Kopf der Woche

Interview: Ex-Nationalspieler Andreas Beck erzählt, wie es sich derzeit in der Türkei lebt

Im Sommer 2015 wechselte der Fußballprofi zu Besiktas Istanbul. Seitdem hat der Ex-Nationalspieler Terroranschläge und einen vermeintlichen Putschversuch erlebt. Trotzdem fühlt er sich in dem Land wohl.

26.02.2017 | 26.02.2017, 15:00

Im Sommer 2015 wechselte Fußballprofi Andreas Beck zu Besiktas Istanbul. Seitdem hat der Ex-Nationalspieler Terroranschläge und einen vermeintlichen Putschversuch erlebt. Trotzdem denken er und seine Familie kein bisschen daran, die Türkei zu verlassen. Aber warum ist er dort so glücklich? Im Interview spricht er über diese Ereignisse, Integration und Bescheidenheit.

Herr Beck, Sie sind im Sommer 2015 aus Hoffenheim in die Weltmetropole Istanbul zu Besiktas gewechselt. Haben Sie Ihren Wechsel schon einmal bereut?
Andreas Beck:
Ehrlich gesagt – mit allem, was dazugehört: Nein. Ganz im Gegenteil. Meine Frau und ich genießen es. Das Leben, die Stadt, die Kultur – das alles saugen wir auf und nehmen alles mit. Klar, manche Dinge muss man ausklammern, auf die wir gerne verzichten würden, wie den Terror.

Ehrlich gesagt: Bei der derzeitigen politischen Situation hätte man mit einer anderen Antwort gerechnet.
Beck:
Es ist aber nicht so, dass die Geschehnisse hier oder die politische Situation meinen Alltag rund um die Uhr überschatten. Über das Thema wird in Deutschland natürlich viel berichtet. Aber, wenn man Zeitzeuge ist und in der Türkei lebt, dann ist das alles wirklich nur ein Bruchteil von allen Eindrücken, die man am Tag erlebt. Es gibt Dinge, die leider passieren und der Terror hat in den letzten eineinhalb Jahren schon zugenommen. Aber wenn Sie hier vor Ort leben, bekommen Sie auch mit, wie die Menschen sich weder den Mut noch die Lebensfreude und ihre Herzlichkeit nehmen lassen. Das wirkt ansteckend.

Machen Sie sich über Terror und Politik nie Gedanken?
Beck:
Natürlich macht man das. Ich laufe ja nicht mit Scheuklappen durch die Gegend und es gibt Ereignisse, vor denen man Respekt hat und über die man nachdenkt. Aber drumherum, diese Lebensfreude der Menschen hier in Istanbul, die Energie dieser Stadt, das gibt einem immer wieder das Gefühl, weitermachen zu wollen und auch sportlich erfolgreich zu sein.

Aber die Terroranschläge zuletzt haben unmittelbar Ihr Leben betroffen. Im Club Reina, dem Ort des Silvester-Anschlags, hat Ihr Club die Meisterschaft gefeiert. Bei einem Anschlag Anfang Dezember gab es über ein Dutzend Tote – direkt nach einem Besiktas-Spiel. Die Menschen machen trotzdem einfach so weiter?
Beck:
Es betrifft uns alle hier in der Türkei. Die Befürchtungen, dass so etwas ins Zentrum Istanbuls überschwappt, war ja immer da. Solche Bilder sind schrecklich. Besonders auch, wenn man einen Bezug zu diesen Orten hat. Es ist vielleicht schwer vorstellbar, aber sowas reguliert sich hier dann auch relativ schnell wieder. Zuletzt habe ich ein Zitat von Thomas D. gelesen. Der hat gesagt: „Furcht wird zu Wut. Wut wird zu Hass und Hass wird zu Leid." Das passt ganz gut zur Situation in der Türkei. Die Menschen hier wollen Frieden, sie wollen eine ruhige Zeit und deswegen ist es auch richtig, dass wir unsere Spiele spielen, die Menschen sich nicht in ihr Haus einsperren und ihren Alltag weiterleben. Wenn man sich zu Hause einsperrt, würde man sich ergeben, dann hätten die Terroristen ein Teil ihres Ziels erreicht. Klar wägt man immer ab: Wie geht man mit der Situation um? Meine Frau und ich, wir sind mit unserem Baby Zeitzeugen in einer unruhigen Zeit und versuchen uns, dieser Herausforderung zu stellen.

