
Gütersloh. 15. März, herrliches Laufwetter, noch sechs Wochen bis zum großen Tag. Passende Voraussetzungen für Massenbetrieb im Teutoburger Wald. Scharenweise wären sie gestern Berge und Treppen rauf und Hügel runter gerannt. Sie hätten Kilometer gesammelt, Kraft getankt und ihre Streckenkenntnisse vertieft. Und sie hätten sich motivierende Geschichten erzählt und angehört über den 31,1 Kilometer langen Kultlauf der Ostwestfalen. Monatelang war der 26. April, der Tag, an dem die 49. Auflage des Teuto-Klassikers stattfinden sollte, das Fixdatum für rund 7.000 Männer und Frauen.
Doch am Donnerstag musste der TSVE Bielefeld die Absage des Hermannslaufes verkünden, jenes Events, bei dem seit 1972 vom Hermannsdenkmal bei Detmold bis zur Bielefelder Sparrenburg gelaufen wird. „Grund hierfür ist der Versuch, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Wir bedauern die Absage sehr. Jedoch sehen wir ein, dass die Durchführung der Veranstaltung ein hohes Risiko darstellt", erklärten die Veranstalter auf der Homepage. Bei allem Verständnis und trotz der tagelangen Erwartbarkeit der Entscheidung war die Absage für viele Hermannsläufer ein Moment der Enttäuschung. Das große Ziel war plötzlich weg. Und so kam es auch gestern nicht zu den eigentlich geplanten ausgiebigen Trainingseinheiten im großen Kreis Gleichgesinnter.
Das galt auch für die Rekordzahl von 208 Teilnehmer aus Gütersloh, die sich für das Vorbereitungsprogramm des Active-Sportshops unter der Leitung von Ingmar Lundström angemeldet hatte. Seit Ende November hatten sich die Kandidaten in acht Gruppen unter Betreuung von insgesamt 18 Trainern durch die miesen Bedingungen des Winters gekämpft. „Die Vorbereitung stand diesmal unter einem ungünstigen Stern", verweist Lundström nicht nur auf die Unbillen des Wetters, sondern auch auf den „schlimmen Zustand" des Teutoburger Waldes, wo die Wege tief und matschig und die Flächen erschreckend kahl geworden sind.
„Die Stimmung in den Gruppen war trotzdem super – aus Trotz vielleicht sogar noch besser als sonst", stellte der erfahrene Coach fest. Vergangene Woche hatte er mit dem Bahntraining im LAZ Nord die letzte Stufe der Vorbereitung gezündet. „Wir hatten extrem viele Erstteilnehmer dabei, für die der Einstieg ins Training echt hart war. Jetzt aber war das Laufen für sie zum Selbstläufer geworden. Wir sind gerade auf die Zielgerade eingebogen – und jetzt kommt die Absage", bedauert Ingmar Lundström.
An der Richtigkeit der Entscheidung hat der Gütersloher überhaupt keine Zweifel – und das sowohl wegen der großen Teilnehmerzahl am Hermannslauf als auch wegen des Zuschauerandrangs an der Sparrenburg: „Jeder weiß, wie eng es im Ziel auf der Promenade zugeht." Sich am 26. April dennoch, quasi privat, am Hermannsdenkmal zu verabreden und die Strecke gemeinsam abzulaufen, wie es manche in den sozialen Medien ankündigten, hält er unter den aktuellen Gegebenheiten für grundfalsch: „Die Empfehlungen der Experten machen ja Sinn und man sollte die Kontakte unbedingt reduzieren."
»Ich wollte vielen von ihnen einen Traum erfüllen«
Anders als sonntags üblich lief Ingmar Lundström gestern deswegen nicht mit einer großen Gruppe durch den Teutoburger Wald. Er beschränkte sich auf einen längeren Trainingslauf mit Ehefrau Katrin und der gemeinsamen Freundin Karin Heitmann durch das heimatliche Isselhorst und Umgebung. Ein wenig Wehmut beschlich ihn dabei allerdings, allein schon wegen des Wetters: „Da haben wir das erste Mal seit 16 Wochen frühlingshafte Bedingungen, und dann können wir nicht mit unseren Leuten trainieren."
Obwohl alle Teilnehmer per E-Mail informiert wurden, waren am Samstag knapp 30 Kursteilnehmer in den Active-Sportshop gekommen und hatten sich persönlich bei Ingmar Lundström erkundigt, wie es weitergehen soll. „Viele haben mir gesagt, dass es ihnen für mich leid täte. Aber das ist nicht meine Sichtweise: Mir tut es es leid für die Teilnehmer. Ich wollte vielen von ihnen den Traum erfüllen, erstmals am Hermannslauf teilzunehmen. Das geht nun nicht."
Überflüssig war das wochenlange Vorbereitungstraining natürlich nicht. Lundström: „Mein Motto lautete immer: Der Weg ist das Ziel." Jetzt seien die Teilnehmer in einer guten Grundform, und sie dürften und sollten weiterlaufen. „Vielleicht mit etwas weniger Stress und Druck", empfiehlt er und sieht in der nun einsetzenden „Entschleunigung" auch einen positiven Aspekt. Außerdem: Maßvoller Ausdauersport ist ein gutes Mittel, um das Immunsystem des Körpers zu stärken. Trotz der Absage des Hermannslaufes und des Abbruchs des organisierten Trainingsbetriebes will Ingmar Lundström das Programm aber nicht einfach so beenden. „Es wird auf jeden Fall in irgendeiner Form einen Abschluss geben – und sei es im Mai oder später", verspricht er.
Die prominenteste Teilnehmerin am Trainingsprogramm verzichte gestern ebenfalls auf einen Lauf in großer Gruppe. Michelle Rannacher beließ es bei einem Training im familiären Rahmen. Für die 26-Jährige von der DJK Gütersloh, hat die Absage der Veranstaltung eine spezielle Folge: Die Vorjahresgewinnerin bleibt noch ein Jahr länger die „amtierende" Hermannslauf-Siegerin.