Paderborns Trainer zieht Bilanz: „Unsere Punkteausbeute ist unfassbar“

Paderborn. Die Zweitliga-Hinrunde ist Geschichte. Und der SC Paderborn steht mit 27 Punkten glänzend da. Cheftrainer Lukas Kwasniok erklärt im Interview mit &bdquo;nw.de“, warum seine Mannschaft trotz zahlreicher Widrigkeiten so viele Zähler sammeln konnte. Zudem spricht er über Ziele und Personalplanungen, seine Vertragsverlängerung und ein Jahr, das gerade für ihn alles andere als einfach gewesen ist. Herr Kwasniok, trotz vieler Widrigkeiten hat der SC Paderborn 07 die Zweitliga-Hinrunde mit 27 Punkten auf Rang sechs beendet. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Lukas Kwasniok: Es war ein völlig verrücktes Halbjahr. Das begann schon in der Vorbereitung. Ein Beispiel: Die Öffentlichkeit sieht ja meist nur Spieler und Ergebnisse. Aber für ein Innenleben im Verein sind ganz viele Personen wichtig. Im Sommer-Trainingslager fiel unser Video-Analyst Eduard Schmidt wegen einer Erkrankung aus. Für insgesamt drei Wochen. Wir haben nur einen Analysten. Und wir hatten einen personellen Umbruch, bei dem uns dann so eine wichtige Person fehlt. Oder da wäre zum Beispiel Jesse Tugbenyo, den wir fest als Back-up auf der Acht eingeplant hatten. Das war unser Achter, der reinkommen sollte, wenn wir mal mit langen Bällen agieren wollten, denn Jesse ist ein sehr guter Kopfballspieler. Dann beginnt die Saison – und du kassierst nach ein paar Minuten eine Rote Karte bei einem Gegner, bei dem du gefühlt noch nie gepunktet hast. Raphael Obermair haben wir in diesem Spiel zu früh eingesetzt und regelrecht verheizt. Visar Musliu wurde drei Spiele gesperrt. Maxi Rohr fiel dann fast die gesamte Hinrunde aus und ist nun wieder verletzt. Danach kam Ezekwem. Musliu kehrt zurück, Heuer bricht dir weg. Robert Leipertz war gefühlt gar nie da. Es war eine Never-ending-Story an Rückschlägen. So eine Seuche habe ich in der Form noch nie erlebt. Wie ist denn der Stand der Dinge bei Jesse Tugbenyo, dem die Folgen einer 2020 erlittenen schweren Halswirbelverletzung weiter zu schaffen machen? Und wie sieht es bei Kimberly Ezekwem aus, der wegen schlechter Blutwerte seit Ende September ausfällt? Bei Jesse weiß ich nicht, wie es bei ihm weitergeht. Aber es sieht nicht so rosig aus. Auch bei Kimberly ist völlig unklar, wann er wieder spielen kann. Es gibt da noch immer keine exakte Diagnose, warum seine Werte so schlecht sind. Trotz all dieser Rückschläge steht die zweitbeste Zweitliga-Hinrunde der Vereinsgeschichte zu Buche. Wie war das möglich? Das ist vor diesem Hintergrund eine unfassbare Ausbeute. Normalerweise gehst Du mit 14 Punkten aus so einer Vorrunde raus. Es ist daher fast unmenschlich, was die Jungs abgeliefert haben. Aber auch im Trainingsalltag waren sie halt immer fokussiert. Und diese Ausbeute war nur möglich, weil der innere Zusammenhalt so ausgeprägt ist. Das habe ich in der Form selten erlebt. Deshalb kannst du den Jungs auch mal die Leviten lesen, ohne dass am nächsten Tag jemand persönlich beleidigt ist. Und umgekehrt kann ich mich selbst mal in der Öffentlichkeit an den Pranger stellen, ohne mein Gesicht vor der Mannschaft zu verlieren. Es ist eine außergewöhnlich gute Kameradschaft. Die Spielidee, den Gegner durch Ballbesitzfußball zu dominieren, war auch angesichts der vielen Ausfälle aber kaum umsetzbar. Wie sehr mussten Sie die Spielweise im Laufe der Hinrunde immer wieder anpassen? Das ist und bleibt ja ein stetiger Prozess. Du versuchst immer, einen Schritt vorwärts zu machen. Aber dann merkst Du: Oh, du musst erst einmal wieder zwei Schritte zurückgehen. Ich denke, wir sind im Laufe der Hinrunde trotzdem gut vorwärts gekommen. Aber es waren schon sehr viele Anpassungen vonnöten. Das ging ja gleich zu Saisonbeginn los. Grimaldi und Platte waren verletzt, so dass wir keinen