Es ist dieses Gefühl, das einen nur dann beherrscht, wenn eine Liebesbeziehung zu Ende geht. Was der Partner auch macht, es nervt. Jede Bemühung um Hoffnung, Zuversicht und Gemeinsamkeit sorgt für gegenteilige Empfindungen. Leider kann Liebe ein Ende finden. Das gilt nicht nur für zwischenmenschliche Beziehung, sondern auch für die Beziehung eines Mannes zu einem Fußballverein. Seinem Fußballverein. In meinem Fall zum FC Schalke 04. Doch wer hat Schuld daran, dass dort, wo einst intensive Hingabe, Wutausbrüche und Tränen Ausdruck einer tiefen Verbundenheit waren, nur noch Resignation, Langeweile und Gleichgültigkeit regieren? Es ist die Bundesliga und ihr ganzes Drumherum.
Wochenenden, das waren einst meine Feiertage. Schon Stunden vor dem Anpfiff steigt die Anspannung. Mit Kumpels wird gefachsimpelt. Wer spielt, wer spielt hoffentlich nicht? Mit dem Anpfiff dann ist die Welt, der Alltag, der ganze Mist, der einen jeden Tag belastet, für 90 Minuten vergessen. König Fußball regiert. So sollte es sein. Doch so ist es nicht mehr. Gründe dafür gibt es viele. Es beginnt schon mit der Masse an Fernsehberichten. Fußball ist heute omnipräsent. Jede noch so belanglose Kleinigkeit wird aufgebauscht, Hauptsache, es wird Sendezeit gefüllt. Wer sich Fußball abgewöhnen möchte, sollte mal einen Tag lang Sky Sport News HD gucken. Reporter vor Ort berichten live, ob auf dem Trainingsplatz von Bayern München ein Grashalm umgeknickt oder auf Schalke ein Spülkasten an der Toilette der Nordkurve kaputt ist. Und zu jeder dieser Belanglosigkeiten sollen Spieler und Trainer Stellung nehmen und in die Mikros dieser Welt sprechen. Das Schlimmste ist: Sie tun es auch.
Rudi Völler in seiner legendären Wutrede sagte, was vielen Fans heute immer wieder durch den Kopf geht: „Ich kann den Scheiß nicht mehr hören.“ Phrasen regieren die Bundesliga. Spieler, Trainer und Manager reden den ganzen Tag, ohne etwas zu sagen. Wenn die Seele nach einem blamablen 0:3 im Derby kocht, erwarte ich deutliche Ansagen. Stattdessen muss ein Spiel „aufgearbeitet werden“, sind die Spieler „nicht in die Zweikämpfe gekommen“, und der Gegner hat „uns den Schneid abgekauft.“ Was für ein Blödsinn, der uns jedes Wochenende um die Ohren gequatscht wird. Aber vielleicht könnte ich mich daran sogar gewöhnen. Schließlich beendet nicht gleich das erste Problem, der erste Streit oder die erste Krise eine Beziehung. Aber es gibt eben viel mehr als nur ein Problem.
Der englische Trainer Bill Shankly sagte mal: „Einige Leute halten Fußball für eine Frage von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich versichere Ihnen, dass es viel viel wichtiger als das ist.“ Diese Worte sind es, die die Leidenschaft eines echten Fans perfekt erklären. Fußball ist mehr als ein Spiel. Fan von einer Mannschaft zu sein heißt, eine Passion zu verspüren. Ein Fan liebt seinen Verein. Und nicht nur das. Fanforscher wie Jochen Roose, Professor für Sozialwissenschaften am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau, sind sich sicher: Fans brauchen auch, ja, so martialisch sind wir, den Hass auf andere Vereine. Der hat ja nichts mit Gewalt zu tun. Die ist nie angebracht. Aber eben Abgrenzung. Als Fan brauche ich auch Feindbilder. Vereine auf Augenhöhe, gegen die meine Mannschaft auf dem Rasen um den Sieg kämpft. Doch genau von diesen Duellen, in denen der Herzschlag 90 Minuten nicht unter 140 Schläge fällt, in denen gezittert, getrauert und frenetisch gefeiert wird, gibt es in der Bundesliga immer weniger. Ein Zustand, der in Zukunft noch schlimmer wird.
