Wirtschaft

Chef der Sparkasse Bielefeld: „Das billige Geld ist eine Droge“

Ex-Bundesbanker Dieter Brand greift die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank scharf an

Stefan Schelp
12.03.2016 | 12.03.2016, 06:00

Herr Brand, der EZB-Chef Mario Draghi senkt den Leitzins auf Null, weitet den Ankauf von Staatsanleihen nochmals aus und vergrößert den Strafzins für bei der EZB geparktes Geld. Was davon ärgert sie am meisten?

Dieter Brand: Ärger ist nicht das richtige Wort. Sorge trifft es eher. Sorge angesichts einer unkontrollierten, hyperaktiven Geldpolitik.

Man könnte aber doch sagen, es geht bei der Zinspolitik nur um Nachkommastellen. Was macht das denn schon aus?

Brand: Das klingt, als hätten Sie schon aufgegeben. Es ist aber viel schlimmer: Die EZB gefährdet die Grundpfeiler der deutschen Gesellschaft. Die Nebenwirkungen der Geldpolitik sind so hoch, dass sie mir sehr große Sorgen bereiten.

Hört sich dramatisch an.

Brand: Ist es auch. Uns wird viel zu viel zugemutet. Durch die Niedrigzinsen ist jeder Sparer Opfer einer kalten Enteignung. Das Center for Financial Studies an der Goethe-Universität Frankfurt hat errechnet, dass den deutschen Sparern bis zum Jahr 2020 rund 200 Milliarden Euro Zinsen verloren gehen. Als Nebeneffekt geht auch die Kultur des Sparens verloren. Vor einigen Jahren lag die Sparquote noch bei 13 Prozent, heute beträgt sie 9,7 Prozent. Anders gesagt: 40 Prozent der Deutschen sparen gar nicht mehr.

Mit welchen Konsequenzen?

Brand: Wir laufen auf ein Problem der Altersarmut zu. Die Bundesregierung sagt ja vollkommen zu recht, dass die Menschen selbst vorsorgen müssen. Aber ohne Zinsen geht das nicht. Das hat auch drastische soziale Auswirkungen. Die Einkommensschere geht immer weiter auseinander. Es ist ja schön und gut, zu sagen, dass man in Sachwerte investieren und Beteiligungspositionen aufbauen soll. Aber wenn man das nicht kann, weil dafür das Geld nicht reicht? Dann bekommt man die Folgen der EZB-Geldpolitik unmittelbar zu spüren.

Welche Grundpfeiler sind noch betroffen?

Brand: Die betriebliche Altersvorsorge. Betriebe mit Pensionskassen bekommen gigantische Probleme. Das kann soweit gehen, dass Unternehmen in gefährliche Schieflagen geraten, weil die Pensionszahlungen die Gewinne auffressen. Oder nehmen Sie die Stiftungen. Die sind Ausdruck funktionierender Zivilgesellschaften. Aber Stiftungen leben von Zinsen, zugleich soll das Kapital erhalten bleiben. Ja, wie denn? Das Soziale, der Sport, die Kultur und die Wissenschaften sind die Leidtragenden.

Für Banken ohne Zinsen gilt das vermutlich genauso?

Brand: Regionale Sparkassen und Volksbanken leben vom „Rohstoff“ Zinsen. Wenn die EZB die Zinsen abschafft, zieht sie uns den Teppich unter den Füßen weg.

Und was tut der Sparer sinnvoller Weise ?

Brand: Für 90 Prozent der Sparer sind klassische Geldanlagen genau das richtige. Der Sparer sollte mit seinem Berater sprechen – egal bei welcher Bank. Von den vermeintlich „heißen Tipps“ mit hoher Rendite rate ich allerdings ab. Aber am wichtigsten ist: Hören Sie bitte nicht auf zu sparen.

Dass Bankkunden das Vertrauen verlieren, ist verständlich?

Brand: Jeden Tag müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Filialen die besorgten Fragen der Kunden beantworten. Das Bankgeschäft funktioniert nicht ohne Vertrauen. Aber eine Notenbank, die das Vertrauen verliert, ist noch viel schlimmer. Wir sind seit mehreren Jahren im permanenten Krisenmodus. Ich kenne niemanden, der die EZB-Politik nicht ohne Sorgen betrachtet. Die Situation ist höchst gefährlich.

Inwiefern?

Brand: Wir hängen an einer Droge, die heißt „billiges Geld“. 2008, 2009, 2010, hat die EZB alles richtig gemacht. In der Finanzkrise waren wir in einer außergewöhnlich schwierigen Situation. Nur die EZB konnte sich noch bewegen. Hätte sie nichts getan, wäre der ganz große Crash gekommen.

Was damals richtig war, ist jetzt falsch?

Brand: Das hat sich irgendwann verselbstständigt. Die Geldpolitik ist vollkommen wirkungslos geworden. Sehen Sie sich an, in welch kurzen Intervallen der Leitzins seit 2011 gesenkt worden ist und wie dramatisch der Anleihenaufkauf ausgeweitet worden ist. Diese Geldpolitik ist gescheitert. Sie ist am Ende.

Was sollte Draghi denn tun?

Brand: Er müsste eine klare, unmissverständliche Botschaft an die Regierungen Europas senden: „Die Geldpolitik kann eure Probleme nicht weiter lösen. Sie ist wirkungslos geworden. Habt den Mut, jetzt die notwendigen Reformen umzusetzen, um aus der Schuldenspirale herauszukommen. Ihr seid dran!“

Warum macht er das nicht?

Brand: Ich glaube, er ist in seiner eigenen Logik verfangen und findet aus der Sackgasse nicht mehr heraus.

Eines von Draghis Zielen ist ja, die Inflation in erträglichem Maße anzukurbeln.

Brand: Stimmt. Und alle reden vom Schrecken der Deflation. Die sehe ich aber nicht. Alle rennen dem Gespenst Deflation hinterher, statt sich über stabile Preise zu freuen. Auch in Südeuropa haben wir keine Deflation. Wenn dort die Preise sinken, dann doch nur, weil eine überfällige Anpassung an die Realität vollzogen wird. Das Gespenst Deflation wird immer größer, genau wie das Ungeheuer von Loch Ness. Nur gesehen hat es noch niemand.

Draghi ist noch bis 2019 im Amt. Los werden wir ihn nicht.

Brand: Draghi ist ja nur das Gesicht. Es gibt in der EZB offenbar eine Mehrheit für diese Geldpolitik. Einzig Bundesbankchef Jens Weidmann sagt ja noch: „Vorsicht an der Bahnsteigkante.“

Was also tun?

Brand: Es muss deutlichen Widerspruch gegen diese kopflose Krisenpolitik geben. Geldpolitik ist nichts Abstraktes, das ist nichts, was nur in irgendwelchen Bankenzirkeln diskutiert wird. Das betrifft jeden. Mag sein, dass sich viele Menschen an diese Nachrichten der EZB gewöhnt haben. Aber was dort passiert, ist nicht normal. Und ich will diesen völligen Irrweg nicht weiter unkommentiert lassen.