Michael Gross: "Es gibt im Schwimmen zu wenig Geld"

Schwimmer über eindimensionale Sportler und Strippenzieher

16.01.2012 | 16.01.2012, 00:00
Michael Gross: "Das waren Extreme" - © SPORT
Michael Gross: "Das waren Extreme" | © SPORT

Düsseldorf. Bruno Moravetz fahndete 1980 in Lake Placid mit dem legendären Satz "Wo ist Behle?" nach einem deutschen Langläufer, der durch die Reporterworte Berühmtheit erlangte und heute Bundestrainer ist. Mindestens ebenso bekannt sind drei Worte von Jörg Wontorra: Mit seinem "Flieg, Albatros, flieg!" wollte der ARD-Mann 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles Michael Gross zum Gold über 200 Meter Schmetterling brüllen. Gross wurde nur Zweiter, ist aber mit 21 Titelgewinnen dennoch einer der erfolgreichsten deutschen Schwimmer aller Zeiten. Mit ihm unterhielt sich Christoph Fischer.

(Zur kompletten Serie Erbe der Idole geht es hier)

Herr Gross, Sie haben im Spitzensport selbst alles erlebt. Wie stufen Sie mit dieser Erfahrung die Rücktrittsankündigung von Biathletin Magdalena Neuner ein?
MICHAEL GROSS: Der Rücktritt mag überraschend erscheinen, ist aber nicht ungewöhnlich. Vielleicht hatte sie auch keine Lust mehr auf Antholz.

Michael Groß - © KARIKATUR: CHRISTOPH HÄRRINGER
Michael Groß | © KARIKATUR: CHRISTOPH HÄRRINGER

Antholz ist schön.
GROSS: Sicher, aber Magdalena hat alles erlebt, es ist der absolut richtige Zeitpunkt. Noch eine Weltmeisterschaft im eigenen Land ist doch ideal. Olympia in Sotschi braucht kein Mensch.

Wann soll ein Sportler zurücktreten?
GROSS: Idealerweise wenn es am schönsten ist. Ich darf nicht das Gefühl haben, mich quälen zu müssen. Unbedingter Wille funktioniert nur mit Spaß, rumwurschteln geht im Spitzensport nicht.

Sie waren damals 26 Jahre beim Rücktritt.
GROSS: 1991 war mein letztes Jahr, und das hat nur zehn Tage gedauert, die WM in Perth war im Januar. Perth war einmalig, die erste gesamtdeutsche Mannschaft. Ich war mit Nils Rudolph aus der ehemaligen DDR auf dem Zimmer. Da war Euphorie, wie auch bei Olympia in Barcelona noch. Was später mühseliger wurde. Ich wusste in Perth, auf dem Level kannst du noch zwei, drei Jahre schwimmen, aber schneller wirst du nicht mehr.

Aber alle wollten den Albatros zu Olympia 1992 überreden.
GROSS: Ja, alle haben das gesagt und geschrieben. Die 18 Monate gehen noch. Ich wollte das aber nicht. Die 18 Monate wären horrormäßig lang geworden für mich.

Warum verpassen viele den richtigen Zeitpunkt?
GROSS: Viele haben nichts anderes. Die haben parallel nichts aufgebaut, beruflich, privat. Michael Schumacher, Ian Thorpe, diese Comeback-Geschichten. Der zweite Grund ist, am Erfolg zu hängen. Du kannst im Sport der Beste der Welt werden. Das gibt es nirgendwo sonst. Selbst ein Nobelpreisträger ist niemals der beste seines Faches. Viele im Sport sind eindimensional und haben Angst vor der Komplexität des Normalen.

Ist man im Spitzensport nicht notwendig eindimensional?
GROSS: Nach 15 Jahren Sport bist du eindimensional, weil du alles dem Sport unterordnest. Aber dass ein Mensch nichts anderes machen kann, als im Kreis zu fahren oder zu schwimmen, das kann ich mir nicht vorstellen. Als Sportler trachtest du nach den großen Dingen, die Neugier auf die kleinen Dinge geht dir verloren, die unbändige Freude über Unerwartetes.

Kannten Sie Langeweile in Ihrer Karriere?
GROSS: Nein, nie. Ich hatte Abwechslung, Distanz, das war wichtig für mich. Im Sport brauchst du Besessenheit, aber du darfst es auch nicht überziehen. Das kann man nur aus sich selbst heraus entwickeln. Wenn das nicht mehr da ist, geht es nicht mehr.

Michael Groß stellt sein Buch vor - © FOTO: DPA
Michael Groß stellt sein Buch vor | © FOTO: DPA

Gibt es Zeiten, wo Sport alles ist?
GROSS: Das gab es nicht bei mir, Ausnahme war die Bundeswehrzeit. Aber auch da war ich schon an der Frankfurter Universität eingeschrieben. Ich habe aber mehr trainiert, die Folge war, dass ich über 400 Meter Freistil Weltrekord geschwommen bin.

Was bleibt an Erinnerungen?
GROSS: Ich habe zuletzt meine Dias digitalisiert. Ich habe immer das Drumherum fotografiert. 1980 waren wir in China, als Ersatz für das boykottierte Olympia in Moskau. China, da kam doch ein normaler Mensch damals gar nicht hin. Wir waren in Ecuador bei der Weltmeisterschaft. Und das alles mit Kollegen, die auf einer Wellenlänge mit dir waren. Das bringt mir emotional auch heute noch etwas.