Der VfL Wolfsburg ist ein Paradebeispiel dafür. Der nächste Gegner von Arminia Bielefeld im DFB-Pokal spielt zweifelsohne eine sportlich herausragende Saison. Nur, wen interessiert das? Erst vor gut einer Woche spielte der VW-Club in der Europa-League zu Hause gegen Neapel. Das Stadion war nicht ausverkauft. Es kamen sogar weniger Zuschauer als zum Drittliga-Derby von Arminia Bielefeld gegen Preußen Münster. Und schlechte Zuschauerzahlen sind für Wolfsburg keine Ausnahme. Der Tabellenzweite der Bundesliga liegt bei den TV-Einschaltquoten nur auf Platz 10 von 18. Noch unbeliebter sind der Werksclub Bayer Leverkusen und auch die bei Fans ungeliebte TSG Hoffenheim. In den vergangenen Jahren erreichte das Spiel von Wolfsburg gegen Leverkusen, sportlich ein Topspiel, regelmäßig eine offizielle Einschaltquote von null Prozent beim Sender Sky, da weniger als 5.000 Menschen das Spiel ansahen. Und es wird noch schlimmer, wenn erst Vereine wie Ingolstadt oder der Brauseklub RB Leipzig in der Bundesliga spielen. Nur zum Vergleich: Der furchtbar spielende Hamburger SV liegt auf Platz fünf der Zuschauertabelle.
Welcher Fan also soll sich an diesen Vereinen reiben? An Vereinen, die Geld auch ohne sportlichen Erfolg haben? Ja, diese Vereine kann man aufgrund ihrer Art hassen, aber sie emotionalisieren nicht im Wettkampf der Fans. Diese Vereine haben das Spiel vom Kampf auf dem Rasen entkoppelt. Die Bundesliga ist mittlerweile eben nur noch eine Frage des Geldes. Das Spiel wird nicht nur zur sportlichen leidenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern zu einem Event. So als wäre man mit einem Menschen zusammen nur weil der Geld hat, nicht weil man seinen Charakter liebt. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen: Geht das Geld aus, scheitert die Beziehung. So ist es auch mit Bundesligavereinen. Immer muss alles höher, schneller, weiter werden, damit die Stadionbesucher und Fernsehzuschauer von heute überhaupt noch einen Kick verspüren. Furchtbar. Es tut richtig gut, mal ein Amateurspiel zu besuchen. Moosbewachsene Tribünen sorgen für nostalgische Gefühle. Und kaputte Lautsprecher sorgen dafür, dass man in der Halbzeit Gespräche führen kann. Beim Bier das Gesehene zu diskutieren, das ist Fußball. In der Bundesliga aber wird man mit Werbung dauerbeschallt. Das Spiel ist nur noch Präsentationsfläche für Unternehmen und Industrie. Dabei hat dieser Sport, die schönste Nebensache der Welt, seine Seele verloren.
König Fußball liegt auf dem Sterbebett. Noch wird er von den treuen Fans, die zu jedem Auswärtsspiel reisen und ihren Club lieben, am Leben gehalten. Aber nicht mehr lange. Echte Liebe ist kein Marketinginstrument, sondern das tiefste und ehrlichste Gefühl der Welt. Ein Gefühl, das ich bei meinem Verein nicht mehr spüre. Darum muss ich diese Liebesbeziehung beenden. Auch wenn es wehtut, 1.000 Freunde zu verlieren. Auch wenn es schmerzt, nicht mehr das königsblaue Trikot überzuziehen und frenetisch die Vereinshymne zu singen. Aber so ist wohl der Lauf der Dinge. Vielleicht finde ich ja irgendwo eine andere Tribüne, auf der ich meinen Spaß am Fußball wiederfinde. Wahre Liebe aber werde ich dort nie mehr finden. Meine wahre Liebe war königsblau. Doch diese Liebe ist wie die Farbe verblasst.
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