echten Mittelstürmer hatten. &bdquo;Diese Saison ist ein Anpassungsprozess“ Fußballfeste wie in der Hinrunde der Vorsaison blieben auch aus, obwohl Ihr Team diesmal sogar einen Punkt mehr holte. Aber Sie hatten sich vor dem Saisonstart ja auch mehr &bdquo;dreckige Siege“ gewünscht. Und die hatten wir auch zuhauf. Aber das ist auch das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses bei einzelnen Spieler, die Wege gefunden haben, auch schwierige Spiele zu gewinnen. Dafür ist zum Beispiel ein Visar Musliu ein ganz wichtiger Faktor. Sie trafen Entscheidungen, die durchaus riskant waren. So beorderten Sie mit Jannik Huth ihren Kapitän und Stammtorwart ins zweite Glied, um Pelle Boevink zur neuen Nummer eins zu ernennen. Dafür gab es ja auch Gründe. Mit Jannik ist uns ein weiterer Leistungsträger aus den vergangenen beiden Jahren ein wenig weggebrochen. Und Pelle macht es jetzt auch gut. Wir haben mit ihm die letzten Spiele gewonnen. Er gibt seinen Mitspielern vor allem durch seine Strafraumbeherrschung Sicherheit. Und es ist ein großer Unterschied in der Ausrichtung einer Startelf, ob ein Torwart Bälle abfängt oder nicht, weil ich dann weniger große Spieler benötige. Ich hoffe, dass Pelle so stabil bleibt. Jetzt ist er erst einmal vorne und Jannik ist der Herausforderer. Es gibt Entscheidungen, die du als Trainer fällen musst. Manchmal gehen sie auf, manchmal auch nicht. Der SCP hat in der turbulenten Hinrunde die Entscheidung getroffen, Ihren ohnehin bis 2025 laufenden Vertrag zu verlängern. Das war ein großer Vertrauensbeweis. Wie viel Vertrauen kann der Verein denn haben, dass Sie diesen Vertrag auch erfüllen? Ich hatte ja im September 2022 nach meiner ersten Vertragsverlängerung gesagt, dass ich gerne in meinem vierten Jahr als SCP-Trainer eine Mannschaft beisammen hätte, mit der wir oben andocken könnten. Doch auch durch die Neuerung auf der Geschäftsführer-Position Sport haben sich Dinge verändert. Diese Saison ist daher ein Anpassungsprozess. Und der Verein und ich hatten das Gefühl, dass wir dieses Jahr des Übergangs hinten anhängen können. Das Ziel aber bleibt. Doch auch ein Übergangsjahr kann hin und wieder mit einem positiven Betriebsunfall enden. Da müssen dann aber ganz viele Dinge zusammenkommen. Klar, der SCP hat in diesem Kalenderjahr insgesamt 56 Punkte geholt. Aber du musst auch Glück haben, dass Mannschaften schwächeln. Und wenn du dann überperformst, kann so etwas passieren. Doch man hat ja gesehen, wie eng es in der 2. Liga zugeht. Nach unserer Pleite in Elversberg hatte es unlängst noch einen Abgesang auf den SCP gegeben. Es ist schwer, in dieser Liga Punkte zu holen. Unser klares Ziel sind erst einmal 40 Punkte. Dafür müssen wir uns noch 13 Punkte erarbeiten, die du nicht geschenkt bekommst. Solange der SC Paderborn 07 auf einem einstelligen Platz ins Ziel kommt, wird es immer eine tolle Saison sein. Was den Kaderwert betrifft, waren wir in dieser Spielzeit auf Rang 15 gestartet. Nach dem Update sind wir nun Elfter. &bdquo;Der SCP darf nie das letzte Etappenziel sein“ Ihr wertvollster Spieler ist hierbei Florent Muslija, der aber im Sommer ablösefrei gehen könnte. Wie groß ist denn die Gefahr, dass er den SCP schon in diesem Winter verlässt? Der Verein hat die Finanzen im Blick und muss das entscheiden. Ich habe bislang alle Entscheidungen respektiert und akzeptiert. Ein Sven Michel ist gegangen. Ein Chris Führich hat den SCP verlassen. Dabei war Chris einer der Gründe, warum ich nach Paderborn gekommen bin. Aber es ging immer weiter. Es wird auch ohne einen Flo Muslija weitergehen – ob nun im Winter oder Sommer. Die Zeit wird kommen und ich bin darauf gefasst. Mich würde auch das nicht in eine Lebenskrise stürzen. Aber auch ein Trainer hat Wünsche. Für welche Positionen hätten Sie denn möglichst schon in diesem Winter gerne Verstärkungen? Da geht es gar nicht so sehr um Positionen. Wenn wir neue Spieler holen, sollten diese entwicklungsfähig und hungrig sein. Das sind dann Neuzugänge, die zum SC Paderborn 07 passen. Der SCP darf für solche Spieler nie das letzte Etappenziel sein. Wir haben keine Rahmenbedingungen, um satte Spieler glücklich zu machen. Wobei der Verein vor dieser Saison auch diverse erfahrene Akteure geholt hat. