Bielefeld. Die Knie fast durchgedrückt und vor allem langsam - der Gehstil von Christian Engelmann hebt sich deutlich ab von dem anderer Spaziergänger am Alten Markt. Wirklich verwunderlich ist das nicht, denn der in der Senne lebende Extremsportler hat am vergangenen Samstag am Eiger Ultra Trail teilgenommen - einem läuferischen Exzess durch die Schweizer Alpen über 101 Kilometer.
"Diese Woche habe ich zum Glück noch Urlaub. Die nächsten Wochen werde ich mit Sicherheit wenig laufen, sondern auch mal mit Bier und Chips auf dem Sofa sitzen", sagt Christian Engelmann mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Verdient hat er sich diese sportliche Auszeit allemal, denn was Engelmann am Samstag ab 4:30 Uhr - dem Startzeitpunkt in Grindelwald - die nächsten 21 Stunden, 49 Minuten, 17 Sekunden und fünf Zehntel bis zum Zieleinlauf leistete, ist für Durchschnittssportler nur schwer nachzuvollziehen.
Dass der 1,76 Meter Große und 74 Kilogramm schwere Modellathlet dieses Abenteuer gemeinsam mit seinen Freunden Mark Wittland (Köln) und Christian Barth (Berlin) wagte, hat er zu einem nicht geringen Teil dem Exil-Bielefelder Wittland zu verdanken. Nach der Besteigung des Kilimandscharo 2014 war das Trio auf der Suche nach einer neuen Herausforderung - und so saß Mark Wittland eines Tages im Oktober 2014 "alleine mit einer Flasche Wein vor dem Computer. Dann hat er sich angemeldet und uns am nächsten Tag davon berichtet - klar, dass wir dann nachziehen mussten", erläutert Christian Engelmann den Ursprung.
Viele und harte Trainingseinheiten - darunter mehrstündige Bergläufe am Fernsehturm Hünenburg, dem Hermannslauf (Engelmann: "Eine Sprintdistanz") sowie zwei separaten 50-Kilometer-Läufen - stand das Trio mit 700 weiteren Teilnehmern am 18. Juli am Start und machte sich auf, die 101 Kilometer und 6.700 Höhenmeter zu bewältigen. Direkt vom Start weg ging es den First hoch - eine Kraxelei von 1.000 Metern über dem Meeresspiegel auf knapp 2.150 Metern (siehe Grafik).
Zur Person
- Name: Christian Engelmann.
 - Alter: 37.
 - Geburtsort: Halle.
 - Wohnort: seit 15 Jahren Bielefeld.
 - Beruf: selbstständiger Kaufmann.
 - Familienstand: verheiratet, eine Tochter.
 
"Wir sind mit Stirnlampe gestartet, und der erste Teil ging echt gut. Das Wetter war schön, und wir hatten sogar die Zeit, das Höhenpanorama um die Eiger Nordwand zu genießen", sagt Engelmann. Die nächste Schwierigkeit war der höchste Punkt der Strecke: Das Faulhorn nach rund einem Drittel der Distanz türmte sich auf 2.680 Metern, wobei der dort ausgelobte Bergpreis nur am Rande interessierte. "Die Besten laufen die gesamte Strecke in zwölf Stunden, das ist schon geisteskrank", meint Engelmann schmunzelnd, wobei beim Lauf nicht nur bergauf, sondern gerade das bergab anstrengend sei. "Es geht ja so steil runter, dass du bremsen musst. Das geht unheimlich auf die Oberschenkel", so der 37-jährige Bielefelder.
Auf dem weiteren Weg an den diversen Verpflegungsstationen vorbei - insgesamt trank Engelmann über zehn Liter Flüssigkeit und verbrannte 12.000 Kalorien - bekam Engelmann zur Hälfte der Distanz in Wengen ein psychologisches Tief. "Du bist zehn Kilometer mehr als ein Marathon gelaufen - und plötzlich taucht wieder so eine Wand vor dir auf, wo du weißt: Das sind mehr als 1.000 Höhenmeter, da musst du jetzt wieder hoch. Zum Glück hatte ich einen erfahrenen Ultra-Läufer neben mir, der mich mit seinem rheinländischen Frohsinn motiviert hat", erläutert Engelmann.
Drei Komponenten seien für ihn entscheidend, so einen Lauf durchzustehen: Die körperliche Verfassung, die Psyche und die Ernährung. "Das muss alles zusammenspielen, sonst schafft man es nicht", meint der bekennende Vegetarier, der per Facebook seine Fangemeinde daheim regelmäßig mit Informationen versorgte.
Dass auch das Wetter mitspielen muss, wurde den Teilnehmern spätestens am Bahnhof Klein Scheidegg bewusst. Eine Gewitterfront zog auf - Weiterlaufen unmöglich. "Wir wurden gestoppt und mussten dort anderthalb Stunden Pause machen. Die Zeit verbrachten wir vorrangig auf der Bahnhofstoilette, während draußen die Welt unterzugehen schien", erklärt Christian Engelmann die Zeit, in der er auf engstem Raum mit internationalen Startern, aus Australien, Japan, Spanien und Italien ins Gespräch kam.
Kurios: Da die Strecke um fünf Kilometer auf finale 96 Kilometer verkürzt wurde, fluchte ein Läufer, weil "er sich unbedingt die 101 neben die Logos seiner bisherigen Ultraläufe auf die Haut tätowieren lassen wollte - das ging dann natürlich nicht mehr", so Engelmann. Nach der Fortsetzung und dem Zieleinlauf um kurz nach Mitternacht ging es für das Trio zurück ins Quartier, wobei "ich die erste Nacht nur drei Stunden geschlafen habe. Die ganzen Eindrücke von der Strecke sind eine Überforderung, das Adrenalin ist noch im Körper", erläutert der Mann mit der Startnummer 190.
Spätestens beim Gang über den Alten Markt in Bielefeld war das Stresshormon beim fünftbesten Deutschen des Eiger Ultra Trails nicht mehr vorhanden - ein Umstand, über den der moderne Held selbst lachen konnte.