
Münster. Wer am Freitag in Münster den Worten der beiden Ex-Bundesminister Peer Steinbrück und Joschka Fischer lauschte, der dürfte keine Zweifel mehr daran haben, auf welch unsichere Zeiten Deutschland zusteuert. Bei der zweiten Westfälischen Friedenskonferenz haben beide Politiker auf schonungslose Art und Weise klargemacht, welche Herausforderungen auf das Land hereinbrechen werden. Um denen zu begegnen, machen die Politiker vor allem einen überraschenden Vorschlag. Auch Bielefeld ist plötzlich Thema.
Während die erste Friedenskonferenz in Münster vor zwei Jahren den Blick noch auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine richtete, so ging der Blick diesmal vor allem auf Europa und den neuen Umgang mit der Trump-USA. „Wenn wir bei der digitalen Technologie abgehängt werden durch die beiden Supermächte USA und China, dann war’s das – mit guten Teilen unseres Wohlstands, aber auch mit unserer geopolitischen Einflussmöglichkeit“, warnte der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne). „Dann war’s das auch für Europa.“
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Fischer bezeichnete die Herausforderungen für Deutschland als so „gewaltig“, dass er nicht wisse, „ob Friedrich Merz noch gut schläft“. Die neue deutsche Bundesregierung und Merz als ihr Kanzler müssten zwingend Erfolg haben - „im Interesse unseres Landes und der Zukunft unseres Kontinents“, sagte Fischer. Denn man müsse zur Kenntnis nehmen, dass sich „unser großer Bruder jenseits des Atlantik“ verabschiede, sagte Fischer mit Blick auf die USA. „Er ist faktisch übergelaufen in das Lager der Autoritären.“ Europa sei allein.
Europas Bürger in der Pflicht
Als eine Reaktion darauf forderte Sylvie Goulard, frühere französische Verteidigungsministerin, auch einen Bewusstseinswechsel in der Bevölkerung. Bei einer Debatte über Europas neue Sicherheitsarchitektur sagte sie, dass die Europäer Politiker in europäische Ämter wählten, ohne das Verständnis, dass diese dann wirklich ihre politischen Vertreter seien. Dafür seien die Europäer zu nationalistisch - in diesem Sinne gebe es Europa eigentlich gar nicht. So wie Bielefeld, sagte Goulard - und ergänzte dann: „Ich habe in Bielefeld Deutsch gelernt.“

Die Redner beließen es in Münster nicht nur bei der Zustandsbeschreibung, sondern machten auch Vorschläge. „Unsere gesellschaftlichen Vorstellungen werden auch aus den USA angegriffen“, machte NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück klar. Es brauche heute nicht mehr nur eine „de-risking-Strategie“ gegen China, sondern auch gegenüber der USA.
Fischer und auch Steinbrück legten zudem nahe, dass es eine neue Struktur innerhalb der Europäischen Union brauche, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können. Wenn der aktuelle Rahmen der EU es aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips nicht ermögliche, eine neue Gemeinsamkeit herzustellen, „dann wird es auf eine Neugründung der EU hinauslaufen müssen“, sagte Fischer. „Also eine Koalition der Willigen“. Er halte es für keine „echte Alternative“, im gegenwärtigen Zustand zu verharren. Als mögliche Mitglieder einer solchen neuen Ordnung innerhalb der EU nannte Fischer unter anderem Polen, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und die skandinavischen Länder.
Europäische Streitmacht der „Willigen“
Zuvor hatte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Blick auf eine europäische Streitmacht gesagt, dass die Länder, die sich daran nicht beteiligen wollten, die willigen Länder „nicht aufhalten“ sollten. Steinmeier hatte zu Beginn der Konferenz die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer geehrt - die 103-Jährige erhielt den Sonderpreis des Westfälischen Friedens für ihr Lebenswerk. „In Demut verneigen wir uns vor Ihrem Engagement“, sagte Steinmeier.
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Der Gastgeber der Konferenz, Reinhard Zinkann (Miele), hatte während seiner Begrüßungsrede schonungslos beschrieben, dass man heute in Europa im Vergleich zur ersten Westfälischen Friedenskonferenz vor eineinhalb Jahren „keinen Schritt“ weiter sei. Die Sicherheitslage in Europa habe sich „gar nochmals“ verschärft. Die Friedensdividende sei aufgebraucht, sagte Zinkann. Die zweite Westfälische Friedenskonferenz in Münster findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt - im Beisein von rund 350 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.