Paderborn. Selbst der Ozean zwischen ihnen hat ihr Verhältnis über die Jahre nicht abkühlen können. Sobald die beiden unterschiedlichen Schwestern Isabell und Marie aufeinander treffen, entfacht eine launige Schlacht befeuert aus Rivalität, Eifersucht, Verrat aber auch Bewunderung, Sehnsucht, Vertrautheit. „Die Ratte" von Justine del Corte hatte am Freitag im Theater Paderborn Premiere.
Eine schwarze Familienkomödie, in der gekotzt, geflucht, geschweinigelt, geschlagen und geschwiegen wird. Regisseurin Chiara Nassauer hat den Reigen gut rhythmisiert. Bei aller Überbordung schafft sie Raum auch für feinsinnige, fast traurige Momente.
Die schwangere Isabell (Maria Thomas) und Richard (Lars Fabian), Professor und erfolgreicher Schriftsteller, besuchen Maria und deren Mann Nick in New York. Die lassen aber zunächst auf sich warten. Derweil vergnügt sich das Paar mit Rollenspielchen und wohl platzierten Emotionsschüben, in denen „Schnecke" (zwischen „niedlich" und „kleinem Biest") ihren Richard tyrannisiert.
Irritierend in der trauten Zweisamkeit: die tausend Zettel der abwesenden Schwester mit Verhaltensregeln. Auf dem AB meldet sich in regelmäßigen Abständen die egozentrische Mutter zu Wort. Und während Richard noch danach trachtet, seine Isabell zu verführen und Isabell noch schnüffelt und eine alte Unterhose entdeckt, die ihr Maria vor 100 Jahren gestohlen haben soll – steht sie plötzlich in der Türe wie der leibhaftige Teufel. Mit Nick (David Lukowczyk) ihrem Schatten, dem „Schlucker", der alles ohne Widerspruch hinnimmt und ihr treu ergeben ist.
Maria (Anne Bontemps) lässt ihren ganzen Frust der Kindheit, das Gefühl der Zurückgesetztheit an ihrer sinnlichen und lebensbejahenden Schwester aus. Aber mit der sadistischen Freude, mit der sie der „Großen" ihre Schwangerschaft mies zu reden versucht, verletzt sie gleichsam sich selbst. Anne Bontemps als „kleine Schwester" brilliert in den Phasen, in denen sie einfach blind um sich schlägt, vor Wut zitternd am Boden sitzt oder in plötzlichem Umschwung den Bauch ihrer Schwester streichelt, als wäre es ihr eigener Nachwuchs. Wäre da nur nicht das Messer in ihrer freien Hand.
Maria Thomas als Isabell hält mit „kindlicher" Spielfreude dagegen, mal schmollend, mal beschwichtigend, gerne unterwürfig in alte Rollenmuster verfallend, dann wieder ganz triumphierendes Biest, das den Triumph ihrer Schwangerschaft wieder und wieder buchstäblich auskotzt. Richard (überzeugend: Lars Fabian) ist ihr ein treuer wie glaubhafter Gesell, dessen Solidarität bis zum Putzszenario reicht. David Lukowczyk (herrlich transparent und nur manchmal überzogen) brilliert als ewiges Weichei im rosa Pullover, der Großes als Streitschlichter bewirkt. Etwa wenn er im Männergespräch versöhnlich mit Richard um die Wette schweigt, er im abstrusen Tango Isabell Paroli bietet, oder er mit dem Handtuch der Ratte den Kampf ansagt.
Die Wohnung zeugt zunehmend vom Gemetzel; Träume und gebratene Wachteln werden im Mülleimer beerdigt. Nur in einem stimmen alle überein: die Ratte, die sich eingenistet hat, ist ekelhaft. Regisseurin Nassauer gelingt eine drastische, teils ordinäre Schwesternschlacht, in der die ewige Bindung zweier unversöhnlicher Seelen Ausgangs- und Endpunkt zugleich ist. Ein wunderbares Schlussbild: Isabell schleicht mit Richard im Dunkeln ab und lässt Maria im Lichtstreifen der sich schließenden Türe zurück.
Die rabenschwarze Komödie für starke Gemüter ist mutig und vehement umgesetzt und stark gespielt.
Termine
Die nächsten Aufführungen sind am 26. Februar (19.30 Uhr) und 28. Februar (18 Uhr) sowie am 4. März (19.30 Uhr), 13. März (18 Uhr) und 18. März (19.30 Uhr).Karten gibt es an der Theaterkasse unter Tel. (0 52 51) 2 88 11 00.