahoo und ihre Datenschutzbestimmungen.
Matthias (NW): Und beeinflusst das euren Alltag?
Aaron (USA): Eigentlich gar nicht. Den Leuten ist schon bewusst, dass diese Dienste ihre Daten für Werbung verkaufen. Die meisten stört das aber nicht, solange die Informationen anonym behandelt werden.
Christian (Dänemark): Ich muss da zustimmen. Auch Dänemark spricht über dieses Thema. Ich würde sogar behaupten, Datenschutz generell ist eins der am heißesten diskutierten Themen unserer Zeit.
Matthias (NW): Wie sieht das bei den anderen aus?
Daniela (Malta): In Malta ist das wohl etwas anders. Ich persönlich denke schon über das Thema nach. Ich würde aber behaupten, dass es in der öffentlichen Diskussion hier keine große Rolle spielt.
Kristīne (Lettland): Same here. Weder in den Medien noch in der öffentlichen Diskussion ist Datenschutz in Lettland ein großes Thema. Es wird zumindest nicht als Problem aufgefasst.
Miki (Japan): Sagen wir so: Das Thema ist heute zumindest wichtiger als es früher mal war. Vor allem in Unternehmen spielt es inzwischen eine große Rolle.
Hysterie um WhatsApp
Matthias (NW): Mal ein Beispiel: Als Facebook 2013 WhatsApp übernommen hat, ging ein riesiger Aufschrei durch die sozialen Netzwerke. Nutzer meldeten sich aus Protest bei WhatsApp ab und wechselten zum vermeintlich datenschutzfreundlichen Messenger "Threema". Gab es bei euch seinerzeit auch so einen Aufschrei?
Daniela (Malta): Nein, nicht mal ansatzweise. Ich erinnere mich an überhaupt keine Diskussion zu diesem Thema.
Christian (Dänemark): Das Problem gab es bei uns auch nicht.
Aaron (USA): Hier auch nicht. Wenn es um Messenger geht, interessieren sich die Amerikaner aber ohnehin kaum für den Datenschutz. Seit 9/11 wissen wir, dass unsere Kommunikationswege ohnehin von der Regierung überwacht werden. Ein größeres Thema ist da schon der Datenschutz von Facebook und Google selbst. Beispiel: Wenn das Telefon ständig mithört und dir dann plötzlich passende Werbevorschläge schickt. Unsere Generation ist sich dessen sehr bewusst - aber den meisten ist es am Ende egal, und sie nutzen diese Dienste trotzdem.
Matthias (NW): Und in Japan?
Miki (Japan): WhatsApp wird bei uns überhaupt nicht genutzt. Anders der Messenger "Line". Der ist stellenweise sogar ziemlich unsicher: Die App wird oftmals von Trickbetrügern genutzt. Trotzdem ist "Line" in Japan die populärste Chat-App.
Die Sache mit Alexa und Co.
Matthias (NW): Das nächste große Ding sind ja intelligente Lautsprecher wie Amazons "Alexa" oder der "Google Home". Deutsche Datenschützer sehen diese Geräte kritisch, weil sie immer zuhören. Wird das Thema in eurem Land diskutiert?
Daniela (Malta): Die meisten Leute in Malta wissen wahrscheinlich nicht mal, was "Alexa" überhaupt ist. Diese Technologie ist hier noch nicht sonderlich verbreitet - ich habe sie nur gelegentlich mal in Elektronikläden gesehen.
Miki (Japan): Ich habe einen "Google Home" mal bei einem Freund gesehen, der aus Österreich kommt. Sonst sind diese Geräte in Japan überhaupt nicht verbreitet.
Kristīne (Lettland): Das geht mir in Lettland ähnlich. Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht mal, was "Alexa" eigentlich ist.
Matthias (NW): Erstaunlich. Hier stehen die Dinger inzwischen in vielen Wohnzimmern.
Aaron (USA): Also bei uns kennt man diese Dienste definitiv - und es wird auch durchaus über ihre Datenschutzkriterien gesprochen. Trotzdem stehen sie inzwischen in vielen Wohnungen. Wie schon gesagt: Den meisten Leuten ist das ziemlich egal.
