Meinung

Kommentar: Warum habt ihr mehr Empathie für "Chico" als für die Menschen?

Hunderte vermeintliche Tierschützer wollen den Hund, der zwei Menschen tot gebissen hat, bei sich zu Hause aufnehmen

Der Staffordshire-Terrier-Mischling "Chico" steht in einem Gehege im Tierheim Hannover. Der Hund soll seine 27 und 52 Jahre alten Besitzer in ihrer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus getötet haben. | © picture alliance / Hauke-Christian Dittrich/dpa

Annika Falk-Claußen
10.04.2018 | 14.09.2021, 16:36

Hannover. Die Diskussion um "Chico", den Hund, der in Hannover vor wenigen Tagen zwei Menschen totgebissen hat, zeigt vor allem eines: Empathie gegenüber Tieren aufzubringen fällt vielen Menschen offenbar leichter als gegenüber Menschen.

Ich selbst bin Hundehalterin und habe großes Verständnis für Hundeliebhaber und Vierbeiner. Aber leider formiert sich - begünstigt durch soziale Netzwerke - immer häufiger ein regelrechter Mob an vermeintlichen Tierschützern, die in ihren Äußerungen ziemlich radikal werden. Die der umgekommenen Mutter und ihrem Sohn die Schuld geben - statt deren Angehörigen ihr Beileid auszusprechen.

Ohne dass sie irgendwelche Details zur Vorgeschichte des Staffordshire-Terrier-Mischlings wissen, haben sich hunderte Menschen gemeldet, die "Chico" ein neues Zuhause geben wollen. Tierfreunde haben eine Petition gestartet, damit der Hund nicht eingeschläfert werden muss. Die Opfer werden verhöhnt, wenn dort steht, das Problem liege "am anderen Ende der Leine". Es wurden bis Dienstagnachmittag übrigens knapp 270.000 Unterschriften gesammelt.

Vermutlich militante Tierschützer haben sogar versucht, in das Tierheim in Hannover einzubrechen - wohl mit dem Ziel, "Chico" zu retten. Die vielen Hundefreunde, die den Hund jetzt gerne aufnehmen wollen, sollen sich lieber legal in Tierheimen und bei Tierschutzvereinen umsehen. Es gibt genug Vierbeiner, die ein neues Zuhause suchen. Und die haben allesamt keine Menschen getötet und warten trotzdem teilweise seit Jahren auf eine neue Familie.

Hund mehr wert als der Mensch

Was geht in diesen Köpfen vor? Da wünschen manche im Netz den Opfern einen langsamen, qualvollen Tod, weil Mutter und Sohn - so wird von diesen Kommentatoren jedenfalls angenommen - den Hund nicht artgerecht gehalten haben. Da muss man Kommentare lesen wie "Es geschieht ihnen recht, der arme Hund". Es scheint so, als wäre in Teilen unserer Gesellschaft der Hund mehr wert als der Mensch.

Klar ist: Kein Hund kommt aggressiv auf die Welt. Sie werden mit der Zeit zu dem gemacht, was sie sind. Meist durch uns Menschen und unsere Fehler im Umgang mit ihnen. Statt diesen traurigen Einzelfall so aufzubauschen, sollte man den Menschen helfen, die mit ihren Hunden überfordert sind und nochmal ernsthafter über eine Art Hundeführerschein nachdenken.

Was "Chico" dazu veranlasste, seine Besitzer totzubeißen - darüber können wir nur spekulieren. Ob er misshandelt wurde, geschlagen, nicht artgerecht gehalten. Andeutungen der Behörden und Schilderungen der Nachbarn weisen darauf hin, sicher sein können wir nicht.

Hund kann nicht über seine Motive sprechen

"Chico" soll jetzt doch nicht eingeschläfert werden, sondern in eine Spezialeinrichtung ziehen, in der er sicher untergebracht werden soll. Doch erfahrene Trainer, die sich spezialisiert haben auf Hunde mit übersteigerter Aggressionsbereitschaft, zweifeln die Zukunftsprognose für "Chico" an.

Selbst wenn ein spezialisierter Hundetrainer über Wochen und Monate mit dem Hund arbeiten würde - es gibt keine Garantie, dass "Chico" nicht in alte Muster zurückfällt und Menschen schwer verletzt oder gar tötet. Ein Mensch, der tötet, kann seine Motive mit Worten artikulieren. Ein Hund nicht.

Unverantwortlicher Spaziergang

Heute wurde "Chico" medienwirksam das erste Mal ausgeführt - begleitet von Fotografen und Fernsehteams. Ohne Maulkorb, ohne Geschirr, ohne zusätzliche Sicherung. Nur mit Halsband und Leine. Das ist unverantwortlich.

Wenn das das Verständnis der Hannoveraner Tierschützer von "sicherer Unterbringung" ist, bin ich gespannt auf die letztendliche Lösung. Schon Hunde, die wesentlich weniger "auf dem Kerbholz" haben, bekommen eine lebenslange Maulkorbpflicht verpasst.

Am Mittwoch soll es weitere medizinische Tests geben, da eine Tierärztin einen geschwollenen Unterkiefer festgestellt hat. Man wolle einen Tumor ausschließen. Danach soll "Chico" zum Wesenstest, wie die HAZ berichtet.

Ich liebe Hunde. Aber ich liebe auch Menschen und wenn die geschützt werden müssen, muss man vielleicht die schwere Entscheidung treffen und einen Hund einschläfern. Wenn er eine Gefahr ist - für sich und alle Menschen, die mit ihm zu tun haben. Das hat mit Verantwortungsgefühl zu tun, auch wenn es in diesem Fall bedeuten würde, ein weiteres Leben zu nehmen. Wer weiß, ob zwei Menschen noch am Leben wären, wenn die Entscheidung, den Hund einzuschläfern, früher gefallen wäre.