Gütersloh/Bielefeld. „Es mag vielleicht eine Portion Unbedarftheit sein, kombiniert mit der mangelnden Erfahrung des Geschwindigkeitsniveaus", sagt Dr. Oliver Monschau. „Letztlich kann man über die Motive nur spekulieren." Der Verkehrspsychologe bei der DEKRA in Osnabrück hat auch keine schlüssige Erklärung, warum im Bereich um Gütersloh immer wieder polnische Männer versuchen, die mitunter als „Warschauer Allee" bezeichnete Autobahn A 2 zu überqueren.
Soviel ist sicher: Das Autobahnnetz in Polen ist mit dem deutschen nicht vergleichbar. Gerade 1.656 Kilometer sind seit 1976 erstellt worden, obwohl Polen mit einer Fläche von 312.679 Quadratkilometern nur gut zwölf Prozent kleiner als Deutschland (357.375 Quadratkilometer) ist. Allerdings hat das Land mit 38,5 Millionen nur knapp die Hälfte der Einwohner Deutschlands. Entsprechend geringer ist auch das Verkehrsaufkommen, zumal Deutschland auch mit das wichtigste Transitland für den europäischen Warenverkehr ist.
Allerdings ist das polnische Autobahn- und Schnellstraßennetz wiederum eines der am schnellsten wachsenden in Europa. Im Jahr 2004 lag die Gesamtlänge noch bei knapp 600 Kilometern, aktuell befinden sich ungefähr 220 Kilometer „Autostrada" im Bau. Insgesamt wird das Netz laut Planung eine Länge von rund 2.000 Kilometern aufweisen. Zum Vergleich: Das deutsche Autobahnnetz umfasst aktuell rund 13.000 Kilometer.
In Polen gilt Höchstgeschwindigkeit von 130
Ein weiteres, wohl nicht unerhebliches Detail: In Polen gilt auf den Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde, im westlichen Nachbarland gibt es kein Tempolimit. Entsprechend, so vermutet Monschau im Gespräch mit der NW, würden viele Polen dann wohl auch die Geschwindigkeit auf der Autobahn unterschätzen, so dass es zu diesen schweren Unfällen kommt. „Wohl kein Westeuropäer würde auf die Idee kommen, über eine Autobahn zu laufen", so Monschau. Allein die hohe Leitplanke halte die Menschen normalerweise von diesem Vorhaben ab.
- Der jüngste tödliche Unfall war der insgesamt fünfte Vorfall dieser Art innerhalb von vier Jahren.
- Innerhalb von fünf Wochen war es im Frühjahr 2013 zu zwei ähnlichen Unfällen gekommen.
- Zunächst hatte am 2. März ein polnischer Lkw-Fahrer versucht, zwischen den beiden Gütersloher Raststätten die Fahrbahn zu überqueren.
- Am 6. April kam es im Bereich der Raststätte Vellern zu einem ähnlichen Unfall, als ein polnischer Monteur versuchte, über die Autobahn zu laufen.
- Am 25. Mai 2014 schließlich versuchte ein 34-jähriger Pole, zwischen den Parkplätzen Ober- und Niedergassel über die Autobahn zu kommen.
- Auch er wurde damals von einem Fahrzeug erfasst und erlitt tödliche Verletzungen.
Diese Hemmschwelle scheint bei Osteuropäern und hier insbesondere bei Polen nicht zu funktionieren. Innerhalb der vergangenen vier Jahre kam es zu fünf tödlichen Unfällen mit „Fußgängern" aus Polen auf der A 2. Wie viele es unbehelligt geschafft haben, die Fahrbahnen zu queren, ist unbekannt – gleichwohl auch sie sich und andere in unmittelbare Lebensgefahr gebracht haben.
Beim jüngsten Fall in Bielefeld am Montag, 27. Februar, hatte erneut ein polnischer Staatsbürger versucht, im Bereich der Parkplätze Ober- und Niedergassel die Autobahn zu überqueren. Dieser Versuch endete tödlich, die Fahrbahn in Richtung Hannover musste für viereinhalb Stunden gesperrt werden. Die Autobahnmeisterei Oelde hatte an der Anschlussstelle Gütersloh eine Vollsperrung eingerichtet und das Auffahren auf die Autobahn verhindert. So lange konnten die Kraftfahrer über die Parallelspur auf dem Parkplatz die Unfallstelle passieren, durch Feuerwehrfahrzeuge war ein Blick auf die eigentliche Unfallstelle verhindert worden.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Bielefeld untersuchte Uwe Hagemann als Sachverständiger die Unfallstelle. Er stieß unter anderem auf eine Fußspur an der rechten Leitplanke, die vom späteren Unfallopfer stammen könnte. Während der Löschzug Spexard die Unfallstelle großflächig ausleuchtete, suchten Hagemann und sein Kollege abgesplitterte Teile des Autos auf dem inzwischen durch Regen nassen Asphalt. So kann ermittelt werden, wo genau der Fußgänger erfasst worden ist. Insbesondere gilt es zu ermitteln, ober der Opel-Fahrer aus dem Kreis Lippe eine Chance gehabt hätte, den Unfall zu verhindern.