Wissenschaft

Studie aus Bielefeld: Vier von fünf Studenten betrügen im Studium

Jeder Fünfte gibt Plagiat zu / Das sagen Hochschulen aus OWL

Heute schon überholt: Der altgediente Spickzettel in der Handfläche. | © dpa

Björn Vahle
05.12.2016 | 06.12.2016, 15:06

Bielefeld. Schummeln im Studium ist weit verbreitet. Vier von fünf Studenten geben zu, bei Prüfungen zu unsauberen Tricks zu greifen. Das zeigt eine Studie des Kölner Soziologen Sebastian Sattler für die Universität Bielefeld. Das reicht vom Spickzettel über das Fälschen von Laborergebnissen bis hin zum Plagiat.

Für die Studie wurden von 2009 bis 2012 mehrfach jeweils 2.000 bis 6.000 Studenten verschiedener Hochschulen anonym befragt. Dabei gaben 79 Prozent zu, in den letzten sechs Monaten mindestens einmal im Studium zu Schummeltricks gegriffen zu haben. Mehr als jeder Dritte hatte in einer Klausur (37 Prozent) abgeschrieben. Jeder Vierte (24 Prozent) hatte Daten gefälscht oder erfunden. Und fast jeder Fünfte (18 Prozent) hatte bei schriftlichen Arbeiten plagiiert.

„Es ist heute sehr viel einfacher geworden, zu betrügen", sagt Sattler. Das gilt zum Beispiel fürs Abkupfern aus dem Internet, das auch schon prominenten Politikern wie dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zum Verhängnis geworden ist. „Es gibt heute so große Massen von Texten online, die man mit ein paar Klicks übernehmen kann. Das gab es vor 20, 30 Jahren noch nicht", sagt Sattler.

Handy dabei = Täuschungsversuch

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Studenten sind beim Schummeln erfinderisch: Sie drucken sich abgewandelte Flaschenetiketten aus. Das Kleingedruckte wird zur Formelsammlung - passende Vorlagen gibt es im Internet. Andere setzen aufs Handy und verschicken ein Foto der Aufgaben - die Lösung kommt per SMS. Oder sie wird eben mündlich über einen drahtlosen Knopf im Ohr durchgegeben. „Das ist wie beim Doping im Sport - es gibt immer etwas Neues, und die Jäger sind oft einen Schritt hinterher", sagt Sattler.

Auch die anderen Hochschulen in OWL beschäftigt das Thema. "Die Studierenden müssen sich grundsätzlich an die Rechtsgrundlage halten, also an die Prüfungsordnung", sagt Verena Kukuk, Pressesprecherin der Fachhochschule Bielefeld. Wie viele der Studenten diese tatsächlich kennen, vermag sie allerdings nicht zu sagen. Denn: "Bei Abschlussarbeiten gibt es immer wieder Fälle von Plagiaten oder Ghostwriting."

Bei Klausuren dürfen Studenten nur mit an den Platz nehmen, was sie für die Prüfung brauchen. Neben Stiften, Taschenrechnern und Büchern auch etwas zu Trinken. Ein Spickzettel in Form eines Flaschenetiketts (siehe Infokasten) wäre also prinzipiell möglich. Kukuk: "Spickzettel wird es immer geben. Aber die Prüfungen werden ja auch beaufsichtigt."

Schwierig werde es nur bei einem Verdacht, der sich nicht bestätigen lässt. Etwa, wenn ein Student ein Kleidungsstück nicht hergeben will, in dem die Aufsicht einen Spickzettel vermutet. "Da steht unsere Prüfungsordnung gegen das Grundgesetz", erklärt Kukuk. In solchen Fällen könne es sogar zu juristischen Prüfungen oder Auseinandersetzungen kommen.

Exmatrikulation = Studium im Fach untersagt

Außerdem gilt bei Klausuren an der FH absolutes Handyverbot, das sogar auf den Aufgabenzetteln steht. "Schon das Mitführen gilt als Täuschungsversuch", sagt Kukuk. Und sogar der Toilettenbesuch ist so geregelt, dass Studenten nur einzeln gehen dürfen. Mitunter, so Kukuk, takteten Lehrkräfte die Prüfungen aber auch einfach so eng, "das man gar nicht auf die Idee kommt, zur Toilette zu gehen".

Die Konsequenzen sind teilweise gravierend. Ein einzelner Täuschungsversuch führe in jedem Fall dazu, dass die Prüfung als nicht bestanden gewertet wird. "Jeder bekommt natürlich eine zweite Chance", sagt Kukuk. Bei Wiederholungen können Täuschungsversuche auch zur Exmatrikulation führen. "Dann darf das Studium im jeweiligen Fach an keiner deutschen Hochschule fortgeführt werden."

Um Plagiate aufzudecken, nutzt beispielsweise die Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld ein spezielles Programm. Dort müssen Studenten ihre wissenschaftlichen Arbeiten - darunter Bachelor- und Masterarbeit - hochladen. Das Programm sucht dann im Internet nach abgekupferten Quellen, die nicht kenntlich gemacht wurden. Die Lehrkräfte können so in kurzer Zeit ermitteln, ob die Arbeit wissenschaftlich korrekt erstellt wurde.

Auch an der Hochschule OWL in Detmold gibt es immer wieder Betrugs- und Täuschungsversuche. Andreas Niegel, Professor im Fachbereich Maschinentechnik und Mechatronik erinnert sich an die Zeit, als er noch den sperrigen Titel "Ombudsmann für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten" hatte. "Angefangen von Schummelzetteln, getarnt als Aufkleber auf Trinkflaschen bis hin zu elektronischen Informationsübermittlungen per Smartphone" sei alles dabei gewesen.

Seine Zeit als Beauftragter liege zwar schon eine Weile zurück, an eine Anekdote erinnert er sich aber bis heute: "Als ich einen Studenten mit einem Spickzettel erwischt habe und die Herausgabe gefordert habe, hat der den Zettel einfach aufgefuttert."