Historische Arminia (11): DFB-Pokalsaison endet mit Gänsehautentzündung

Bielefeld. Die vielleicht beeindruckendste Atmosphäre der jüngeren Vergangenheit erzeugten die Fans von Arminia Bielefeld inmitten einer deutlichen Niederlage: Mit dem 0:4 gegen den Erstligisten VfL Wolfsburg endete heute vor fünf Jahren im Halbfinale des DFB-Pokals der Traum vom Titel - der DSC war als Drittligist klarer Außenseiter. Vier Spiele lang erweist sich die Mischung aus einer charakterstarken Mannschaft mit enormer Standard- und Nervenstärke, einem frenetischen Publikum und einem holprigen bis sumpfigen Rasen in der Schüco-Arena als hocheffektiver Wirkstoff gegen spielstärkere Mannschaften. In der ersten Runde wird Zweitligist Sandhausen mit 4:1 aus dem Pokal geschossen, dann erleiden der Reihe nach die Bundesligisten Hertha BSC (4:2 im Elfmeterschießen), Werder Bremen (3:1) und Borussia Mönchengladbach Schiffbruch (5:4 im Elfmeterschießen). Dass der VfL Wolfsburg an jenem Mittwochabend eine Nummer zu groß sein würde, war schnell klar. Nach 55 Minuten stand es 0:4 - der Gast war effizient, Arminia fand kaum ein Durchkommen. Doch während die Spieler ein wenig resignierten, lief das Publikum plötzlich zur Höchstform auf und feierte die DSC-Profis bis lange nach Abpfiff. Jens Reichenbach war als einer unserer Reporter an jenem Abend auf der Bielefelder Alm. Gänsehautentzündung auf der Alm Bielefeld. Das hat eine Profimannschaft, die soeben überzeugend ins DFB-Pokal-Finale eingezogen ist, auch noch nicht erlebt: Die Spieler des VfL Wolfsburg saßen am Mittwochabend zwar glücklich vor ihren Fans am Gästeblock, aber die große Humba-Feier musste ausfallen. Zu laut und zu dominant bejubelten die Arminia-Fans ihre soeben ausgeschiedene Mannschaft. Die lautstarke Leistung der Fans war auch gestern noch ein großes Thema – bundesweit. Die Sympathien der objektiven Zuschauer hatte &bdquo;David" Bielefeld gegenüber &bdquo;Goliath" Wolfsburg ohnehin auf seiner Seite. Aber was die Fans angesichts der vier Gegentore im Stadion leisteten, war &bdquo;Weltklasse", versicherte Daniel Caligiuri vom VfL Wolfsburg. Über WDR-Kommentator Steffen Simon lässt sich viel streiten. Aber in Bielefeld hatte er das richtige Gespür, als er gleich zweimal während der Liveübertragung verstummte, um die Atmosphäre im Stadion auf sich wirken zu lassen: &bdquo;Wir sollten einfach nur zuhören und genießen", sagte er, als nach Spielschluss der Gesang nicht abebben wollte. Dann kommentierte er die Atmosphäre mit nur einem Wort: &bdquo;Gänsehautentzündung". Die Fans auf der Südtribüne hatten trotz des Spielverlaufs stets den Stimmungstaktstock in der Hand. West- und sogar Osttribüne folgten ohne große Abstriche. Direkt nach dem 0:4 gab es Standing Ovations für die Pokalhelden des Jahres. Als Sky-Kommentator Kai Dittmann die Zahl der Zuschauer im Stadion hörte, fragte er: &bdquo;26.137 Zuschauer? Klingt wie 86.000. Irre, es steht 0:4 und die machen hier so eine Stimmung. Eigentlich hätten sie ein Spiel um Platz drei verdient!" Er kündigte später an, sich für die nächsten Bielefeld-Spiele als Kommentator zu bewerben, sollte der Bezahlsender bald wieder von der Alm berichten. Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl stimmten in der ARD in das Loblied ein. Arminia-Sprecher Tim Santen wurde am Rande des Spiels vom sichtlich beeindruckten Reinhold Beckmann gefragt: &bdquo;Seit wann ist das hier so? Ich war lange nicht mehr hier. Das war früher anders." Immer wieder gingen Beckmann und Scholl auf die Fangesänge ein. Offensichtlich hatte ihnen auch imponiert, wie die Fans die kläglichen Versuche der Wolfsburger Schmähgesänge gekontert hatten: Aus Zigtausenden Kehlen übernahmen die DSC-Anhänger den als Beleidigung versuchten Ruf von den &bdquo;Ostwestfalen-Idioten" und antworteten schließlich mit &bdquo;Gegen Dortmund habt ihr keine Chance" oder &bdquo;Ihr könnt nach Hause fahren". Der DSC sprach seinen Fans auf Facebook dafür ein Sonderlob aus: &bdquo;Typisch ostwestfälisch." Auch BILD-Chef Kai Diekmann twitterte: &bdquo;Ich bin wahnsinnig stolz auf Bielefeld! Was für ein Auftritt auf der großen Bühne!" Die Berliner Zeitung bewertete die Reaktion der Arminia-Anhänger als &bdquo;Demonstration der Tradition gegen die moderne Fußballindustrie" (siehe Pressestimmen): &bdquo;Als wollten die Fans eines alten Bundesligastandorts den modernen Parvenüs aus den Retortenklubs zeigen, wie sich echte Stimmung anhört." Wolfsburg-Manager Klaus Allofs wurde nach dem Spiel auch nicht zuerst zur starken Leistung seiner Mannschaft befragt, sondern zur Kulisse auf der Alm: &bdquo;Ich glaube, die freuen sich schon auf die 2. Liga", antwortete er. &bdquo;Arminia wird aufsteigen, und dann geht es weiter. Man kommt hier nicht zu einem Drittligisten, das ist gefühlt Bundesliga." Für die sichtlich gerührten Arminia-Spieler auf dem Platz war die Unterstützung kaum in Worte zu fassen. &bdquo;Es ist unglaublich. Wir haben das Spiel 0:4 verloren, aber was hier im Stadion noch los ist, da habe ich Gänsehaut", stammelte der erfahrene Profi Florian Dick ins Mikrofon. Fabian Klos postete: &bdquo;Sprachlos aufgrund der Szenen, die sich auf den Rängen abgespielt haben! Gänsehaut, ohne Worte, ihr seid überragend! Kein Geld der Welt kann wahre Fanliebe ersetzen." DSC-Sprecher Santen bezeichnete die Alm-Atmosphäre als &bdquo;spürbare Dankbarkeit der Fans für die gelungene DFB-Pokal-Saison". &bdquo;War es beim Gladbachspiel noch ein vulkanartiger Ausbruch der Emotionen, war es am Mittwoch anders: Das war durchgehend Gänsehautstimmung", zeigte auch er sich beeindruckt. &bdquo;Das war großartige Fankultur, unsere Anhänger haben sich auf der ganz großen Bühne von ihrer besten Seite gezeigt." Nicht ohne Grund bezeichnete das Sportportal ran die Fans von Arminia Bielefeld als &bdquo;die heimlichen Gewinner des Abends". Genau mit diesem Gefühl gingen die Fans nach dem Halbfinal-Aus nach Hause: Stolz auf die Mannschaft, stolz auf sich selbst und der Hochachtung aller anderen gewiss. Aufstieg wenige Wochen später Der DFB-Pokal sollte es nicht sein, dafür aber zweieinhalb Wochen später mit einem 2:2-Remis gegen Jahn Regensburg der Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga. Binnen zwölf Monaten nach dem bitteren Abstieg 2014 hatte Arminia in jeder Hinsicht ein beeindruckendes sportliches Comeback gefeiert. Der VfL Wolfsburg traf im Finale auf Borussia Dortmund, nachdem dieser im Halbfinal-Elfmeterschießen beim FC Bayern mehrfach von mangelnder Standfestigkeit der Münchener profitiert hatte. Wolfsburg aber holte sich den DFB-Pokal 2015 mit einem 3:1-Sieg. Hier geht es zu allen Teilen der Serie "Historische Arminia"

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