Bielefeld. Das Thema Selbstverteidigung wird in Kampfsportkreisen heiß diskutiert. Speziell, wenn es um Waffen geht. Oft werden komplizierte Techniken als realistische Selbstverteidigung verkauft. Ju-Jutsu Trainer Engelbert Wallek vom PSV Bielefeld (68, 5. Dan/Schwarzgurt) hält nichts von unnötigem Schnickschnack. Die Selbstverteidigungstechniken, die er zeigt, sind schnell, hart und präzise. Beim Thema Messerabwehr setzt er nicht auf realitätsferne Entwaffnungstechniken. Seine Devise: Schnellstmöglich eine Fluchtmöglichkeit schaffen.
Mit Ju-Jutsu begann ich als Achtjähriger und habe es sehr lange betrieben. Dabei habe ich gelernt, dass die Trainingsqualität und insbesondere wie realistisch die Selbstverteidigungstechniken waren, stark von den Trainern und Techniken abhing. Das hat auch mit der Vielseitigkeit der Kampfsportart zu tun. Engelbert Wallek ist seit 1977 beim Ju-Jutsu und bezeichnet es als den „Zehnkampf unter den Budosportarten“ – Budo wird als Oberbegriff für asiatische Kampfsportvarianten benutzt. Ju-Jutsu ist ein in Deutschland entwickeltes Selbstverteidigungssystem, basierend auf dem traditionellen japanischen Jiu-Jitsu. Es kombiniert Techniken verschiedener Kampfkünste wie Judo, Karate und Aikido.
Der Trainer packt schnell und fest zu
Im Training muss zwischen Selbstverteidigungstechniken und Prüfungsprogramm unterschieden werden. Für die Gürtelprüfungen werden häufig Techniken mit weit ausladenden Bewegungen geübt. Oder Konter, die meiner Meinung nach nur funktionieren, wenn ein Partner lange genug stillsteht und passiv ist.
            
                            
        
                    Die Kontertechniken, die Wallek zeigt, erscheinen mir grundsätzlich sinnvoll. Angriffe, zum Beispiel Schläge, werden schnell abgeleitet („gecheckt“) oder geblockt und mit Schlägen und Würfen/Takedowns gekontert. Schläge wie Körperhaken oder eine Gerade zum Kopf, ähnlich wie im Boxen, bereiten den Takedown vor. Damit soll der Gegner abgelenkt oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden.
        
                    Wenn der Trainer eine Technik mit mir übt oder demonstriert, spüre ich, wie schnell und fest er zupackt. Vor Würfen bringt er sein Gegenüber effektiv aus dem Gleichgewicht. Seine Schläge kommen schnell und präzise, aber auch kontrolliert. Zu Beginn einer Übung hat er grundsätzlich die Deckung oben.
Bei manchen Abwehrtechniken habe ich leichte Zweifel, wie gut sie funktionieren, wenn der Gegner selbst Kampfsporterfahrung hat. Beispielsweise bei einem erfahrenen Boxer oder Kickboxer, der Schläge schnell zurückzieht, stelle ich mir Konter schwierig vor.
"Im Ernstfall darf man nicht auf Hilfe hoffen"
Wallek stimmt zu, dass man, je nach Gegner, unterschiedlich agieren müsse. Gegen einen guten Boxer sieht er bessere Chancen im Griff- und Bodenkampf. Hier zeigt sich wieder: Ju-Jutsu ist vielseitig. „Dein Ju-Jutsu ist wahrscheinlich ganz anders als meins“, sagt Wallek zu Ralf Elbrächter (1. Kyu/Braungurt). Der Trainer geht davon aus, dass sich die Sportler spezialisieren und herausfinden, was für sie selbst am besten funktioniert. Elbrächter stimmt zu: „Man kann sich rauspicken, was man will: Jeder ist anders, einer ist mit den Armen schneller, der nächste hat Stärken in anderen Bereichen.“
Schläge und Tritte abzuwehren ist das eine, aber wie reagiert man, wenn man mit einem Messer bedroht wird? Es gibt Ju-Jutsu Vereine, in denen dann komplizierte Konter-, Entwaffnungs- und Kontrolltechniken gezeigt werden. Engelbert Wallek hat eine andere Herangehensweise: Sich vor dem ersten Angriff schützen, beispielsweise indem man den Waffenarm zur Seite schlägt, und dann sein Heil in der Flucht suchen.
Gefährliche Verletzungen drohen
Dem Veranstaltungstechniker und Vater dreier Kinder ist wichtig, zu zeigen, wie schwierig und riskant die Verteidigung gegen ein Messer ist. Früher betrieb er Messer- und Stockkampf wettkampfmäßig. Mit dem Messer schaffte er es bis zum Deutschen Meister. Seinen Schülern demonstriert er, wie schnell mehrere Messerangriffe hintereinander kommen können, wenn der Waffentragende Erfahrung hat. Zu sehen, in welchem Tempo Stich- und Schnittattacken kommen können, macht schnell klar: Den Versuch, einen Angreifer zu entwaffnen, würde man in den meisten Fällen mit gefährlichen Verletzungen bezahlen.
Ralf Elbrächter betreibt seit Ende der Achtziger Jahre Ju-Jutsu. Er erinnert sich an eine Situation, in der er einem offensichtlich berauschten Mann mit einem Messer gegenüberstand. Durch Zurückweichen und defensives Verhalten schaffte er es, nicht getroffen zu werden. Was ihn aber letztendlich rettete war, dass der Angreifer verschwand. Eine wichtige Erfahrung die Elbrächter mitnimmt: „Im Ernstfall darf man nicht auf Hilfe hoffen.“ Es habe viel zu lange gedauert, bis einer der Zeugen auf die Idee gekommen sei, die Polizei zu rufen.
Sparring und Bodenkampf gehören zum Training
Im Bezug auf realistische Selbstverteidigung frage ich Wallek, ob er einen Mehrwert in den standardisierten Prüfungstechniken sieht. Er findet: ja. Es gehe zunächst darum, den Anfängern Grundlagen und Bewegungen beizubringen, ihr Repertoire an Techniken aufzubauen, bevor sie die rauspicken können, die ihnen liegen und gegebenenfalls modifizieren können. Dann befände man sich allerdings schon im Bereich der Fortgeschrittenen. Das kann ich nachvollziehen.
Wallek betont, bei ihm würden nicht nur einzelne Verteidigungstechniken geübt, sondern auch Sparring und Bodenkampf. Grundsätzlich kann ich dem Ju-Jutsu beim PSV viel Positives in Bezug auf realistische Selbstverteidigung abgewinnen. Ich denke, dass Trainer in der Verantwortung stehen, den Schülern klar zu machen, was Prüfungsprogramm, was Sport und was effektive Selbstverteidigung ist.