Gütersloh. Wem genau er seinen neuesten Schatz verdankt, das darf Detlef Jentsch nicht verraten - Berufsgeheimnis des öffentlich bestellten und vereidigten Versteigerers. Seit 36 Jahren ist er Güterslohs über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Auktionator, aber auch er bekommt nicht oft zu sehen, was unlängst in seinem Auktionshaus an der Verler Straße unter den Hammer kam.
Mal kein teures Gemälde, kein ganzes Brennereigebäude - eine acht Aktenordner starke Sammlung "philatelistischer Kostbarkeiten" hat Jentsch versteigert: Postkarten, Briefmarken und Sonderstempel aus Gütersloh und ganz Deutschland, teils aus dem vorletzten Jahrhundert.
Das sei ein echter "Schatz", hatte Jentsch am Vortag der Auktion betont. "Zumal das auch Gütersloher Objekte sind. Frühphilatelistische Briefe aus Gütersloh, von denen es nur noch wenige gibt. Man sollte ja niemals nie sagen, sicherlich schlummert noch irgendwo etwas in der Art, aber so schnell wird es das hier wohl nicht wieder geben."
Die historische Sammlung haben Erben zur Versteigerung hinterlegt. Eigentlich war der gesamte Nachlass bereits aufgelöst, das Haus verkauft - beim letzten Aufräumen stießen die Erben dann auf die Spuren eines teuren Hobbys.
Und so warteten eine Zeit lang mehrere hundert Sammlerstücke, angehäuft mit viel Zeit, Geld und Herzblut, auf die nächste Auktion im Hause Jentsch. Mit Hakenkreuz gestempelte Briefe verstecken sich zwischen den Plastikfolien, Postkarten samt Pieck-Zitaten aus der DDR und jede Menge Beispiele fein säuberlich abgehefteter Lokalgeschichte: Karten der "Gütersloher Ballonpost", Karten zur Deutsch-Britischen Freundschaft, zu der mit den Partnerstädten, zur Michaeliswoche, dazu frühe Geschäftspost von Miele.
Zwischen E-Mail, Whats-App und Cloud fällt sein neuester Schatz aus der Zeit, weiß Jentsch: "Bei den Briefmarken gibt es einen riesigen Verfall - das hat damit zu tun, dass es fast keine Sammler mehr gibt. Und die, die noch sammeln, die haben schon fast alles. Nehmen wir mal die Altersklasse bis 50. Die interessiert sich so gut wie gar nicht für Briefmarken, das Durchschnittsalter meiner Kunden liegt bei 70 bis 80 Jahren."
Trotzdem hofft er am Vortag - das ist sein Job - noch auf einen guten Preis für die seltene Sammlung: "Wertvoll ist so etwas für einen Sammler. Ich sage immer, ich bin der große Schocker: Ich setze immer niedrig an. Ich habe auch schon ein Gemälde auf 800 Euro angesetzt und dann 34.000 bekommen." Auch die Briefmarken will Jentsch teils ab 50 Euro pro Ordner anbieten - das Kunden-Plenum reguliert dann die Preise, im besten Fall schaukeln sich zwei entschlossene Bieter gegenseitig hoch. Wenn es denn noch entschlossene Bieter gibt.
"Der Weg über die Auktion ist der ehrlichste überhaupt"
"Der Weg über die Auktion ist für die Erben der ehrlichste überhaupt", sagt Jentsch, der alles von Kleinoden über Immobilien bis hin zu Flugzeugen versteigert. "Wenn hier hundert Leute sitzen und Ihnen gibt einer fünf Euro, dann wird man Ihnen anderswo auch nicht mehr geben. Aber hier haben Sie die Chance, 5.000 zu bekommen."
Einen Tag später ist es dann so weit: Detlef Jentsch lädt zur Versteigerung. Hinter der unscheinbaren Eingangstür an der Ecke Verler Straße/Carl-Bertelsmann-Straße herrscht im ersten Stock des Auktionshauses Hochbetrieb.
Seit zwei Stunden flanieren die meist älteren Bieter zwischen alten Schränken, Gemälden und Vasen hin und her, notieren, fotografieren, schnacken - man kennt sich, nach dreieinhalb Jahrzehnten kann sich Detlef Jentsch auf eine ausgeprägte Stammkundschaft verlassen.
Fast pünktlich um 14.02 Uhr geht es los. Jentsch bittet um Ruhe und liest die obligatorischen Rechtsbelehrungen vor, um 14.08 kommt das erste Stück unter den Hammer. Bis auf gelegentlich eingestreute, scherzhafte Bemerkungen verschwendet der Versteigerungs-Veteran keine Zeit: "Interessiert sich überhaupt jemand für die Krüge? Gut, dann überspringen wir das und machen mit Nummer 68 weiter."
Meist findet sich für ein Objekt entweder eine ganze Reihe Bieter oder gar keiner. Gleich zu Beginn duelliert sich ein unauffällig gekleideter Herr ohne mit der Wimper zu zucken bis in den mittleren vierstelligen Euro-Bereich mit seinen Kontrahenten um ein Gemälde, bis er aufgibt. Drei, zwei, eins, seins. Bei Objekt Nummer 124, eine knappe halbe Stunde nach Auktionsbeginn, geht es schließlich mit den philatelistischen Kostbarkeiten los. Jentsch listet die Besonderheiten der Sammlung auf - keine Reaktion im Saal.
Der erfahrene Auktionator lässt sich nicht beirren. "Machen Sie für die Zeitung auf jeden Fall vorher Fotos von den Briefmarken, die kriegen Sie nachher nie wieder auf einem Fleck zu sehen", hatte Jentsch im Vorfeld geraten. Und tatsächlich verteilen sich die meisten der acht Ordner doch noch recht schnell auf verschiedene Kunden. Das erhoffte Wettbieten allerdings bleibt aus; die Interessenten wollen feilschen, ein kleiner Teil der Sammlung bleibt ganz liegen. Innerhalb weniger Minuten zerstreut sich das über Jahrzehnte aufgebaute Zeugnis auch Gütersloher Geschichte stillschweigend in alle Winde, dann geht es mit Kerzenständern weiter. Ein paar hundert Objekte muss Jentsch noch loswerden.
"Das war schon ein bisschen enttäuschend", gibt er im Anschluss an die Versteigerung zu. Der gewohnt jovialen Stimme merkt man diese Enttäuschung nicht an - die restliche Auktion lief gut. "Vor einigen Jahren habe ich mal für eine Postkarte 1.100 D-Mark bekommen. Aber in diesem Bereich ist das Interesse einfach nicht mehr so da." Die Blütezeit der Briefmarken mag vorbei sein, Detlef Jentsch aber wird bleiben. Und weiterhin Luxus, Kultur und Zeitzeugnisse aus Gütersloh und der Welt unter den sprichwörtlichen Hammer bringen.