Kultur

Interview: Christoph Maria Herbst über seinen Film "Die Kleinen und die Bösen"

"Ich möchte politisch unterhalten"

Kultig durch "Stromberg": Christoph Maria Herbst unterstützt ein Kinderhospiz. | © picture alliance / dpa

03.09.2015 | 03.09.2015, 16:49

Berlin. In der am Donnerstag im Kino startenden schwarzen Komödie "Die Kleinen und die Bösen" erlebt man den 49-jährigen Christoph Maria Herbst in der Rolle des desillusionierten Bewährungshelfers Benno, der sich gegen eine Kindeswohlgefährdung stark macht. André Wesche sprach mit Herbst über zivilen Ungehorsam und Erfahrungen aus dem Kinderhospiz.

Herr Herbst, reagieren Sie erst einmal skeptisch, wenn Sie in einer Geschichte den Mann vom Amt spielen sollen?
Christoph Maria Herbst (lacht):
Meine Neugier überwiegt da meine Skepsis. Wenn ich gleich in der ersten Szene lese, dass da jemand im Büro am Schreibtisch sitzt, dann ist tatsächlich der erste, geradezu körperliche Reflex ein Zucken. Aber ich zucke nicht zurück. Es geht ein kleiner elektrischer Schlag durch mich durch und zeigt mir, dass ich noch lebe. Dann lese ich das Buch aber gern zu Ende, wenn da irgendetwas ist, was mich reizt und interessiert.

Was war das in diesem Fall?
Herbst:
Dieser Benno aus "Die Kleinen und die Bösen" hat mit Stromberg ja so gar nichts zu tun, außer, dass er eben auch einen Schreibtisch hat. Ich fand es spannend, dass ich mich als Figur endlich auch in eine Frau verlieben durfte. Außerdem hat Benno mal kein Herz aus Granit, sondern ein Herz aus Gold.

Der Film wagt sich, ganz politisch unkorrekt, Jugendliche aus dem Kosovo als Gauner darzustellen, die sich Sozialleistungen erschleichen, und es wird auch in den Raum gestellt, dass viele Leute Kinder kriegen, die besser keine haben sollten. Solche Äußerungen können Politikern den Job kosten. Erwarten Sie empörte Reaktionen?
Herbst:
Ich würde es mir wünschen, aber ich glaube es nicht. Jeder, der irgendwie "kunstgewerblich" tätig ist, hat es eigentlich gerne, wenn ein Projekt, an dem er beteiligt ist, für einen kleinen Aufschrei sorgt. Das zeugt von gewonnener Aufmerksamkeit und einer gewissen Fokussierung. Das werden wir mit diesem hübschen, kleinen Film wohl nicht leisten können. Benno fungiert ja auch als Erzähler der Geschichte. Seine Äußerungen entspringen nie einem misanthropischen Zynismus. Er hat in den Jahrzehnten, in denen er als Bewährungshelfer am Schreibtisch sitzt, ein wenig an Idealismus eingebüßt. Es ist sein empirischer Blick auf seinen Job und die Gesellschaft. Diese Dinge werden sicherlich dem einen oder anderen - hoffentlich den Richtigen - aus dem Herzen sprechen. Und sollte es einem Politiker tatsächlich den Job gekostet haben, naja. Wäre er lieber mal Künstler geworden. Die Kunst ist Gott sei Dank immer noch frei.

Glauben Sie an das Konzept der Resozialisierung?
Herbst:
Das ist ein schwieriges Thema, mit dem ich mich nicht umfassend befasst habe. Ich habe mich mehr mit der Figur des Bewährungshelfers auseinandergesetzt als mit der Bewährungshilfe in Deutschland an sich. Aber es spricht schon für einen kulturvollen Rechtsstaat, wenn er jedem Menschen, der in seinem Leben auf eine auch noch so kriminelle Verfehlung zurückblickt, eine Chance auf Wiedergutmachung gibt. Da setzt das Konzept der Resozialisierung an. Das andere Extrem wäre die Todesstrafe. Man sagt: "Du hast dein Leben in unserer Gesellschaft verwirkt. Wir spielen jetzt Gott und nehmen dir das Leben, das wir dir aber eigentlich gar nicht gegeben haben". Das geht gar nicht! Ich finde, von allen schlechten Systemen haben wir noch das Beste.