Was hat Ihnen der Sport gebracht?
GROSS: Lebensschule. In jungen Jahren schon mit Sieg und Niederlage umgehen lernen. Das waren Extreme. Bei Olympia stehen Hundertschaften vor dir und wollen Interviews, die Extreme im Wettkampf, in der Vorbereitung. Wenn du das alles hinter dir hast, bist du im Beruf auch in schwierigen Zeiten wie diesen nicht frustriert, wenn die Geschäfte einmal nicht laufen. Man ist gelassener.

Sie waren eine Leitfigur der Nationalmannschaft.
GROSS: Ich habe diese Rolle aber nie ausgenutzt. Es gibt legendäre Geschichten. 1983 bei der Europameisterschaft in Rom haben wir einen Aufstand gemacht wegen der zu kurzen Betten, Thomas Fahrner und ich haben die Betten in den Flur geräumt. Der Besitzer, ein stolzer Römer, tickte völlig aus. Zwei Tage Stress ohne Ende. Das zweite war die Staffel damals. Bundestrainer Manfred Thiesmann wollte Alexander Schowtka nicht, der war im Vorlauf schwach geschwommen. Panik. Krisenstimmung. Wir Schwimmer haben gesagt, wir vertrauen Alex. Entweder, der schwimmt, oder wir schwimmen alle nicht. Wir schwammen Weltrekord. Mit Alex.

Interessieren Sie sich noch fürs Schwimmen?
GROSS: Live nur bei Olympia. Aber nur weil es Olympia ist, nicht weil es Schwimmen ist. Von der letzten WM habe ich nichts gesehen. Es ist purer Zufall, wenn ich Schwimmen sehe.

Die Querelen im Schwimmen sind die gleichen geblieben. Warum ändert sich nichts?
GROSS: Es liegt nicht an den handelnden Personen, die wurden ja häufig genug ausgetauscht. Es wird immer über Professionalisierung geredet, haben wir damals doch auch schon.

Warum keine Fortentwicklung?
GROSS: Es gibt im Schwimmen zu wenig Geld, um Professionalität aufzubauen. Es muss sein wie im Fußball. Da gibt es eine professionelle Fußball-AG für das operative Geschäft und einen Verein für das Ehrenamtliche, den Aufsichtsrat. Man braucht Profiteams mit personeller Verantwortung.

Das kann nicht der einzige Grund sein, warum es nicht vorangeht.
GROSS: Ein weiterer Grund ist die Entwertung des nationalen Wettbewerbs. In den USA und Australien kommen die Leute gestärkt aus harten Ausscheidungen, die können von Olympia gar nicht mehr überrascht werden. Die leben in permanenter Konkurrenz. Wir waren in der Freistilstaffel doch nur deshalb weltweit führend damals, weil jeder in die Staffel wollte. Da hattest du eine Medaille sicher, wir haben damals gekämpft, um in diese Staffel zu kommen. Im nationalen Wettbewerb.

Sie haben auch in den Gremien des deutschen Sports 2005 einen Schlussstrich für sich gezogen. Warum?
GROSS: Die Fusion von NOK und DSB war für mich der Schlusspunkt, diese Fusion habe ich nie verstanden. Kein Unternehmen dieser Welt kann alles leisten. Keine Sportorganisation der Welt kann sich um den Breitensport an der Basis und den professionellen Hochleistungssport zugleich kümmern. Der fusionierte Deutsche Olympische Sportbund beansprucht für sich, mit einer Stimme für den Sport zu sprechen. Warum eigentlich? Man braucht eine kleine Organisationseinheit für den Spitzensport, das war das Nationale Olympische Komitee. Um den Rest kümmerte sich der Deutsche Sportbund, die Schnittstellen sind die Kader. Fertig. Viele waren meiner Meinung. Aber im Sport geht es nicht um Inhalte. Deshalb haben sich die Politiker, die Mehrheitsbeschaffer, durchgesetzt.

In der Welt des Sports geht es also nur um Macht.
GROSS: Absolut, und Thomas Bach ist ein Meister seines Faches. Und Michael Vesper hat es bei der Olympiabewerbung 2012 meisterhaft verstanden, die Düsseldorfer Stimmen gegen Hamburg und für Leipzig in Position zu bringen. Das ist politische Macht, war aber eine inhaltlich völlig absurde Geschichte. Wer Olympia wirklich wollte, konnte gar nicht an Hamburg vorbei. Das wusste auch Thomas Bach. Und heute ist Vesper sein Generaldirektor.

INFORMATION


Michael Gross  
     

  • Karriere: Der am 17. Juni 1964 in Frankfurt geborene Schwimmer Michael Gross ist dreimaliger Olympiasieger, fünffacher Weltmeister und 13maliger Europameister. Wegen seiner Armspannweite von 2,13 Metern bei einer Körpergröße von 2,01 Metern ist Gross der "Albatros", die Leitfigur der deutschen Nationalmannschaft von 1980 bis 1991. Gross war viermal Sportler des Jahres.
  • Beruf: Michael Gross studierte Germanistik, Politologie und Medienwissenschaften in Frankfurt, promovierte 1994 über die Publizistik der Weimarer Klassik und ist seit 2004 Inhaber einer Beratungsgesellschaft für Unternehmenskommunikation. Bis 2005 war er Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsche Sporthilfe und im Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland.
  • Privates: Michael Gross ist seit 1995 verheiratet und Vater von zwei Kindern.