Geiselrückkehr nach Israel: Getrübte Freude in der jüdischen Gemeinde Bielefeld

Jerusalem/Bielefeld. Nach 738 Tagen hat das Bangen um die Leben der israelischen Geiseln in der Gefangenschaft der Terrororganisation Hamas am Montag endlich ein Ende. In Folge der Friedensinitiative können die letzten lebenden 20 Geiseln ihre Familien wieder in die Arme schließen. Die emotionalen Bilder gehen um die Welt und berühren Millionen Menschen. In der jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld verfolgt die Vorsitzende Irith Michelsohn die Rückkehr mit großer Anspannung. &bdquo;Die Freude ist groß, doch auch von Trauer getrübt.“ Am Montagmorgen steht Michelsohn früh auf, um im Fernsehen die Freilassung der Geiseln zu verfolgen. &bdquo;Wir sind erleichtert, dass alle lebenden Geiseln zu ihren Familien zurückkehren konnten. Wir wissen nicht, wie es ihnen geht, aber sie konnten gehen.“ In der Bielefelder Synagoge hängen Bilder der Geiseln. Gelbe Schleife am Revers bleibt Am Montagabend hängt Michelsohn die Porträts der letzten Geiseln ab, die nun zurück in Israel sind. Die gelbe Schleife am Revers, die zum weltweiten Symbol der Solidarität mit den Geiseln und Opfern des Terroranschlags der Hamas auf Israel am 7. Oktober geworden ist, wird Michelsohn hingegen weiterhin tragen. &bdquo;So lange, bis die letzte Geisel wieder in Israel ist.“ Denn entgegen der Vereinbarung hat die Hamas noch nicht alle getöteten Geiseln übergeben. &bdquo;Bislang sind nur vier der 28 getöteten Geiseln zurück. Das bedeutet, dass die Familien von 24 Opfern weiterhin in Ungewissheit leben müssen und ihre Angehörigen nicht beerdigen können. Das ist grauenhaft.“ Im Judentum sei es für Angehörige von Verstorbenen sehr wichtig, diese nach jüdischer Tradition in ihrer Heimat zu beerdigen. &bdquo;Sie bekommen ein Grab für die Ewigkeit, doch dieser Abschluss wird diesen Familien weiter verwehrt.“ Mehr zum Thema: Diese 20 Geiseln sind nach Israel zurückgekehrt Kein Vertrauen in Terroristen, die Entwaffnung ablehnen Auch die Gedanken an die vielen Todesopfer des Terroranschlags, gefallenen israelischen Soldaten und zivilen Opfer in Gaza trübten die Freude über die Freilassung, sagt Michelsohn. &bdquo;Es gibt so viele Tote zu beklagen. Der 7. Oktober war eine Zäsur für das Judentum. Es gibt ein Leben davor und danach.“ Lesen Sie auch: Israel bestätigt Identität von vier toten Geiseln Der Bruch der Vereinbarung durch die Hamas schadet nach Einschätzung Michelsohns auch der Friedensinitiative insgesamt. &bdquo;Wie wird es weitergehen, wenn die Hamas schon die erste Bedingung, die Rückgabe aller Geiseln, nicht erfüllt? Die Waffenruhe ist wichtig, die hoffentlich lange halten wird, aber wie lange wird es sich Israel gefallen lassen können, dass die Hamas die getöteten Geiseln zurückhält?“ Zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter wieder frei Als ein Ende des Krieges, von dem seit Montag immer wieder die Rede ist, bewertet Michelsohn die Friedensinitiative nicht. &bdquo;Die Hamas hat die geforderte Entwaffnung abgelehnt, daher habe ich aktuell kaum Hoffnung auf Frieden. Leider überwiegt die Skepsis.“ Michelsohn sieht auch neue Gefahren, da Israel unter anderem 250 zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter im Austausch mit den Geiseln freigelassen hat. &bdquo;Einige von ihnen leben jetzt frei im Westjordanland, in direkter Nachbarschaft mit Juden und nicht weit entfernt vom Kernland Israel.“ Zur Anteilnahme in Bielefeld: Hunderte Bielefelder gedenken der Opfer des Überfalls der Hamas auf Israel Für Michelsohn war der 7. Oktober 2023 der Beginn eines neuen, globalen antisemitischen Krieges, der auch nach der Freilassung der Geiseln weiter geht. &bdquo;Ich rechne nicht damit, dass nun Ruhe einkehren und es wieder sicherer für Juden auf dieser Welt werden wird, auch nicht in Deutschland oder Europa.“ Die Bielefelderin befürchtet vielmehr, dass sich die Stimmung weiter aufheizen könnte. &bdquo;Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, ich lasse mich sehr gern eines Besseren belehren.“ Auch interessant: Diese Bielefelderin und bekannte Jüdin kämpft seit Jahrzehnten für Menschlichkeit 7. Oktober 2023 bleibt unvergessen Am Dienstag wird Michelsohn nach Israel reisen. Als Vorsitzende der Union progressiver Juden in Deutschland wird sie bis Sonntag an der Konferenz des Dachverbandes &bdquo;World Union for Progressive Judaism“ teilnehmen. &bdquo;Bis dahin wird sich sicherlich wieder viel entwickeln. Es ist eine unglaublich prägende Zeit für Juden. Fest steht aber, dass wir den 7. Oktober 2023 nie vergessen werden.“

Meistgelesen