Der Film zitiert Gandhis "Ziviler Ungehorsam wird zur heiligen Pflicht, wenn der Staat den Boden des Rechts verlassen hat.". Wenn man die Abendnachrichten schaut, müsste sich doch auf den Straßen längst mehr tun?
Herbst:
Das stimmt. Generell wundert man sich ja, dass nicht aus den verschiedensten Gründen viel mehr Menschen auf der Straße sind. Auch wir beide nicht. Wir reden lieber darüber, anstatt uns gegenseitig eine Mail zu schreiben: "Ich kann gerade nicht, ich muss zur Demo!". Es gibt derzeit so viele Skandale, die vor 30 Jahren noch für mehrere Spiegel-Aufmacher gesorgt hätten. Spontan fällt mir die Ausspähung durch unsere sogenannten amerikanischen Freunde ein, von der europaweit fast kein Handy verschont geblieben ist. Das beweist alles, nur nicht eine existierende Freundschaft. Dass es jeden Einzelnen betreffen könnte, ist irgendwie gar nicht von Interesse. Es hat keinen riesengroßen Aufschrei gegeben. Dabei ist Freiheit doch unfassbar wichtig. Und hier haben wir einen klaren Eingriff in die persönlichste Freiheit. Da wundere ich mich aber nicht nur über andere, sondern auch über mich. Man nimmt so etwas in seinem angelernten Konsumverhalten zur Kenntnis, schüttelt den Kopf und blättert dann weiter. Das ist schon ein sehr spannender Vorgang. Vielleicht ist er auch einfach nur menschlich in diesem 3. Jahrtausend.

Steckt in Ihnen kein Revoluzzer?
Herbst:
Ich bin kein 68er, ich bin Jahrgang 66 und kann nicht sagen, dass ich diese Gene in mir tragen würde, gegen Establishment und jegliche Hierarchie anzukämpfen. Das mache ich weiß Gott nicht. Aber ich verfüge durchaus über ein hohes Maß an Gerechtigkeitssinn. Das fängt bei mir im Kleinen an. Da sollte sich jeder an die eigene Nase fassen und vielleicht vor der eigenen Haustüre damit beginnen, für bessere Verhältnisse zu sorgen.

Beschleichen Sie trotzdem gelegentlich Zweifel, ob der Beruf des Unterhalters für die Menschheit ein wichtiger ist?
Herbst:
Ich habe eigentlich immer versucht, so politisch wie möglich zu unterhalten. Ich meine das nicht im parteipolitischen Sinne, sondern das Zusammenleben der Menschen betreffend. Es gelingt mir nicht immer, manchmal muss man auch einfach nur gucken, dass der Schornstein raucht. Aber in "Stromberg" konnte ich das zehn Jahre lang trefflich realisieren. In dieser Serie kann man eine Menge darüber lernen, wie Menschen miteinander leben und arbeiten oder was ein Job und Hierarchien aus einem Menschen machen können. In dieser Serie haben wir ja auch sehr viele gesellschaftliche Krüppel gesehen und Menschen, die irgendwie verloren scheinen. Das alles kommt in einem sehr unterhaltenden Gewand daher. Man muss lachen, den Kopf schütteln und man hat Klöße im Hals. Aber diese andere Ebene schwingt immer mit. Das ist meine Definition des Unterhalters.

Die Figur Benno hat gelernt, die Einzelschicksale nicht zu nah an sich heranzulassen. Sie unterstützen ein Kinderhospiz. Wie schwierig ist es da, zu helfen, ohne diese Schicksale zu sehr zu verinnerlichen?
Herbst:
Das ist schwierig, ja. Deshalb ziehe ich auch den Hut vor diesen Menschen, die das beruflich oder ehrenamtlich jeden Tag machen. Das könnte ich nicht. Wenn ich einen halben oder einen ganzen Tag dort verbracht habe, lässt mich das immer wieder als veränderten Menschen herausgehen. Ich bin sehr geerdet danach und noch dankbarer, dass es mir und meinen Lieben gut geht. Das ist für mich immer Motivation gewesen, erst recht etwas für Andere zu tun und ein bisschen von dem abzugeben, was mir geschenkt wurde.