Bielefeld/Minden. „Soll ich jetzt morgen auch kommen?“, fragt Florian Kranzmann etwas verdutzt. Es ist November 2019, Kranzmann hat gerade seine erste Trainingswoche mit den Bundesligaprofis von GWD Minden hinter sich. Der Trainerstab macht dem A-Jugendlichen relativ unmissverständlich klar, dass er natürlich auch am nächsten Tag in der Mindener KAMPA-Halle zu erscheinen habe: Es ist schließlich Heimspieltag gegen die MT Melsungen, und der etatmäßige zweite Linksaußen ist verletzt.
Eigentlich dachte Kranzmann, dass er nur im Training der Lückenfüller sein sollte, jetzt steht sein Bundesligadebüt bevor. „Allein bei den ganzen Abläufen dabei zu sein, vorher mit dem Team zu essen und dann in der Kabine zu sitzen – davon lernt man schon unglaublich viel“, sagt Kranzmann, der gegen Melsungen allerdings keine Spielzeit bekommt.
Den tatsächlichen Einstand in der besten Liga der Welt feiert der 17-jährige Bielefelder dann elf Tage später beim Auswärtsspiel gegen die HSG Wetzlar, als der erste Linksaußen Mats Korte eine Zeitstrafe erhält. „Nach Wetzlar fährt man natürlich lange Bus und übernachtet im Hotel. Dieses ganze Profileben da mitzuerleben, war schon richtig cool“, erzählt Kranzmann.
Erstliga-Vertrag zu Weihnachten
Ein Jahr später, kurz vor Weihnachten 2020, hat Kranzmann nun Gewissheit: Dieses Erlebnis wird keine einmalige Episode bleiben. Das Profileben wird bald sein Leben sein: GWD Minden hat ihm ab der nächsten Saison einen Bundesligavertrag über drei Jahre gegeben.
Die Reise bis in die Bundesliga begann für den Linksaußen bei der SV Brackwede, einem damaligen Vorläufer der JSG Bielefeld-Süd und heute ein Stammverein der HSG EGB Bielefeld. „Mit drei Jahren war ich schon das erste Mal beim Training“, erzählt Kranzmann. Spätestens zur Heim-WM 2007 hatte den damals Vierjährigen dann endgültig das Handballfieber gepackt: Kranzmann bastelte ein Album mit Zeitungsausschnitten und Bildern der Nationalspieler, damals im WM-Kader waren unter anderem auch Christian Zeitz und Carsten Lichtlein. Beide werden nächstes Jahr Mitspieler von Kranzmann im GWD-Bundesligateam sein.
Abschiedsbrief an den Trainer
Seine langjährige Jugendtrainerin Britta Düsterloh erinnert sich an Kranzmanns Anfangsjahre: „Er war mit Abstand der Allerkleinste, aber handballerisch immer unheimlich weit.“ Schon früh sprach Kranzmann davon, später einmal Bundesligaprofi zu werden. Mit diesem Ziel vor Augen wechselte er schon zur C-Jugend in den GWD-Nachwuchs: „Irgendwann wurde mir gesagt, dass ich hier bei der JSG Bielefeld-Süd kein Bundesligaprofi werden kann“, erinnert er sich lachend. Doch der Wechsel fiel schwer, seinem damaligen Trainer Ivo Kraft schrieb er einen persönlichen Abschiedsbrief.
Kranzmann war schon früh verwurzelt in Bielefeld: Er war einer der ersten Absolventen des EDIs-Projektes, das heute im großen Stil Jungschiedsrichter ausbildet. Sein Gespannpartner war Kindheitsfreund Simon Vormbrock, der heute mit der TSG Altenhagen/Heepen ebenfalls in der A-Jugendbundesliga spielt.
"In der A-Jugend ging es richtig ab"
Nach Kranzmanns Wechsel fiel der Anfang in der großen Handballwelt bei GWD nicht gerade leicht, auch weil der Linksaußen immer noch einer der Kleinsten war. Der Schulwechsel aufs Mindener Bessel-Gymnasium kam noch erschwerend hinzu, doch schon im zweiten C-Jugend Jahr entwickelte sich der Bielefelder zum Leistungsträger.
„Anfang der A-Jugend ging es dann so richtig ab, da bin ich auch nochmal ein Stück gewachsen“, sagt Kranzmann, der von seinen Teamkollegen aufgrund seiner enormen Sprungkraft gerne „Air Kranzmann“ genannt wird. Beim Individualtraining mit den Perspektivspielern aus A-Jugend- und Drittligakader lernte der Linksaußen Bundesligatrainer Frank Carstens kennen, unter dessen Aufsicht er nochmal einen großen Schritt nach vorne machte. Von da an ging es nur noch steil nach oben, kurz nach dem Bundesligadebüt folgte die erste Einladung für die Jugendnationalmannschaft.
Fernziel WM in Griechenland
Auch wenn seit Ausbruch der Pandemie nur wenig Lehrgänge mit der Nationalmannschaft stattfanden, blickt Kranzmann optimistisch ins neue Jahr: „Im Sommer würden wir gerne die U-19-WM in Griechenland spielen.“ Dass er sportlich dabei wäre, ist wohl sicher – ob Corona die Austragung des Turniers zulässt, ist offen.
Immerhin persönlich hat Kranzmann mit dem Bundesligavertrag nun Planungssicherheit. Nach dem Abitur hat er sich außerdem der Sportfördergruppe der Bundesliga angeschlossen, wo er für die nächsten zwei Jahre als Sportsoldat tätig ist. Die vierwöchige Grundausbildung hat er schon im November abgeschlossen, jetzt kann er den Fokus zu 100 Prozent auf Leistungssport legen. Über die Bundeswehr steht er nun regelmäßig in Kontakt mit Martin Heuberger, der die Kooperation mit dem Deutschen Handballbund organisiert. Heuberger, der ehemalige Herren-Bundestrainer, ist aktuell außerdem Cheftrainer der U-21-Nationalmannschaft. Der Weg nach oben scheint also schon weiter bereitet für Florian Kranzmann.