Bielefeld. Das Kribbeln in der rechten Hand und dem rechten Fuß verschwinden langsam, die Rückenschmerzen waren schon nach dem ersten Tag passé: Die körperlichen Malaisen halten sich bei Bastian Schünke in engen Grenzen, wenn man bedenkt, was er zuletzt geleistet hat. Für einen guten Zweck fuhr er am Hermannsdenkmal virtuell auf den Mount Everest.
"Langsam bekomme ich sogar wieder Lust, aufs Fahrrad zu steigen", sagt Bastian Schünke nach seinem Husarenritt. 60 Mal kletterte er die 2,4 Kilometer lange und 148 Meter hohe Anfahrt zum Hermannsdenkmal in Detmold hoch, um damit insgesamt auf 8.880 Höhenmeter zu kommen. Nach 18:26 Stunden erreichte er sein Ziel, den höchsten Berg der Welt, der offiziell 8.848 misst.
»Wir haben Füchse und Rehe auf der Straße gehabt«
"Eigentlich wollte ich im Hellen ankommen, aber das war mir am Ende auch egal", erklärt der 37-jährige Bielefelder, der passend zum Datum um 4.05 Uhr in sein Abenteuer startete. Die ersten Anstiege nutzte er zum Einrollen, in der anfänglichen Dunkelheit begleiteten ihn Motorräder der Fahrschule Fahrwerk. "Das war gerade bei den Abfahrten sehr wichtig. Wir haben Füchse und Rehe auf der Straße gehabt, die dank des Motorenkrachs rechtzeitig Platz gemacht haben", erläutert Schünke, der sich so bei den bis zu 60 km/h schnellen Abfahrten voll auf die Strecke konzentrieren konnte.
Mit rund 11 km/h ging es bergauf, wobei sich ab den frühen Morgenstunden immer mehr Interessierte zu dem heimischen Extremsportler gesellten. Bis zu 30 Radfahrer befanden sich gleichzeitig auf der abgesperrten Strecke, auf der sich eine positive Atmosphäre entwickelte. "Wir haben Selfies geschossen und gequatscht, ich habe die Leute teilweise selbst angefeuert", beschreibt Schünke den gemütlichen Teil des Auftritts.
Regenschauer und die niedrigen Temperaturen - im Gegensatz zum wirklichen Mount Everest immerhin im Plusbereich - sorgten dafür, dass sich der Radsportler mehrmals umziehen musste. "Die Klamotten waren einfach zu nass", erklärt Schünke, der die zehnminütigen Pausen auch zur schnellen Nahrungsaufnahme nutzte. Auf dem Rad wurde er von Christian Locker verpflegt, mit dem er in der Vergangenheit beim "Race Across Germany" triumphiert hatte. Sein Freund hatte durch die sukzessive Beanspruchung bei den Auffahrten 30, 40 und 50 immer mehr zu tun, kleine Belohnungen wie Brezeln, Nüsse und vor allem Cola waren immer öfter gefragt neben den ohnehin gereichten Proteingels.
Die Anstiege dauerten nun statt der 13 Minuten zu Beginn bis zu 20 Minuten, der Puls drohte aus der Spanne zwischen 136 bis 148 Schlägen pro Minute nach oben zu entgleiten. "Als ich mich verzählt hatte und wir nicht in der 54., sondern erst in der 51. Auffahrt waren, bin ich plötzlich ganz ruhig geworden", schildert Bastian Schünke den psychologisch schwersten Moment auf der Strecke. Die zwei härtesten Rampen mit Steigungen von bis zu 15 Prozent wurden nun endlos lang und von Schünke regelrecht angeschrien. "Die Punkte hießen kleines und großes Arschloch. Zu diesem Zeitpunkt haben sie mich besonders genervt", sagt Schünke, der mittlerweile herzlich darüber lachen kann. Am Ende zahlten sich die 6.500 Trainingskilometer seit Anfang Dezember aus und er konnte seine Familie und Freunde in die Arme schließen. "Ohne meine Frau Tina wäre das alles nicht möglich gewesen. Sie hat mir den Rücken frei gehalten und mich super unterstützt", erklärt der zweifache Familienvater.
»Ohne meine Frau Tina wäre das nicht möglich gewesen«
Apropos Familie: Die Familienklinik in Detmold werde demnächst einen Scheck überreicht bekommen, mit dem ein sogenanntes Giraffen-Shuttle finanziert werden soll. Diese spezielle Applikation macht es möglich, Frühgeburten die Anstrengungen eines Inkubator-Wechsels bei klinikinternen Untersuchungen zu ersparen und somit stressbedingte Folgeschäden bei den "Frühchen" zu vermeiden. "20.000 Euro haben wir jetzt zusammen, aber im Nachgang und sogar auf der Strecke haben mich Leute gefragt, ob sie noch spenden können. Deshalb lassen wir das Zeitfenster noch offen und werden in zwei Wochen einen Cut machen", erklärt Bastian Schünke. Einer der großen Förderer dieser außergewöhnlichen Aktion, sein Arbeitgeber Vitalzentrum Kühlmuss & Grabbe, werde bei der Übergabe dann ebenfalls dabei sein.
"Mein Chef war so verrückt und hat sich vor zehn Wochen ein Rennrad gekauft, weil er es mir gleich tun wollte. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich so sehr gequält hat", so Schünke anerkennend über das Vorhaben seines Vorgesetzten, der tatsächlich 40 Auffahrten schaffte. Virtuell wäre das immerhin deutlich höher als die Zugspitze (2.962) gewesen.