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass diese Spieler satt waren. Adriano Grimaldi ist 32 Jahre alt, aber der will unbedingt in der 2. Liga beweisen, dass er es kann. Er hatte gewisse Dinge in der 3. Liga nachgewiesen. Und wir haben es ihm zugetraut, dass er es auch eine Liga höher schafft. Oder man kann auch einen Spieler holen, der in der 2. Liga zwei Jahre nicht so performt hat, von dem wir aber überzeugt sind, dass er hier in Paderborn dank der Rahmenbedingungen funktioniert. Jungspunde wie Ilyas Ansah und Mattes Hansen funktionieren schon jetzt recht gut. Welchen Talenten trauen Sie in der Rückrunde den Sprung zu? Mit Moritz Flotho, Calvin Brackelmann und Martin Ens trainieren ja derzeit drei weitere U21-Spieler bei uns mit, die ich mir im Trainingslager in Spanien ganz genau anschauen werde. Ich habe da schon die Fantasie, dass sie die nächsten Nachrücker sein könnten. Bei all den Widrigkeiten, die wir in der Hinrunde hatten, ist es sicher das wichtigste Faustpfand, dass wir jetzt Spieler aus dem Unterbau nachschieben können. Talente können sich hier im Schatten anderer entwickeln. Dafür haben wir in Paderborn nun optimale Bedingungen. Der Plan mit Max Kruse hat dagegen nicht funktioniert. Der Vertrag mit ihm wurde vorzeitig aufgelöst. Es hat halt sportlich nicht gepasst. Aber menschlich. Das zeigt auch sein ganz großes Entgegenkommen bei der Vertragsauflösung. Das war eine komplett astreine Geschichte zwischen Verein und Spieler. Max hätte ja seinen Vertrag aussitzen können. Aber das ist er nicht. Max hat den Verein wirklich wertgeschätzt. Er konnte hier so sein, wie er war. Und wir haben ihn als Mensch wertgeschätzt. Als Spieler haben wir uns von ihm natürlich mehr erwartet, aber es hat leider nicht geklappt. Ich fand es trotzdem eine gelungene Sache, ohne etwas schönreden zu wollen. &bdquo;Mich wirft nichts um“ Wer war für Sie der beste SCP-Spieler der Hinrunde? Das war ganz sicher Florent Muslija. Aber gleich dahinter kommt Adriano Grimaldi. Die beiden waren unsere größten Gewinner. Und wer war der größte Verlierer? Die Frage werde ich natürlich nicht beantworten. In welchen Bereichen gibt es das größte Verbesserungspotenzial? Wir werden jetzt in die Analyse gehen. Aber offensichtlich ist bereits, dass wir sehr viele Verteidiger des Gegners überspielen, aber daraus relativ wenige Torchancen kreieren. In der vergangenen Saison war die Anzahl der überspielten Verteidiger bei weitem nicht so hoch, aber wir waren bei den Expected Goals deutlich besser. Und wir müssen das Feld noch besser dauerhaft kompakt halten. Das hat mir in Hamburg sehr gut, aber gegen Rostock nicht gut gefallen. Da war das Feld in der Arbeit gegen den Ball zu groß. Für Sie persönlich war es nicht nur aufgrund der turbulenten Hinrunde ein bewegtes Jahr. Da waren Ende Mai ihre vorübergehende Festnahme auf Mallorca und die gegen Sie erhobenen Vorwürfe, ehe das Ermittlungsverfahren im September eingestellt wurde. Was würden Sie denn gerne streichen? Und was würden Sie gerne noch einmal erleben, wenn Sie auf 2023 zurückblicken? Weder das eine noch das andere. Das ist alles Teil des Jahres 2023. Mich wirft nichts um. Was andere über mich denken, reden oder schreiben, blende ich komplett aus. Es geht einzig und allein darum, mit sich selbst im Reinen zu sein und alles zu geben für diesen Verein. Und das habe ich getan.

Meistgelesen

Paderborn Mann für Mann