
Bielefeld. Die Hoffnung zahlreicher Rentner in OWL im Kampf um niedrigere Krankenkassenbeiträge hat sich zerschlagen. Der Petitionsausschuss des Bundestages wird das Ersuchen um eine Änderung der sogenannten 9/10-Regelung nicht unterstützen. Das erfuhr nw.de aus Berliner Kreisen.
Nur wer die 9/10-Regelung erfüllt, wird als Rentner Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das bedeutet deutlich niedrigere Beiträge als bei einer freiwilligen Mitgliedschaft. In die werden viele Ehepartner von Beamten oder Selbstständigen beim Renteneintritt gezwungen. Hintergrund ist, dass sie irgendwann über ihre Partner Mitglied der privaten Krankenversicherung waren. Für die freiwillige Versicherung wird auch das Einkommen des Partners angerechnet.
Etliche Petitionen gingen aus ganz Deutschland in Berlin ein – auch aus OWL. Wie jene von Eva Koslowski aus Bielefeld und Marianne Nolting aus Lemgo. Doch der Erfolg blieb aus. Nach Informationen dieser Zeitung haben die Berichterstatter des Ausschusses im Gespräch mit CDU, SPD und Grünen ihre Position festgelegt. Demnach soll sich weder rückwirkend etwas für die Betroffenen ändern, noch künftig an der 9/10-Regelung gerüttelt werden. Sie sei wichtig, um das Solidarprinzip der Krankenversicherung zu erhalten. Lediglich in einem Punkt sieht die Politik Handlungsbedarf: Der Ausschuss will die Bundesregierung prüfen lassen, ob man die Informationen für Betroffene verbessern kann. Es gehe um eine verpflichtende Aufklärung bei einem Wechsel in die private Krankenversicherung.
Selbst die Härtefälle von Frauen, denen nur Tage oder Wochen zur Erfüllung der 90 Prozent fehlen, bleiben bestehen. Nach Ansicht der Politiker müsse es immer einen Stichtag geben, auch wenn der gelegentlich problematisch sei.
Der endgültige Beschluss des Petitionsausschusses fällt zwar erst 2016, da sich aber die Berichterstatter von Koalition und Opposition einig sind und die Fraktionen dies mittragen, ist ein positives Votum sehr unwahrscheinlich.
„Ich bin zutiefst enttäuscht", sagt Eva Koslowski. Sie habe zwei Jahre lang mit ihren Mitstreitern gekämpft. „Man hat uns bis zum Schluss als Einzelfälle hingestellt, obwohl allein ich mit 200 betroffenen Frauen in Verbindung stehe." Eine Informationspflicht für Kassen sei ein schwacher Trost. Aufgeben will sie nicht. „Was man mit uns gemacht hat, halte ich für gesetzeswidrig." Mehrere Betroffene haben vor dem Landessozialgericht in Essen gegen ihre Krankenkasse geklagt.
Kommentar: Längst überholt
Die Berliner Politik ist sich weitgehend einig darin, an der 9/10-Regelung festzuhalten. Das kommt nicht überraschend, macht aber die Sorgen der Betroffenen nicht kleiner. Im Gegenteil.
Berlin verweist auf das Solidarprinzip der gesetzlich Versicherten. Es sagt damit nichts anderes, als dass eine Aufnahme der vorübergehend woanders versicherten Betroffenen für die gesetzlichen Kassen eine zu hohe Belastung darstelle.
Doch ist das wirklich so? Wenn immer wieder das Argument vorgebracht wird, es handle sich nur um Einzelfälle, dann scheint umgekehrt die zu befürchtende finanzielle Mehrbelastung gar nicht so gewaltig zu sein. Was für das Gesamtsystem der Krankenversicherung wohl nur eine Randnotiz wäre, hätte für die einzelnen Betroffenen eine gewaltige entlastende Wirkung.
Es sei daran erinnert, dass die Verfasser der Petitionen aus ganz Deutschland alle nur vorübergehend das Solidarsystem der gesetzlichen Versicherung verlassen hatten, nicht jedoch endgültig. Sie haben meist längst wieder in den gesetzlichen Topf eingezahlt, viele Jahrzehnte lang. Nur eben nicht 90 Prozent der zweiten Erwerbsphase ihres Lebens.
Die Realität in diesem Land ist, dass sich der Arbeitsmarkt verändert. Die gebrochene Erwerbsbiografie mit Jobwechseln, Erziehungspausen und Phasen von Selbstständigkeit oder Arbeitslosigkeit wird zur Normalität. Die 9/10-Regel in ihrer jetzigen Form ist überholt. Das Solidarprinzip zu schützen ist eine Sache, es ad absurdum zu führen, indem man Härtefälle unsolidarisch ignoriert, ist eine andere.
Stichwort 9/10-Regelung
Die 9/10-Regelung soll verhindern, dass Versicherte im Alter aus der teurer werdenden privaten Krankenversicherung in die günstigere gesetzliche wechseln.Die Regelung besagt, dass nur der ein Pflichtmitglied in der Krankenversicherung für Rentner wird, der in der zweiten Hälfte der Erwerbszeit vor Einreichen des Rentenantrags zu 90 Prozent gesetzlich versichert war.
Die Regelung trifft meist Ehepartner von Beamten und Selbstständigen.