Brustkrebs und Herzinfarkt: Hunderte Patienten landen in falschen Kliniken in OWL

Berlin/Bielefeld. Die Fortschritte in der Medizin führen dazu, dass sich die Sterberate auch bei schweren Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Brustkrebs zunehmend verringert und so mehr Menschen überleben. Einfluss auf die Sterblichkeit hat dabei auch die Wahl der Klinik, doch die erfolgt nach Angaben der AOK Nordwest in vielen Fällen nicht im Sinne der Patienten. So zeigt eine Auswertung, dass auch in Westfalen-Lippe jedes Jahr Hunderte Patienten mit den Diagnosen Herzinfarkt und Brustkrebs in Kliniken behandelt werden, die dafür technisch und personell nicht adäquat ausgestattet sind. Brustkrebs Jedes Jahr untersucht das wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen in Deutschland die Entwicklung der Behandlungsfälle und beleuchtet so Qualitäts- und Strukturprobleme in der Kliniklandschaft. Daraus ergibt sich für das Jahr 2022, dass 20 der 54 Kliniken in Westfalen-Lippe, die Brustkrebs-Patientinnen versorgen, nicht über ein Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) oder über eine vergleichbare Zertifizierung verfügen. &bdquo;So wurden 1.240 Frauen mit Brustkrebs in Krankenhäusern behandelt, die dafür nicht optimal aufgestellt sind“, moniert der Vorstandsvorsitzende der AOK Nordwest, Tom Ackermann. Die Auswertung zeigt, dass die Zahl der Behandlungsfälle pro Klinik stark variiert. So werden in NRW in 114 Kliniken zwischen 799 und vier Brustkrebspatientinnen pro Jahr pro Standort behandelt. Die AOK kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem die Kliniken, die weniger als 25 Brustkrebsfälle pro Jahr behandeln und damit unter die Gelegenheitsversorgung fallen. Laut der Untersuchung betrifft das 95 Kliniken in Deutschland. Aus diesem Grund zertifiziert die DKG ausschließlich Kliniken als Brustkrebszentren mit hohen Fallzahlen, die nachweisen, dass sie die fachlichen Anforderungen für die Behandlung einer Tumorerkrankung erfüllen und über ein etabliertes Qualitätsmanagementsystem verfügen. In OWL haben nach Angaben der AOK 2022 elf Kliniken insgesamt 1.771 Brustkrebspatientinnen behandelt, obwohl nur neun Kliniken dafür zertifiziert sind. Das St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn (394 Fälle), das Klinikum Bielefeld (312) und das Franziskus Hospital Bielefeld (106) sind als einzige Kliniken in OWL als Brustkrebszentren von der DKG zertifiziert. Das Klinikum Lippe (286), das Johannes Wesling Klinikum Minden (186), das Mathilden Hospital Herford (144), das Klinikum Gütersloh (130), das Sankt Elisabeth Hospital Gütersloh (104) und das Klinikum Herford (86) sind auch zertifiziert, allerdings von der Zertifizierungsstelle der Ärztekammer Westfalen-Lippe und des Landes NRW. Das Klinikum Bielefeld ist zusätzlich auch von der Ärztekammer zertifiziert. Ohne entsprechende Zertifizierung haben die Klinik Dr. Hartog Bielefeld (15) und das Krankenhaus Lübbecke (11) Brustkrebspatientinnen behandelt. Eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK, die auf Daten der Krankenkasse und regionaler Krebsregister basiert, zeigt, dass die Sterblichkeitsrate bei Krebspatienten, die in von der DKG zertifizierten Zentren behandelt werden, niedriger ist, als bei Patienten in nicht zertifizierten Kliniken. Besonders groß sind die Überlebensvorteile bei Gebärmutterhalskrebs. Werden Patientinnen in zertifizierten Zentren behandelt, sinkt ihre Sterblichkeit um 25,9 Prozent. Bei Hirntumoren liegt der Überlebensvorteil bei 15,8 Prozent, bei Lungenkrebs bei 15 Prozent und bei Brustkrebs bei 11,7 Prozent. Damit mehr Krebspatienten davon profitieren, fordert Ackermann, dass der Konzentrationsprozess bei Krebserkrankungen beschleunigt werden muss. &bdquo;Wenn wir das Tempo nicht rasch erhöhen, wird es noch viele Jahre dauern, bis endlich alle Patienten mit Krebs in zertifizierten Zentren behandelt werden.“ Lesen Sie auch den Kommentar: Die Suche nach der richtigen Klinik lohnt sich Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hält diese Sorge mit Blick auf die Brustkrebsfälle jedoch für unbegründet, da seit 2024 die vom Gemeinsamen Bundesausschuss verabschiedete Mindestmenge von 50 Brustkrebsoperationen pro Jahr pro Klinik gilt, die 2025 sogar auf 100 steigen wird. Die Vorgabe der Mindestmenge dient dem Ziel der Qualitätssicherung komplizierter Behandlungen. &bdquo;Es wird also schon in diesem Jahr keine Kliniken mit Gelegenheitsversorgung mehr geben, und spätestens ab dem kommenden Jahr Brustkrebsoperationen auch nur noch an dafür zertifizierten Krankenhausstandorten stattfinden“, sagt der Vorstandsvorsitzende der deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Darauf hofft auch Ackermann: &bdquo;Das ist sinnvoll und notwendig, um die Behandlungsqualität zu verbessern und die Patientensicherheit zu erhöhen.“ Herzinfarkt Missstände zeigt die Untersuchung auch in der Notfallversorgung. So wurden nach Angaben Ackermanns 2022 1.000 der insgesamt 19.376 Herzinfarkt-Patienten in Westfalen-Lippe in Kliniken ohne Herzkatheterlabor eingeliefert. &bdquo;Damit liegt Westfalen-Lippe im bundesweiten Vergleich im Mittelfeld.“ Ackermann fordert deshalb, dass die Länder Versorgungsaufträge nur an die Krankenhäuser vergeben, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. &bdquo;Die Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Bedarfsfall bestmöglich behandelt werden.“ Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht in diesen Zahlen jedoch keine Fehlentwicklung, sondern eine Erfolgsgeschichte. Laut Gaß sinkt die Zahl der Patienten, die zuerst in eine Klinik ohne Herzkatheterlabor eingeliefert werden, seit Jahren. &bdquo;Die Untersuchung scheitert an der Realität der Versorgung. Nicht jeder Herzinfarkt ist selbst von einem hochqualifizierten Rettungsdienst sofort als solcher zu erkennen“, erklärt Gaß. In einigen wenigen Fällen steuere der Rettungsdienst deshalb die nächstgelegene Notaufnahme an, die vielleicht nicht über ein Katheterlabor verfüge. &bdquo;Die Statistik zeigt vielmehr, dass 95 Prozent der Herzinfarktpatienten in einem Krankenhaus mit Katheterlabor behandelt werden. Das zeigt, dass der Rettungsdienst gut funktioniert.“

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