Warum haben Sie die Türkei nicht längst verlassen, wie es Ihr Ex-Teamkollege Mario Gomez im Sommer gemacht hat?
Beck:
Bisher kann und konnte ich immer sagen, dass wir uns hier sicher fühlen. Deswegen hat sich die Frage noch nicht wirklich gestellt. Meine Frau hat da ein großes Mitspracherecht, aber den Gedanken wegzugehen, gab es noch nicht.

Ihre Frau war beim vermeintlichen Putschversuch hochschwanger, sie sind als einer der letzten über die Bosporus-Brücke gefahren. Wie hat sich das Leben am Tag nach diesen Unruhen angefühlt?
Beck:
Die Düsenjets sind damals fast an unserem Wohnzimmerfenster vorbeigeflogen. Das war schon eigenartig und durch die Bilder im TV hat man gemerkt: Okay, hier passiert auch für dieses an extreme Situation gewöhnte Volk etwas Außergewöhnliches. Wie geht man damit um? In der Retrospektive nimmt man all diese Dinge ganz anders wahr. Ich bin über die Bosporus-Brücke gefahren und habe nicht geahnt, dass sie kurz danach gesperrt ist. Am nächsten Tag, nur einige Stunden später, bin ich über diese Brücke wieder zum Training gefahren und es war, als wenn nichts passiert wäre. Die gesamte Situation war etwas angespannter und wir haben darüber auch in der Mannschaft gesprochen. Aber so ist dann auch die Mentalität. Die Dinge werden aufgeräumt, beseitigt und dann geht es weiter.

Sie gelten als sehr gebildeter Profi, lesen viel – ist es da nicht komisch, in einem Land zu leben, in dem es keine Pressefreiheit gibt?
Beck:
Ich beherrsche die Sprache noch nicht so gut, dass ich Zeitung lese oder die türkischen Nachrichtensender verfolge. Ich weiß, dass über die Pressefreiheit in der Türkei in Deutschland sehr viel diskutiert wird. Aber ehrlich gesagt, kann ich das nicht wirklich beurteilen und ich maße mir auch kein Urteil darüber an, wie das hier vonstatten geht. Ich bin Gast in diesem Land, ich fühle mich hier sehr wohl, werde toll von den Menschen behandelt, aber ich bin sozial noch nicht so integriert, dass ich mir eine absolut fundierte politische Meinung aus eigener Erfahrung bilden kann.

Sie haben in Heidelberg gewohnt, bevor sie nach Istanbul gezogen sind. Gab es da erstmal einen Kulturschock?
Beck:
Es war anders. Heidelberg ist nicht mit Istanbul zu vergleichen. Stuttgart auch nicht. Aber ich habe lange in Stuttgart und Umgebung gewohnt, das wäre hier vielleicht ein kleinerer Stadtteil und in einem größeren Radius bewege ich mich im täglichen Leben gar nicht so häufig. Deswegen war es kein Schock. Ich habe hier mein Viertel, da wohne ich, da fahre ich zum Training, gehe einkaufen, gehe Essen, weiß ein paar Abkürzungen und kenne mich aus. Das reicht zum Großteil auch. Natürlich gehen wir immer mal auf Entdeckungstour in dieser unglaublich spannenden und vielfältigen Stadt. Aber sich ständig durch ganz Istanbul bewegen, das würde gar nicht gehen. Da stünde man die ganze Zeit im Stau.

Sie sind mit Besiktas amtierender Meister – was sind Ihre sportlichen Ziele?
Beck:
Ich wollte ins Ausland, um eine Meisterschaft zu feiern, um international zu spielen, um Erfahrungen zu sammeln. Dass es direkt mit der Meisterschaft klappt und wir Champions League spielen, war wunderbar.

Neun Spiele für die Nationalmannschaft sind auf Ihrem Konto. Träumen Sie von einer Rückkehr?
Beck:
Wissen Sie, was über meine Leistungen im Club hinaus passiert, die Nationalmannschaft – das liegt nicht in meiner Hand. Ich glaube, dass Deutschland ein unfassbares Potenzial mit vielen jungen Spielern hat. Da gibt es auf jeder Position vier, fünf Spieler, die infrage kommen. Von daher mache ich mir keine großen Gedanken darüber, ob es mal wieder was mit einer Nominierung wird. Aber im Fußball weiß man nie. Deswegen wäre es für mich mit 29 auch fahrlässig zu sagen: Das wird nichts mehr. Solange ich Profi bin, will ich mir selbst keine Türen zumachen. Ich genieße den Moment, ich genieße den Fußball und alles andere wird sich dann entwickeln.

