Samy Deluxe, was bekommt Ihre Mutter Gisela zum Muttertag?
Samy Deluxe: Vielleicht eine SMS. Bei uns gabs diese Tradition nicht. Ich wusste ehrlich gesagt nie, dass es einen Muttertag gibt. Meine Mama hat mir das als Kind nicht gesagt.
Also haben Sie kein Geschenk gekauft.
Deluxe: Ich schreibe ihr schon, wenn ich mitbekomme, dass dieser Tag ist. Aber ich habe mich in dieses Konzept Muttertag niemals reindrängen lassen.
Trotzdem ist Ihre Mutter eine ganz wichtige Person in Ihrem Leben.
Deluxe: Absolut. Sie macht einen Teil meines Managements. Als ich 2003 mein Label gegründet habe, hat sie die Buchhaltung übernommen und hat irgendwann angefangen, auch meine private Buchhaltung zu machen.
Funktioniert das problemlos mit einem erwachsenen Hip-Hopper und der eigenen Mutter im Management? Deluxe: Sie ist einfach eine krasse Autoritätsperson für mich. Wenn alles andere nichts mehr nützt, ruft sie mich an. Wenn es dann anschließend klappt, zeigt das doch alles. Sie ist sehr ruhig, reflektiert und steht zu ihrem Wort. Das fordert sie auch von ihrem Gegenüber. Wenn sie mir mal unterbreitet, womit sie nicht happy ist, sage ich meist: „Okay, alles klar. Stimmt." Was meine Mama sagt, hat eigentlich immer seine Richtigkeit.
Und das ist auch noch mit 38 Jahren so?
Deluxe: Ja, schon. Sie hilft mir immer noch ganz viel. Es ist in manchen Phasen meiner Karriere wirklich gut gewesen, dass sie die ganze finanzielle Seite im Auge hat. Manchmal hab ich mir gedacht: Okay, jetzt gibst du für irgendeinen Scheiß viel zu viel Geld aus und hatte so ein unangenehm schlechtes Gewissen gegenüber meiner Mutter. Sie ist ja die, die in ein paar Tagen meine Kreditkartenabrechnung anschaut.
Wofür haben Sie Geld rausgeworfen?
Deluxe: Es gab Phasen mit Schmuck und überflüssigem Konsumwahn. Heute verschwende ich nicht mehr viel und investiere dafür in mein Studio.
Kommen wir zu Ihrer Musik, Sie haben schon gegen Deutschland gewettert, waren dann begeistert, was für Möglichkeiten es hier gibt. Jetzt rappen Sie, ihr Klopapier sei schwarz-rot-gold. Wie finden Sie Ihr Heimatland?
Deluxe: Bei mir kommt es immer auf die Distanz zu Deutschland an. Bei den Alben zuvor war ich viel in Amerika und Europa unterwegs und hab alles aus der Ferne beobachtet. Seit zwei Jahren wohne ich wieder durchgehend hier und bekomme viel nähere, andere Eindrücke. Ich sehe Sachen, fühle Sachen und dann kommen die beim Schreiben raus.
Wie ist momentan Ihr Gefühl?
Deluxe: Ich sehe nach wie vor das Potenzial in dem Land hier. Hoffnung ist ein ganz wichtiges Element vom Leben. Man darf nicht nur sagen, die Fakten sprechen dafür, dass alles immer schlechter wird. Sondern man muss gucken, wo es den Nährboden für gute Dinge gibt. Es gibt nicht viele Länder, bei denen ich nicht meckern würde. Wenn ich nach Amerika ziehen würde, wäre ich eben da Rapper und würde über Amerika meckern. Aber ich rede zu den Leuten in Deutschland und finde, das ist hier schon ein Land mit sehr viel Negativität, sehr viel Rumgemecker, sehr viel Verkopftheit und einem Stock im Arsch. Deutschland ist allgemein einfach unoffen.
Was meinen Sie da genau?
Deluxe: Was Rassismus angeht, hatte ich hier gar nicht so viel mit Nazis zu tun. Es gibt viele Leute, die von sich selbst denken, dass sie offen sind. Aber wenn man mit denen sprichst, denkt man: „Du bist aber auch nur in deinem kleinen Radius offen, der für dich okay ist."
