Bielefelder Sportvereine packen den Wandel an

Bielefeld. Lücken in der Vorstandsriege, fehlende Trainer oder mangelnde Wertschätzung - die Probleme sind vielfältig. Eins haben alle Bielefelder Sportvereine gemeinsam: Sie möchten sich für die Zukunft gut aufstellen und das Ehrenamt stärken. Um das mit vereinten Kräften zu stemmen, hat der Stadtsportbund mit &bdquo;Sportverein der Zukunft“ jetzt eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Der Auftakt fand mit fulminanter Beteiligung und einer prominenten Gastrednerin statt. Mehr als 100 ehrenamtlich engagierte Sportler aus 65 Bielefelder Vereinen waren der Einladung in die Sporthalle der Luisenschule gefolgt. Eine kurze Abfrage zu Beginn verdeutlicht, dass die meisten aus dem Vorstand ihrer Gemeinschaft kommen und selbst an den Themen mitarbeiten wollen. Sportdezernent Udo Witthaus macht zu Beginn deutlich: &bdquo;Ehrenamtliches Engagement im Sport ist ein wichtiger Aspekt für die über 220 Vereine in Bielefeld, denn es hält die Gesellschaft zusammen. Hier kommen Gruppen zusammen, die sonst nicht aufeinandertreffen, daher ist es ein wichtiger Ort für den Austausch.“ &bdquo;Das ist die wichtigste Veranstaltung seit langem“ Volker Wilde, Präsident des Stadtsportbundes, hofft, dass jeder etwas von dem Abend für seine Vereinspraxis mitnehmen kann. &bdquo;Ehrenamt ist wie ein Zaubertrank, aus dem viel entsteht - wir brauchen es, damit Sportstätten existieren und betrieben werden können“, sagt er. Mehr als ein Jahr dauerten die Vorbereitungen für die Veranstaltungsreihe. Nur mit finanzieller Unterstützung der Sparkasse Bielefeld und der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt sei der Umfang möglich. Die Erwartungen sind hoch. Stephan Prante vom Motor-Sport-Club Bielefeld spricht aus, was die meisten Gäste denken: &bdquo;Das ist die wichtigste Veranstaltung seit langem.“ Im Impulsvortrag geht Trend- und Zukunftsforscherin Anja Kirig auf die Herausforderungen dieser Zeit ein. &bdquo;Vereine müssen die Bedürfnisse kennen und ansprechen, nicht mehr die klassischen Zielgruppen“, sagt sie. Ehrenamtliche zu gewinnen und zu halten sei weltweit ein akutes Thema. Genau wie die Gesellschaft sich wandelt, passiere es auch im Sport. Ein Patentrezept kann sie nicht präsentieren, jedoch verschiedene Möglichkeiten für Veränderungen aufzeigen. Werte anstelle von demografischen Kriterien Nach Corona habe der Stellenwert von persönlichen Begegnungen und Kontakten an Bedeutung gewonnen. Einsamkeit sei übergreifend über die Generationen ein Problem. &bdquo;Studien zeigen, dass viele Menschen bereit sind, sich freiwillig zu engagieren, jedoch nehmen sie das Ehrenamt als Begriff auf mit viel Verantwortung wahr“, so Kirig. Dabei hätten sich Lebensläufe und Wertvorstellungen im Gegensatz zu früher gewandelt. Bei der Ansprache neuer Mitglieder sollte nicht nach demografischen Kriterien, sondern nach Werten differenziert werden. Lesen Sie auch: So sollen mehr Ehrenamtliche für den Bielefelder Vereinssport gewonnen werden Um Ehrenamtliche und Sportvereine zusammenzubringen, regt sie zur Nutzung unterschiedlicher Online-Plattformen an. Um Aufgaben besser zu verteilen, könnte ein Punktesystem helfen. Für verschiedene Aufgaben gibt es Punkte und jedes Mitglied muss eine bestimmte Anzahl leisten. Ehrenamtliche Rollen und damit auch der Zeitbedarf und die Verantwortung könnten auf mehrere Schultern geteilt werden. Digitale Lösungen könnten zudem Arbeit abnehmen. Eine Möglichkeit administrative Aufgaben zu reduzieren sei auch der Zusammenschluss von Sportvereinen bei diesen Angelegenheiten. &bdquo;Auch hauptamtliche Stellen können Sinn machen, um das Ehrenamt zu entlasten“, so Kirig. &bdquo;Angst muss ernst genommen, aber überwunden werden“ In Krisenzeiten steige die Bereitschaft für Engagement. Dann könnte das Thema genutzt und der Sport beispielsweise