Bielefeld

Volksbegehren gegen Turbo-Abi in NRW läuft an

Die Unterschriftenlisten liegen jetzt öffentlich aus. Doch jede Kommune geht damit anders um.

Veränderung gefordert: Die Gegner des G-8-Abiturs haben ein Volksbegehren gestartet und wollen 1,1 Millionen Unterschriften sammeln. | © dpa

Martin Fröhlich
02.02.2017 | 02.02.2017, 16:23

Bielefeld. In NRW soll das Volk entscheiden. Und zwar darüber, ob Schluss sein soll mit dem Turbo-Abitur und das Schulsystem zu G9 zurückkehrt. Es ist das erste Volksbegehren nach 39 Jahren. Wer aber teilnehmen will, steht vor einigen Hürden.

Mit dem Volksbegehren will die Initiative „G9 jetzt" erreichen, dass NRW wieder die Rahmenbedingungen einführt, die bis 2005 herrschten. „Uns geht es nicht nur darum, die Abiturzeit um ein Jahr zu verlängern", erklärt der Sprecher der Initiative, Marcus Hohenstein. Vielmehr wolle man, dass die Maximalstundenzahl pro Tag begrenzt wird und Kernfächer gestärkt werden. „Das ist bei der Einführung des Turbo-Abiturs auf der Strecke geblieben", so Hohenstein. Die Initiative hat einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt. Sie will erzwingen, dass sich der Landtag damit befasst.

Um das zu erreichen, benötigt „G9 jetzt" 1,1 Millionen Unterschriften. Von Donnerstag, 2. Februar, an bis zum 7. Juni müssen alle Kommunen die Unterschriftenlisten auslegen. So weit, so gut. Doch wer sich in die Listen eintragen will, muss herausfinden, wo und wann das möglich ist. „Es gibt in NRW 396 Kommunen und fast ebenso viele unterschiedliche Vorgehensweisen", sagt Hohenstein. Zwar sind die Rahmenbedingungen für die Auslegung der Listen per Gesetz geregelt, nicht aber die Frage, wie Verwaltungen auf das Begehren hinweisen.

Kommunen gehen mit Volksbegehren unterschiedlich um

Einige Städte und Gemeinden, etwa im Kreis Gütersloh, handhabten es offensiv. „Dort findet man im Internet schon auf der Startseite einen Link." Bei den meisten aber müsse man suchen. In Bielefeld zum Beispiel führt der Weg nur über die Suchfunktion. Gibt man „Volksbegehren" ein, stößt man auf die Infos.
Information

Der Gesetzentwurf

  • „G9 jetzt" fordert, dass die Jahreswochenstunden für die Sekundarstufe I 180 nicht überschreiten. Damit soll der Unterricht auf maximal 6 Stunden täglich begrenzt werden.
  • Die Sekundarstufe I am Gymnasium soll wieder von Klasse 5 bis 10 dauern. Danach erhalten Schüler die Mittlere Reife.
  • Die Sekundarstufe II soll die Jahre 11 bis 13 umfassen. Der Pflichtunterricht dort soll auf 90 Jahreswochenstunden begrenzt werden.
  • Gelten soll all das ab August 2017.

„Wir werden in den nächsten Tagen einen entsprechenden Hinweis auf der Startseite platzieren", sagt Ruth Goebel vom Team Wahlen. Es gebe eben noch keine praktischen Erfahrungen mit Volksbegehren. Die Kommunen müssten erst ihren Weg finden, sagt sie.

Marcus Hohenstein arbeitet an einer Übersicht der Kommunen. Das Gefälle sei groß, sagt er. Dortmund biete die Listen in neun Bezirksämtern an, Duisburg nur in zwei. Schon bei der Zusendung der Listen gab es Probleme. Einige Kommunen erhielten ein zweites Paket, weil das erste unauffindbar war. „Nach Holzwickede haben wir es im dritten Anlauf per Einschreiben gesandt."

Auch die Frage der vier Sonntage, an denen die Listen ausliegen müssen, habe für Verärgerung gesorgt. „Es gab sogar Beschwerden beim Landeswahlleiter", so Hohenstein.

Kommentar

Eine Lücke im Gesetz

NRW hat ab heute die Wahl – zweifach. Das Volksbegehren gegen das Abitur nach acht Jahren findet auf zwei Ebenen statt: auf der inhaltlichen, in der es um Schulpolitik geht. Und auf der formellen, in der es um Basisdemokratie, um direkte Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen geht.

Die Argumente für und wider das Turbo-Abi sind ausgetauscht. Dass etwas geändert werden muss, scheint unstrittig. Nur was, das ist unklar. Die Parteien haben Reformvorschläge gemacht. Die Landtagswahl aber findet statt, bevor die Listen am 7. Juni geschlossen werden. So kann es sein, dass die neue Regierung sich mit der großen Streitfrage auseinandersetzen muss.

Vorausgesetzt, „G9 jetzt" bringt die knapp 1,1 Millionen Unterschriften zusammen. Fest steht, dass alle, die das Turbo-Abi abschaffen wollen, aktiv werden müssen. Sie müssen in Bürgerbüros und andere Ämter gehen oder online Formulare bestellen. Wahlbenachrichtigungen gibt es nicht. Eigeninitiative ist gefragt. Auch beim Versuch herauszufinden, wann und wo man abstimmen kann. Völlige Freiheit haben die Verwaltungen darin, ob und wie sie auf das Volksbegehren hinweisen.

2011 beschloss der Landtag das Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren. Er wird nachbessern müssen, denn die Kriterien zur Veröffentlichung sollten klar genannt werden. Dass man beim letzten Begehren 1978 nicht über Infos auf Internetseiten nachdachte, ist klar. Heute muss man das.

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