Sie sind in Hamburg geboren und aufgewachsen. Was ist an Ihnen richtig deutsch?
Deluxe: Ich bin sehr gerne pünktlich in allem, was mit dem Job zu tun hat. Bin zuverlässig und arbeitswütig. Die Werte von German Engineering finde ich klasse.
Sie sprechen Ihre Arbeit an. Können Sie mit fast 40 die Jugendkultur, die Hip Hop schon immer ist, überhaupt noch verkörpern?
Deluxe: Ich mach mir da jetzt nicht so viele Gedanken drum wie mit 30. Da war es bei mir komischerweise eher so, dass ich sehr viel hinterfragt habe und wissen wollte, wo die Reise hingeht. Als ich 30 war, gab es nicht so viele erfolgreiche 40-jährige deutsche Rapper. Da habe ich selbst so ein ablaufendes Haltbarkeitsdatum in meine Situation hineininterpretiert.
Haben Sie manchmal Schwierigkeiten, sich mit den jungen Fans zu identifizieren?
Deluxe: Dieses Gefühl, jung und verwirrt in einer Welt zu stehen, die einem so viele Optionen bietet. Da kann ich mich total reinversetzen. In viele Dinge kann ich mich aber auch nicht reinversetzen. Wenn Jugendliche zum Beispiel denken, es wäre so hart, in die Schule zu gehen. Dann denke ich: „Haha. Alles was danach kommt, ist noch härter."
Was war für Sie denn die härteste Lektion im Leben? Deluxe: Wahrscheinlich, mit Geld umzugehen. Ich bin in einer Familie ohne Großverdiener und Höchststeuersätze aufgewachsen. Das System musste ich dann bitter lernen. Wenn du ein Jahr im Spitzensteuersatz bist, gehen die davon aus, dass du im nächsten genau so viel verdienst. Das hat ein paar Jahre finanziell sehr schwierig gemacht.
Müssen Sie sich nach 20 Jahren Musikkarriere überhaupt noch Gedanken über Geld machen?
Deluxe: Ich persönlich ja. Ich bin kein Bausparvertrag-Typ und habe auch nicht in drei, vier Mietwohnungen investiert, mit denen ich mich zur Ruhe setzen könnte. Mein Leben ist nicht so auf Sicherheit eingerichtet. Meine Sicherheit ist, dass ich jeden Tag dumme Ideen hab und damit seit langer Zeit mich und viele Leute in meinem Umfeld ernähren kann.
Also haben Sie keine Zukunftsangst?
Deluxe: Ne, nicht so wirklich. Ich bin kein angstgetriebener Mensch. Als kreativer Mensch ist es am wichtigsten, kreativ zu bleiben. Deswegen versuche ich in mir immer etwas Neues zu finden und zu denken: Ja, das klappt schon.
Trotzdem können Sie kein völlig angstfreier Mensch sein. Deluxe: Bin ich nicht. Aber meine Angst bezieht sich nicht auf materielle Dinge. Wovor ich als erwachsener Mann am meisten Angst hatte war, so für meinen Sohn (14 Jahre alt, d. Red.) dazustehen, wie mein Vater es für mich getan hat.
Das bedeutet?
Deluxe: Mein Vater war nie ein Vorbild für mich und hatte keine unterstützende Rolle in meinem Leben. Er hat uns verlassen, ist wieder in den Sudan gegangen und hat sich praktisch nie gemeldet. Also hoffe ich, für meinen Sohn da zu sein. Das ist nicht immer einfach. Er lebt seit fünf Jahren in den USA. Ich möchte trotzdem eine gute, freundschaftliche Beziehung zu ihm haben.
Funktioniert das auf die Entfernung?
Deluxe: Es ist eben eindeutig keine Vollzeit-Vaterrolle. Wenn ich da bin oder er hier ist, sind das die Momente, in denen wir wirklich eng miteinander sind.
Ist diese Trennung von Ihrem Sohn das, was Ihnen am meisten Gedanken im Leben macht?