Verpixelte Häuser bei Google Streetview
Matthias (NW): Gab es jemals ein Problem mit Google Streetview in eurem Land?
Daniela (Malta): Problem? Eigentlich nicht. Bei uns wurde Google Streetview erst im vergangenen Jahr gelauncht. Ich erinnere mich, dass Leute dann ihre eigenen Häuser gegoogelt haben - aber keiner meiner Freunde oder Kollegen hat irgendwelche Bedenken geäußert.
Christian (Dänemark): Wir nutzen Streetview auch sorgenlos. Eine Debatte über Privatsphäre hat es dazu noch nie gegeben.
Matthias (NW): Hier in Deutschland gab es seinerzeit riesige Protestwellen. Leute haben ihre Häuser bei Google verpixeln lassen - manche Städte wurden daraufhin von Google komplett boykottiert.
Aaron (USA): Da ist der Amerikaner deutlich entspannter. Über Privatsphäre wird in Sachen Streetview überhaupt nicht gesprochen. Ich erinnere mich an Fälle, dass Google verklagt wurde, weil sie ungefragt Menschen gefilmt haben. Aber der Dienst an sich wird eigentlich nicht kritisch gesehen.
Kinderfotos auf Facebook
Matthias (NW): Wie gehen die Menschen in eurem Land mit Kinderfotos auf Facebook um? Ist das ein Thema?
Aaron (USA): Ich wünschte, da wäre der US-Amerikaner ein bisschen vernünftiger. Ich bin da leider in der Minderheit. Sehr viele Menschen posten Bilder von ihren Babys und Kindern auf Facebook. Die wenigsten denken über mögliche Konsequenzen nach.
Daniela (Malta): Ich sehe das Thema auch kritisch. Leider ist das auch hier ziemlich normal, Bilder seiner Kinder auf Facebook zu posten. Manche versuchen das zu vermeiden. Neulich an Karneval haben dann aber trotzdem alle Mütter, die ich kenne, ihre Kinder in Kostümen an Karneval gepostet.
Matthias (NW): Hier in Deutschland warnt selbst die Polizei davor, Bilder von Minderjährigen in den sozialen Netzwerken zu posten.
Aaron (USA): Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und es komplett verbieten. Es ist ein Bruch der Privatsphäre - auch ein Kind hat die. Und wir Erwachsenen sind dafür Verantwortlich diese Privatsphäre zu schützen, bis die Kinder 18 sind. Wenn man ständig Kinder ins Netz lädt, die auf Videos idiotische Dinge tun, kann das beispielsweise später ihre Job-Perspektiven beeinflussen. Darüber denkt hier kaum jemand nach.
Kristīne (Lettland): Bei uns gibt es Menschen, die ganze Blogs mit ihren Kindern füllen - und damit wiederum andere Mütter inspirieren, dasselbe zu tun. Viele von ihnen posten sogar ziemlich private Informationen über ihre Kinder.
Matthias (NW): Und was hältst du davon?
Kristīne (Lettland): Ich sehe das ähnlich wie Aaron. Die Eltern handeln gegen den freien Willen ihrer Kinder, sie haben keine Chance das abzulehnen.
Miki (Japan): Auch in Japan ist das ziemlich populär. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass die Polizei hier mal eine entsprechende Warnung ausgesprochen hat. Ich persönlich muss den anderen zustimmen: Da sollte es härtere Gesetze geben. Niemand bedenkt, dass Kinder auch älter werden - und sich später für diese Bilder schämen könnten.
Klarnamen bei Facebook
Matthias (NW): Hier in Deutschland ist es ziemlich populär, keine Klarnamen in den sozialen Netzwerken zu verwenden. Viele sind auf Facebook mit einem Pseudonym unterwegs. Wie ist das bei euch?
Kristīne (Lettland): Das finde ich witzig! Ich habe ein paar deutsche Freunde - jetzt verstehe ich auch, warum die bei Facebook nicht unter ihrem Namen angemeldet sind.
Matthias (NW): Haha, ihr kennt das also gar nicht?
Kristīne (Lettland): Nein, das gibt's bei uns nicht. Wer nicht auf Facebook gefunden werden möchte, meldet sich dort gar nicht erst an.
Matthias (NW): Ist das bei euch ähnlich?