mit Umwelt- oder Klimaschutz gekoppelt werden. &bdquo;Das zieht bei den Menschen“, sagt die Forscherin. Am Ende ihres Vortrags gibt sie wichtige Tipps: Angebote kommunizieren, Erwartungen und Aufgaben erklären, zur Mitarbeit einladen, Mittel bereitstellen und Wertschätzung zeigen. Das Publikum zückt die Handys und fotografiert eifrig die Präsentation. Eine wichtige Frage stellt Moderator Fuzael Ul-Hassan abschließend: Wie ist mit Angst vor Veränderungen in den Vereinen umzugehen? &bdquo;Angst muss ernst genommen, aber überwunden werden“, so Kirig. Nach dem Impulsvortrag sind die Zuhörer dran. In Kleingruppen geht es um den Austausch zu verschiedenen Themen. Sehr viele Fragen, aber auch eine ganze Reihe an Lösungsansätzen werden diskutiert. Der Personalmangel ist allgegenwärtig. Zudem suchen viele Vereine händeringend Nachfolger in Vorstandspositionen. Marie Markeviciute vom Reitverein Vilsendorf erzählt wie es bei ihr gemacht wird: &bdquo;Wir versuchen, früh auch Jüngere mit in Aufgaben einzubeziehen - denn keiner hat Lust, alles alleine zu machen.“ Ein Netzwerk soll helfen Reinhard Oschem vom Bielefelder Skiclub schildert ein anderes Problem: &bdquo;Wir haben ein relativ hohes Durchschnittsalter, weil wir uns nicht rechtzeitig um den Nachwuchs gekümmert haben.“ Ihm gefällt der Gedanke, bei manchen Aufgaben mit anderen Vereinen zu kooperieren, und fragt nach möglichen Ansatzpunkten. Markeviciute berichtet von einer Kooperation mit der Waldorfschule, die für den Verein ein Erfolg sei. In einer anderen Runde geht es um den Rollenwechsel vom Vereinsmitglied zum Verantwortungsträger und die Bindung an das Ehrenamt. Kirsten Johner von der SpVg Heepen fragt nach Tipps, wie sie die richtigen Kandidaten rausgefischt bekommt und die Transformation gelingt. Martin Ache von den Naturfreunden Bielefeld gibt auch zu bedenken, dass junge Mitglieder nach der Schule oder dem Studium sich häufig anders orientieren und die Stadt verlassen. Lesen Sie auch: Wenn ein Bielefelder den Spitznamen &bdquo;Mister Ehrenamt“ verdient hat, dann dieser Mann Auch über den Umfang von Helferstunden diskutieren die Gäste. Stephan Sander vom Reitverein Vilsendorf: &bdquo;Viele fragen aktiv, wo sie helfen können. Sie sind bereit, das funktioniert bei uns.“ Sein Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen. &bdquo;Wir müssen unsere Möglichkeiten kennen. Was machen die Eltern unserer Vereinskinder beruflich, vielleicht können die uns bei Aufgaben helfen“, sagt er. Denn aktive Mitarbeit hilft in der Regel mehr als Geld, da sind sich alle einig. &bdquo;Systematische Erfassung von Kompetenzen“ steht auch bei einer anderen Gruppe auf einem Post-it. Stadtsportbund bietet Vereinsberatung Der hohe Verwaltungsaufwand und die rechtlichen Rahmenbedingungen sind Thema in einem weiteren Arbeitskreis. Jutta Meinderink von Linedance4all berichtet: Sie ist erst ein halbes Jahr in ihrer Rolle, hat aber weder einen Computer, mit dem sie Aufgaben erledigen kann zur Verfügung, noch ist ihr Aufgabenfeld klar definiert. Volker Wilde schlägt eine Vereinsberatung vor, die beim Stadtsportbund beantragt werden kann. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld Auch Aufwandsentschädigungen sind eine Baustelle, worum sich ein Arbeitskreis gebildet hat. Es fange mit Dankbarkeit an und dass die Zeit der ehrenamtlichen Trainer nicht als selbstverständlich gesehen werden dürfte. Thomas Rosenthal vom SV Ubbedissen: &bdquo;Wir werden nie genug Geld haben, um das damit wertzuschätzen - trotzdem ist es wichtig, dass die Aufwandsentschädigungen gerecht zwischen den Abteilungen verteilt sind.“ Er ist froh über den gemeinsamen Austausch. Auch um zu erfahren, wie die Höhe der Aufwandsentschädigungen anderswo ausfällt. &bdquo;Abhängig von der Qualifikation und wie lange der Trainer schon dabei ist“, sind die Antworten.

Meistgelesen