Deluxe: Das glaube ich nicht. Aber es ist das Einzige bei mir, das wirklich mit einer konkreten Angst verbunden ist.
Sie sprechen auch in ihren Texten darüber. Ist Ehrlichkeit im Hip Hop manchmal auch problematisch?
Deluxe: Wenn Texte rauswollen, die vermeintlich eher privat sind, dann ist das für mich nichts, wo ich ein Risiko drin sehe. Es kann sowieso alles, was ich sage, kritisiert werden. Ich kann einen Partysong machen und jemand sagt: Den finde ich scheiße. Und wenn ich einen Song über meinen toten Vater mach, kann auch jemand sagen, ich sei scheiße. Aber generell habe ich gemerkt, dass der künstlerische Anspruch über dem inhaltlichen Anspruch steht.
Was heißt das genau?
Deluxe: Es kommt mir darauf an, wie etwas formuliert ist. Wenn es nur darum ginge, irgendwie eine Message rüberzubringen, würde ich mir ein T-Shirt mit dem Spruch drauf drucken. Die Reime, Wortspiele, die Poesie und Textur der Musik, das muss passen. Manchmal mache ich Sachen, bei denen die Aussage total toll ist und genau zu mir als Mensch passt. Aber ich denke mir: „Ey, das ist künstlerisch nicht gut". Ich habe keine Rechtfertigung, diesen Song rauszubringen. Mein Hauptanspruch ist immer gute Musik und gute Poesie. Wenn ich das für mich erfüllt habe, ist es mir egal, was jemand dazu sagen könnte, weil man alles und jeden kritisieren kann, sobald etwas in der Öffentlichkeit stattfindet. Die einzige Art, sich vor Kritik zu schützen ist keinen Kontakt zu Menschen zu haben. Und das ist ziemlich langweilig. (lacht)
Sie verfolgen die Medien allerdings kaum. Ist das ein gewisser Selbstschutz?
Deluxe: Genau. Ich hab für mich gelernt, dass es kein wichtiger Faktor ist, im aktuellen Tagesgeschehen der gebildetste Mensch zu sein. Ich habe oft keinen wirklichen Plan, was da gerade abgeht, weil mich meist negativ beeinflusst was ich lese, höre und sehe, wenn ich die Medien als Konsument nutze.
Aber wenn es nicht die Medien sind, was verleitet Sie zu Zeilen wie: „Ein Land, in dem die Kanzlerin Flüchtlingskinder persönlich tröstet. Bevor sie sie abschiebt; ich finde das is ne schöne Geste"?
Deluxe: Ich kann mich natürlich auch nicht komplett von Medien frei machen. Manchmal komme ich irgendwo rein und da läuft der Fernseher. Den kann ich ja schlecht direkt ausmachen, wenn das nicht meine Wohnung ist. So große Themen gehen nicht an einem vorbei. Das mit Merkel, da haben alle drüber gesprochen. Dann bin ich eben ein sehr sarkastischer, zynischer Betrachter der Welt und übernehme das mit einem Augenzwinkern in meine Musik. Es ist so, dass ich leider ganz wenig Spaß an Medien habe und gar nicht den pauschalen Drang verspüre, Informationen an mich heranzulassen.
Wie sieht Ihre Wohnung dann aus? Kein Fernseher, kein Laptop, nur alte Möbel?
Deluxe: (lacht) In meinem Studio sind tatsächlich viele alte Möbel. Meine Studiocouch, da hat auch schon Lemmy von Motörhead drauf gepennt. Ich sammle diesen geil aussehenden Kram aus meinen Videos, der sich gut anfühlt. Mit den Sachen ist das Studio dann ein bisschen wie mein Spielzimmer. Ich gehe gern arbeiten, aber nur so lange es sich anfühlt wie Spaß. Sobald es sich anfühlt wie Arbeit, finde ich es eben furchtbar.
Also geht es im Leben vor allem um Spaß.
Deluxe: Es geht darum, sich gezielt das zu suchen, was einem gut tut. Deswegen schotte ich mich auch ein bisschen von den Medien ab.