Daniela (NW): Die meisten Leute in Malta nutzen ihren richtigen Namen auf Facebook. Ich kenne ehrlich gesagt nur eine einzige Person, auf die das nicht zutrifft. Sie nutzte ein Pseudonym, damit sie ihre Kommilitonen nicht auf Facebook finden.
Miki (Japan): Nicknames nutzt man hier eigentlich nur auf Instagram, Twitter und Co.. Bei Facebook sind alle unter Klarnamen unterwegs.
Aaron (USA): Ich kenne nur wenige Freunde, die Pseudonyme auf Facebook nutzen. Meistens dann, wenn sie sich für einen neuen Job bewerben, damit der künftige Arbeitgeber sie nicht findet.
Christian (Dänemark): Bei uns nutzen die meisten Leute Klarnamen auf Facebook. Einige lassen jedoch ihren Nachnamen weg.
Datenschutz in Schulen
Matthias (NW): Wie digital ist Bildung in eurem Land? Ist Datenschutz ein Thema? Hier in Deutschland wird beispielsweise heftig über die Arbeitsplattform Logineo gestritten.
Aaron (USA): Wie es in der Schule aussieht, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Datenschutz war aber an meiner Uni ein großes Thema. Selbst wenn man nur in die Bibliothek wollte, musste man sich authentifizieren, um Computer und Online-Material nutzen zu können.
Matthias (NW): Und der Unterricht selbst? Wie digital ist der?
Aaron (USA): Die meisten Unis hier wandeln sich mehr und mehr in digitale Klassenräume. Die meisten Vorlesungen muss man nicht mehr besuchen, weil man sie auch online findet. Datenschutz und Privatsphäre werden dabei aber tatsächlich immer wieder gepredigt.
Daniela (Malta): Ich erinnere mich an keine große Datenschutz-Debatte an der Uni. Unsere hat eine Website, auf der man sich diverse Dokumente herunterladen kann. Prüfungen werden nach wie vor klassisch gedruckt eingereicht.
Kristīne (Lettland): An unserer Uni wurden schon zu meiner Zeit Cloud-Server eingesetzt, zum Beispiel für Gruppenarbeiten. Über Datenschutz haben wir nicht wirklich gesprochen.
Miki (Japan): Der digitale Ausbau der Unis steigt bei uns deutlich. Dabei werden auch Cloud-Dienste eingesetzt. An Datenschutz-Bedenken erinnere ich mich aus meiner Uni-Zeit nicht.
Christian (Dänemark): Auch in Dänemark ist Bildung inzwischen ziemlich digital. Wenn Cloud-Dienste eingesetzt werden, dann sind es jedoch immer eigene Server um Datenschutzprobleme zu vermeiden.
Matthias (NW): Wie geht ihr selbst mit euren Daten um? Ist das ein Thema in eurem Alltag?
Kristīne (Lettland): Ich glaube, dass ich die Dinge, die ich in die Welt sende, ganz gut kontrollieren kann. Social-Media und Technologie gehören aber heute nun mal zum Leben dazu. Ich möchte das nicht missen. Wie man mit seinen Daten umgeht, muss ja am Ende jeder selbst entscheiden.
Miki (Japan): Bei mir ist das allenfalls auf der Arbeit ein Thema - dort wird Datenschutz groß geschrieben. Im Privatleben habe ich mit dem Thema nur selten Berührungspunkte. Ich finde es aber gut, dass sich das Bewusstsein schärft. Und ich bin auch dafür, dass schon Kinder diesbezüglich geschult werden sollten.
Daniela (Malta): Ich versuche, so vorsichtig wie möglich mit meinen Daten umzugehen. Ich denke, die Leute sollten viel mehr darauf achten - insbesondere, wenn es um ihre Kinder geht.
Aaron (USA): Naja, ich bin Digital-Native. Ich nutze Technologie dauerhaft im Alltag. Ich persönlich denke über Datenschutz und Privatsphäre vermutlich mehr nach als so manch anderer meiner Generation. Und ich sehe Deutschland hier auch als Vorbild. Es ist gut, einen Schritt vorauszudenken und zu versuchen, große Tech-Unternehmen zu regulieren. Die USA sind da deutlich hinterher.
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