Sie gelten als etwas anderer Profi und haben noch Ihr wahrscheinlich erstes Auto (einen fast 20 Jahre alten Saab, d. Red.). Woher kommt die Bodenständigkeit?
Beck:
Es ist jetzt nicht so, dass ich ein absoluter Sparfuchs bin, alles horte und von meinem Geld nichts ausgebe. Das mit dem Saab ist eine Liebhabergeschichte, der ist mir ans Herz gewachsen und repräsentiert auch eine besondere Zeit in meinem Leben. Der steht in Deutschland bei meinen Eltern, hat ein Sommerkennzeichen, wird dann ein bisschen gefahren und mein Vater hegt und pflegt ihn. Dieses Bodenständige rührt wahrscheinlich auch von meinem Elternhaus her. Meine Eltern sind mit mir als ich drei war mit sehr, sehr wenig aus Russland ausgewandert, haben hier Fuß gefasst und sich etwas aufgebaut. Sie haben schnell die Sprache gelernt, haben sich in die Kultur integriert. Das färbt ab. Uns wurde eine gewisse Arbeitermentalität mitgegeben und klargemacht, dass man etwas tun muss, um Dinge zu erreichen.

Haben Sie aus der familiären Historie eine besondere Sicht auf die Flüchtlingsthematik?
Beck:
Ich bin in Russland geboren. Meine Mutter ist Russin. Mein Vater ist als Deutscher in Russland geboren, also liegt es schon in unserer Familie, dass ein Verständnis für das, was derzeit rund um Europa passiert, vorhanden ist. Es ist doch auch nicht so, dass die Menschen gerne aus ihren Ländern flüchten. Meine Frau ist Kroatin und nach Deutschland geflohen, in ihrer Familie war Jugoslawien ein Thema. Unsere Tochter hat da schon einen guten Mix mitbekommen, hat den deutschen Pass und ist jetzt auch noch in Istanbul geboren. In der Zukunft werden Nationalitäten immer mehr ineinander wachsen. Das passiert schon allein durch den Flugverkehr und die Globalisierung. Da wird es immer einfacher, Kulturen auszutauschen, über Grenzen hinweg sesshaft zu werden.

Glauben Sie, dass sich im Endeffekt alle Kulturen immer miteinander vertragen?
Beck:
Es wäre, glaube ich, zu einfach, das so zu sagen. Man kann das Thema herunterbrechen: Wenn ich in ein fremdes Haus gehe, kann ich mich nicht so verhalten als wäre es mein eigenes. So verhält es sich auch mit einem anderen Land. Ich bin hier in die Türkei gekommen, um Fußball zu spielen, habe meine Werte, meinen Charakter . . . Aber in allererster Linie haben wir uns zum Ziel gesetzt, uns hier an die Gegebenheiten anzupassen. Dazu gehört selbstverständlich die Sprache. Sie hat einen sehr hohen kulturellen Wert. Englisch ist hilfreich, aber trotzdem wollen wir unbedingt so gut es geht türkisch sprechen können. Für mich gehört es dazu, die eigenen Gewohnheiten etwas zurückzustellen. Ich hatte zum Beispiel an Heiligabend ein Spiel gehabt und am 27. Dezember auch. Da war ein klassisches Weihnachtsfest nicht möglich. Das ist dann so. Darauf muss man sich einlassen, denn die Akzeptanz des Ungewohnten ist eine Form der Integration und hat mit Respekt vor der anderen Kultur zu tun. Ich würde es als zu einfach betrachten, zu sagen: Wenn alle Menschen alles austauschen und egal in welches Land kommen – das wird schon irgendwie. Es braucht eine gewisse Eigenmotivation, sich anzupassen.

INFORMATION


Zur Person

Andreas Beck (29) wurde in Kamerowo im Westen Sibiriens geboren. Als er drei Jahre alt war, gingen seine Eltern mit ihm nach Deutschland. Am Anfang seiner Karriere gewann Beck mit dem VfB Stuttgart die Deutsche Meisterschaft, dann spielte er sieben Jahre für die TSG Hoffenheim, war Kapitän, wurde Nationalspieler und entschied sich 2015 für den Schritt in die Türkei. Dort lebt er im Istanbuler Stadtteil Besiktas, spielt für den gleichnamigen Verein und war in der Meistersaison 2015/2016 Stammspieler.